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Herbsttag in Gumpoldskirchen

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Nebel hegt über Gumpoldskirchen, über den endlosen Weinbergen mit ihren goldbraunen Reben, über den Hügeln, den kleinen Bergen, über der alten Römerstraße, die durch die Weingärten als schmales Band läuft, über der Ebene. Der Nebel eines Novembermorgens liegt über dem kleinen Dorf, dessen Name durch seinen Wein weltberühmt wurde; über der Kirche, dessen Turm angeblich ein alter römischer Wachtturm ist; über dem kleinen, aber schönen und noblen Schloß, Von dessen Erkerturm ein Kreuz in eigenartiger Form herunterblinkt. Ein Kreuz, das auch in der kleinen Dorfkirche zu sehen ist; auf den Altären, der Kanzel, dem Taufbecken. Ein Kreuz, das das Abzeichen jenes Ordens ist, dem die Kirche, das kleine Schloß und einige Weinberge rundherum gehören: des „Deutschen Ordens". Seit über 700 Jahren ist dieser paradiesische Fleck Erde im Besitz des Ordens. Rund fünfzig Jahre erst war er alt, als die Babenberger ihm dieses kleine Stück der Welt schenkten, zu einer Zeit, da der Orden sich eben anschickte, eine Welt zu erobern und eine Form zu finden, unter der er bekannt in der Geschichte sein sollte. Aber diese Form — sie war nicht seine erste — sollte sie seine endgültige sein?

Am Anfang des Ordens stand das „große Erbarmen”!

Während der langen Belagerung von Akkon gründeten 1190 ein paar Bremer und Lübecker Kaufleute aus Mitleid mit den von Seuchen Befallenen ein Zeltspital. Der Sohn Kaiser Barbarossas nahm es unter seinen Schutz. Sein Kaplan schloß die Helfer zu einer Bruderschaft zusammen. Ein paar Jahre später wurde aus der Bruderschaft ein Ritterorden, der neben der Pflege der Kranken noch den Schutz der Pilger sich zur Aufgabe erkor. Das „große Erbarmen" stand auch am Beginn des Ritterordens. Nach dem Vorbild der Templer nahmen sich die Brüder den weißen Mantel, an den sie ein Kreuz i-n Schwarz hefteten. „Schwarz-Weiß" wurden die Farben des Ordens, sie gingen auf den Staat über, den sich die Brüder bald im hohen Norden schufen, den preußischen Staat, und verblieben diesem Staat, als der Orden ihn längst schon verloren; Farben, die in der deutschen und europäischen Geschichte nicht immer einen guten Klang besaßen, bis sie 1945 mit dem Untergang Preußens auch als Farben erloschen. Nur der Orden, soweit er noch besteht, führt diese Farben weiter in seinem Wappen.

Im fahre 1230 trat an die Stelle des ,¡Erbarmens” das Schwert.

1226 rief der polnische Herzog von Maso- vien den Ritterorden zu Hilfe gegen die heidnischen Preußen. Erst nachdem der polnische Herzog alle Land, das der Orden erobern würde, entsagte, und Friedrich II. von Hohenstaufen dem Obern des Ordens im kommenden Staat alle Rechte eines Fürsten des Imperiums verliehen hatte, nahm der Orden an. 1231 gingen die ersten Ritter und Brüder des Ordens über die Weichsel und eröffneten den Kampf. Er sollte fünfzig Jahre um Preußen und hundert Jahre um Livland dauern. Und mit einem großen Siege enden, mit dem gleichzeitig ein neuer Staat entstand, der Ordensstaat Preußen. Ein straff organisierter Staat, mit einer Ordensregel als Verfassung. Ein mustergültig verwalteter Staat, der im Laufe der Jahrzehnte große kolonisatorische und missionarische Aufgaben erfüllte. Ein nationaldeutscher Staat inmitten einer nichtdeutschen Umwelt. Ein Staat, der von Anfang an mit einer großen Tragik behaftet war: denn er christianisierte mit dem Schwert und germanisierte im Zeichen des Kreuzes. Nicht viel mehr blieb übrig von dem „großen Erbarmen", das die ersten Brüder besessen. Von der ureigensten Aufgabe des Ordens, dem Schutz der Pilger nach Jerusalem, ward nicht mehr viel gesprochen. Eine ungeheure Tragik.

