Sopron / Mock und Horn - <strong>Mock & Horn</strong><br />
An dieser Stelle – bei Sopron – durchschnitten am 27. Juni 1989 der österreichische Außenminister Alois Mock und sein ungarischer Amtskollege Gyula Horn symbolisch den Grenzzaun zwischen ihren beiden Ländern. - © Foto: Herbert Vytiska

Herbert Vytiska: Das Kreuz und der Eiserne Vorhang

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30 Jahre nach 1989. FURCHE-Autor Herbert Vytiska hat im Lauf der letzten Monate mit Zeitzeugen aus ganz Europa darüber gesprochen.

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30 Jahre nach 1989. FURCHE-Autor Herbert Vytiska hat im Lauf der letzten Monate mit Zeitzeugen aus ganz Europa darüber gesprochen.

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Dieser eine Satz aus dem Telegramm des britischen Premierministers Winston Churchill an US-Präsident Truman, datiert mit 12. Mai 1945, bestimmt fast ein halbes Jahrhundert Europas Schicksal: „Von Stettin an der Ostsee bis Triest an der Adria hat sich ein Eiserner Vorhang auf Europa herabgesenkt.“ Die Sowjetunion nimmt sukzessive jene Gebiete, die sie mit der Roten Armee vom NS-Regime befreit hat, in Geiselhaft.

Schon mit Kriegsende begann man damit, die Westgrenzen dicht zu machen und einen Stacheldrahtzaun zu errichten, der schließlich zu einem perfekten Grenzsicherungssystem ausgebaut wurde. Zu Recht sprach man von einem „Todesstreifen“. Was sich hinter dem Eisernen Vorhang abspielte, davon wusste und erfuhr man nur wenig. Der Widerstand gegen das SowjetRegime organisierte und artikulierte sich in den einzelnen Volksdemokratien unterschiedlich. Nicht zuletzt auch, weil der Informationsaustausch zwischen den „Bruderstaaten“ fast nicht möglich war. Es ist symptomatisch, dass sich gerade durch die katholisch geprägten Länder Polen, Slowakei, Ungarn, Slowenien und Kroatien ein Trend zieht. Hier ist nämlich die Kirche an sich ein bestimmender Teil der Widerstandsbewegung.

Geistliche als Feindbild

Tschechien fehlt in dieser Aufzählung, so sehr auch hier die Kirche unter massivem Druck stand. So wurde etwa Kardinal František Tomášek in seiner Amtsausübung behindert und stand unter strengster Beobachtung der Sicherheitskräfte. Im Grunde aber ist Tschechien ein eher freidenkerisches Land. Die tragenden Kräfte waren hier, bereits ausgehend von der Kafka-Konferenz 1963, die Schriftsteller, die Intellektuellen, die sich schlussendlich in der Charta-77-Bewegung zusammenfanden. Dazu kamen noch die Wirtschaftstheoretiker, die maßgeblich zum Prager Frühling beitrugen. Feindbild der kommunistischen Machthaber waren von Anfang an Priester, Ordensleute, Klosterschwestern. Kirchen wurden verwüstet, Geistliche gefangen genommen, wer Religionsfreiheit allzu wörtlich nahm, landete hinter Gittern. 1948 wird der Fürstprimas von Ungarn, Kardinal József Mindszenty, verhaftet und in einem Schauprozess verurteilt, 1950 der tschechische Kardinal Josef Beran interniert. In die Internierung muss 1953 auch der polnische Kardinal Stefan Wyszyński. Die Brutalität des Vorgehens zeigt das Beispiel von Kardinal Ján Korec. Er war Jesuit, eine der führenden Persönlichkeiten der katholischen Kirche in der Slowakei im Untergrund. Mit 27 Jahren 1951 heimlich zum Bischof geweiht, arbeitete er neun Jahre in einer Fabrik und wirkte gleichzeitig als Untergrundpriester. Als seine Tarnung 1960 aufflog, wurde er zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Freilassung musste er bis zu seiner Rehabilitation als Straßenreiniger und Fabrikarbeiter sein Leben fristen. Aber auch Normalbürger bekamen zu spüren, dass Religionsausübung nicht geduldet war: „Menschen, die sich zum Glauben bekannten, hatten mit massiven Repressalien zu rechnen. Vor allem jene, die im Arbeitsleben standen, mussten sich daher oft areligiös geben. Es war die Generation der Großmütter, die den Kindern beibrachte, ein Kreuzzeichen zu machen, zu beten.“ (Monsignore Franz Schlegl) Nur so gelang es der Kirche zu bestehen. Mehr noch, sie wurde zu einem Zufluchtsort des Widerstands. Eigentlich waren die kommunistischen Akteure hilflos. So dachten sie, mit der „Friedenspriesterbewegung“ die Autorität der Amtskirche vor allem in der Tschechoslowakei und Ungarn untergraben zu können. Géza Jeszenszky, Außenminister und Wegbegleiter des ersten in Ungarn demokratisch gewählten Ministerpräsidenten József Antall: „Dabei handelte es sich um Priester, die absolut regimetreu waren. Sie wurden aber von der Bevölkerung nicht wirklich angenommen. Und so blieb nichts anderes übrig, als zu akzeptieren, dass bei Beerdigungen ein Priester dabei sein darf, dass die Familien ihre Babys taufen lassen dürfen. Gleichzeitig versuchte man zu unterbinden, dass Priester sich mit jungen Menschen beschäftigen. Man war der Meinung, dass, wenn immer weniger Leute religiös sind, irgendwann die Kirche dann ganz ausstirbt.“

„Habt keine Angst!“

Im Gegenteil. Mit der Wahl des Krakauer Kardinals Karol Wojtyła am 16. Oktober 1978 zum Papst wurde mehr als ein Signal gesetzt. Und zwar weit über Polen hinaus. Lojze Peterle, 1990 Ministerpräsident Sloweniens: „Das, was Papst Johannes Paul II. in Polen gesagt hat, nämlich habt keine Angst, das hatte nicht nur in Polen großes Echo gefunden, sondern auch bei uns.“ Das Entstehen der unabhängigen katholischen Gewerkschaftsbewegung „Solidarność“ im Jahre 1980 war unzweifelhaft eine Folge dessen, dass dieser Papst durch seine Herkunft, durch seine Kenntnis der Situation in einem kommunistischen Land Hoffnung gab. Nach der DDR 1953, Ungarn 1956 und Prag 1968 ereignete sich nun in Polen der vierte große Aufstand innerhalb der Satellitenstaaten Moskaus. Ganz anders als bei den vorhergegangenen Revolutionen verhielt sich in diesem Fall Moskau besonders zurückhaltend. Erst nach fast eineinhalb Jahren wurde das Kriegsrecht verhängt und auch die „Solidarność“ verboten. Vor allem aber: es gab keinen Einmarsch von Truppen der Roten Armee, weil – so die Meinung westlicher Sicherheitsexperten – man im Kreml Angst vor der Macht der Kirche hatte, sie nicht einschätzen konnte, noch dazu, da ein Pole jetzt Papst war und man sich um seine Wirkung und Ausstrahlung auf die Menschen, gerade im Osten, völlig im Unklaren war. Schon Mindszenty beklagte, nachdem er nicht zuletzt auf Druck des Vatikans ins Exil nach Österreich gegangen war, die Laschheit des Westens im Umgang mit den Kreml-Herren und ihren Vasallen. Auch die Solidarność bekam von westlichen Gewerkschaften nicht jene Solidarität, die sie sich verdient hätte. Die sozialdemokratischen Gewerkschafter empfanden sie geradezu als Störenfriede, die die über Jahre aufgebauten „freundschaftlichen Beziehungen“ mit den kommunistischen Staatsgewerkschaften gefährden würden. Die christdemokratischen Gewerkschafter, die spontan Hilfe und Unterstützung leisteten, bekamen dafür den ganzen Groll des damaligen ÖGB-Präsidenten zu spüren. FCG-Bundessekretär Günther Engelmayer schildert eine solche Szene: „Mit denen fangen wir uns gar nichts an, die sind gegen die Regierung, fauchte mich Benya an. Und weiter, der Kreisky hat gesagt, die sollen nicht streiken, sie sollen uns lieber die Kohle liefern, die wir für die Voest brauchen.“

Das Kreuz überstand ein gottloses System. Und es ist bemerkenswert, dass bei den ersten freien Wahlen in den ehemaligen Volksdemokratien die Christdemokraten siegten.

Die Kontakte zwischen den Oppositionellen in den einzelnen Volksdemokratien nehmen zu. So ein Treffpunkt für die Oppositionellen war, wie Monika, die Tochter des tschechischen Dissidenten Jiří Dienstbier, weiß, „auf der Schneekoppe, das ist die höchste Erhebung halb in Polen und halb in Tschechien“. Innerhalb der Oppositionsbewegung kursierte schon seit den 1970er-Jahren auch eine Publikation, die sich „Samisdat“ nannte. Das waren oft nur wenige mit der Hand oder Schreibmaschine verfasste Beiträge, hektographierte Seiten, die im Untergrund weitergereicht und verbreitet wurden. Dazu kamen Kurzwellsender wie Voice of America, Radio Free Europe und BBC. Aber auch der ORF, der weit in die Tschechoslowakei und nach Ungarn hinein empfangbar war.

Finanziell und moralisch bankrott

Mit Gorbatschows Glasnost- und Perestroika-Bewegung änderte sich die Situation. Nun hörte man immer öfter die Radiostationen aus Moskau, weil man dort genau das über die politische Entwicklung erfährt, was auch im eigenen Land schlagend werden könnte. Trotzdem kamen die Ereignisse des Jahres 1989 überraschend. Die westlichen Geheimdienste wussten zwar, so der deutsche Außenamtsexperte Frank Elbe, wer mit wem im Staatspräsidium ein Verhältnis hatte, nicht aber, dass das System finanziell und moralisch bankrott war. Das Kreuz überstand ein gottloses System. Und es ist bemerkenswert, dass aus den ersten freien Wahlen in den ehemaligen Volksdemokratien die Christdemokraten als Sieger hervorgingen. Mazowiecki in Warschau, Čarnogurský in Pressburg, Antall in Budapest, Peterle in Laibach (Klaus in Prag ist ein Liberalkonservativer). Mittlerweile spielen die Parteien mit dem hohen C eine untergeordnete Rolle. Peterle versucht das so zu erklären: „Die Christen waren die am meisten unterdrückte Gruppe der Bevölkerung. Die Wünsche und die Erwartungen der Christen waren sehr hoch und die Enttäuschung war daher auch sehr stark, dass nicht alles so lief, wie man es sich erhofft hatte. Wir haben ziemlich starke Wahlabstinenzen vor allem unter den Christen. Wir waren nicht imstande, ihre Sehnsüchte in ein paar Jahren zu verwirklichen.“ Karel Schwarzenberg, ein ganz wichtiger Unterstützer der Charta-77-Bewegung, sieht noch ein anderes Moment. Während Deutschland und Österreich nach 1945 sofort wieder die demokratische Tradition gewissermaßen reanimieren konnten, dauerte es in den östlichen Nachbarstaaten bis zu 44 Jahre, um mit dem demokratischen Lernprozess wieder beginnen zu können.

Der Autor, ehemaliger Pressesprecher von Alois Mock, ist Publizist und Politikberater

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