,,Die Brüder des Deutschen Ordens” — so schreibt Reinhold Schneider in seinem Buch „Die Hohenzollern" — „trugen als erste die Farben der künftigen Macht: aus dem Weiß des Mantels hob sich das schwarze Kreuz. Dieses Kreuz, das sie vereinte und ihnen Werk und Richtung gab, wich langsam zurück im Laufe der Jahrhunderte: vielleicht ist der ganze Inhalt der preußischen Geschichte nichts anderes als das Verschwinden des Kreuzes;

aus dem Mantel wird einmal ein Banner; aus demütiger Führerschaft Herrentum; aus dem Dienst an der Ewigkeit ein Dienst an der Erde.

Die Brüder wußten von der einzigen Gleichheit, die möglich ist auf Erden: von der Gleichheit vor dem Unendlichen. Da sie alle unverbrüchlich glaubten an das Jenseits, das sie erwartete; an die Macht, die ihnen befahl, so waren sie einander gleich. Das Gefühl ihrer Gleichheit mußte erlöschen, sobald der Glaube die richtende Kraft in ihrem Leben verlor: dies war das erste, das innere Schicksal der Brüder, mit dem sich das äußere der politischen Gegnerschaft und Uebermacht verbündete."

Wer das Schwert ergreift,

so heißt es in der Schrift, der soll durch das

Schwert umkommen. Das Schwert hatte den

Aufstieg des Ordens herbeigeführt, es sollte auch seinen Niedergang herbeiführen. 1410 kam es zum Krieg gegen Polen. Christen kämpften gegen Christen, ein Irrsinn an sich, besonders tragisch, weil auf der einen Seite ein Orden stand. Und es außerdem um rein irdische Ziele ging, um ein Stück irdische

Macht über einen Streifen irdLchen Landes. Am 15. August kam es zur Schlacht bei dem kleinen Dorf Tannenberg, einer Schlacht, die mit der gewaltigsten Niederlage des Ordens endigte. Was halfen alle Versuche, die Katastrophe zu überwinden, was alle ritterliche Tugend, alle mönchische Einfachheit. Was alle Gewalt, um Hilfen zu organisieren. Das Land selber, das der Orden besiegt und verwaltet, stand auf gegen ihn. Der Krieg gegen Polen schleppte sich weiter. Feinde innen, Feinde außen. Das Ende war die klägliche Kapitulation von Thorn im Jahre 1466. Westpreußen ging verloren, Ostpreußen konnte der Orden nur als polnisches Lehen behalten. Die Jahrzehnte, die nun folgten, waren ein Hinzueilen auf den Untergang. Um ihn so weit wie möglich hinauszuschieben, berief der Orden Söhne deutscher regierender Fürstenhäuser an seine Spitze. Die Verbindung zu den Mächtigen der Welt sollte den letzten Rest der eigenen Macht stützen. Aber eine dieser Stützen legte selbst die Axt an den Ordensstaat: der

Hochmeister Albrecht von Brandenburg, der von 1523 an sich geheim Luther näherte, erschien 1525 mit einer völlig ahnungslosen Abordnung des Ordens beim polnischen König, legte den Ordensmantel vor ihm ab und nahm Ostpreußen als weltliches Herzogtum zu Lehen. „Wenn der Mantel fällt, soll auch der Herzog fallen", dichtete Jahrhunderte später Schiller. Hier fiel nicht der Herzog, sondern der Ordensstaat Preußen mit dem Niederlegen des Ordensmantels vor dem polnischen König. Als der Orden 62 Jahre später auf ähnliche Weise das Baltikum verlor, war es mit seiner Souveränität endgültig vorbei.

Was nun kam, schien ein Vegetieren.

Der Rest des der alten Kirche treu gebliebenen Ordens erhielt sein Zentrum in Mergentheim, dem Sitz des Ordensstatthalters für Deutschland, dem „Deutschmeister", der sich nun „Hoch- und Deutschmeister" nannte. In den Türkenkriegen spielte der Orden eine gewisse Rolle, da er eine Reihe von Truppen ausrüstete, die schließlich zu einem Regiment zusammengefaßt wurden, dem snäter so berühmten Regiment „Hoch- und Deutschmeister". Nach den Türkenkriegen kam das Verdämmern. Der Orden wurde eine Versor gungsstätte für deutsche Adelige. In den napoleonischen Wirren schien endgültig sein Ende gekommen. Der Friede von Preßburg im Jahre 1805 bestimmte den Ordensbesitz, soweit er überhaupt noch vorhanden, als Ausstattung für eine erbliche habsburgische Nebenlinie. 1809 mußten alle Besitzungen in Deutschland abgetreten werden. Nur mit dem Besitz in Oesterreich hätte die nabsburgische Linie ausgestattet werden können. Da aber zeigte sich die katholische Gesinnung der Habsburger: sie verzichteten auf alle Rechte, die ihnen der Friede von Preßburg eingeräumt hatte, gaben dem Orden die Güter zurück und gewährten ihm das Recht, sich seinen Hochmeister selbst zu wählen. Allerdings sollte der Orden wenn möglich den Hochmeister aus jenen kaiserlichen Prinzen wählen, die Mitglieder des Ordens wären. Der Hochmeister nahm seinen Sitz in Wien.

Es war eine lange Wanderschaft bis zu diesem Punkt gewesen: zuerst hatten die

Hochmeister in Akkon residiert, dann in Venedig; dann auf der Marienburg; dann in Königsberg; dann in Mergentheim; nun konnten sie, die an der Spitze des Ordens standen, der sich immer noch „Brüderschaft des deutschen Hauses zu St. Marien in Jerusalem" nannte, aber niemals in Jerusalem residiert hatten, wenigstens in der Residenz der „Könige von Jerusalem", welchen Titel die Habsburger ja führten, ihren Sitz aufschlagen.

Oesterreich hat ein seltsames Geschick: Menschen, aber auch Institutionen auf ihren eigentlichen Sinn zurückzuführen. Wie viele fremde Namen sind durch Wien und Oesterreich das geworden, was eigentlich in ihnen schlummerte. Man denke an Beethoven und Brahms, an Metternich und Prinz Eugen, an Abraham a Sancta Clara und Laudon.

Eingebettet in den Schutz Oesterreichs begann sich auch der „Deutsche Orden" zu wandeln. Aus ihm heraus entstand neben dem „ritterlichen" Zweig ein priesterlicher und schwesterlicher. Nach 1918 verschwanden die Ritter überhaupt, er hörte auf, eine Art Adelskongregation zu sein, er hörte auf, ein Orden zu sein, in dem das Schwert, wenn auch nur eine noch symbolische Rolle, zu spielen hatte. Was zu Beginn als Leitmotiv über dem Orden stand, begann von neuem seine Existenz zu erfüllen: das „große Erbarmen" mit den Menschen.

Das „große Erbarmen" wird wohl auch über seiner ferneren Zukunft stehen. Das „große Erbarmen" mit einer besonderen Art von Menschen: den Deutschen. Denn dieses angeschlagene, dieses zerstörte Volk, bedarf heute mehr denn je der Sorge der Christenheit. Kurz nach dem zweiten Weltkrieg beschloß das Kapitel des „Deutschen Ordens" die Schaffung eines Dritten Ordens in die Wege zu leiten, der unter der Leitung des noch kleinen priesterlichen Ordens mithelfen könnte, das deutsche Volk aus einem Volk der Soldaten zu einem Volk der Beter zu machen.

Vielleicht beginnt damit erst die eigentlich große Zeit des Ordens ? Eine größere Geschichte, als sie die schließlich doch sehr fragliche Eroberung Preußens darstellt?

Die Gründer des Ordens haben ihn ins Leben gerufen, um die deutschen Pilger nach Jerusalem zu schützen. Die Aufgabe des Ordens ist noch immer gleich. Nur ist an Stelle des irdischen das himmlische Jerusalem getreten.

Langsam hebt sich der Nebel über Gumpoldskirchen.

Die Sonne bricht langsam durch. Noch goldgelber scheinen die Blätter der Weinreben. Die Konturen des Leithagebirges werden sichtbar, der alten Grenze gegen Ungarn. Eine eigentümliche Atmosphäre liegt über dem Land. Irgendwo spürt man den Osten, irgendwo die Adria, Triest, Dalmatien. Inmitten der Weinberge schlummert das kleine, aber schöne und noble Schloß mit dem eigentümlichen Kreuz auf dem Erkerturm, als träume es einer neuen Zeit entgegen.

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