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Hinter den Kulissen des Dritten Kaiserreiches

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Der Verlag hat, indem er den für eine illustrierte Wochenschrift oder einen Film passenden Untertitel an erste Stelle setzte, die Seriosität des vorliegenden Werkes nicht gebührend gewürdigt. Harriet Howard, eine nicht allzu begabte Schauspielerin, die durch ihre strahlende Schönheit und ihr ansprechendes Wesen in die Weltgeschichte eingegangen ist, hat Louis Bonaparte keineswegs „zum Kaiser gemacht“, sondern ihm lediglich aus dem Vermögen ihres unehelichen Sohnes die für den Aufstieg zur Macht und den luxuriösen Lebenswandel des kärglich begüterten Napoleoniden erforderlichen Millionen vorgestreckt. Verhängnis oder Zufall (wie man es nehmen will) hat sie im Salon des berühmten Grafen d'Orsay mit dem kürzlich aus der Gefangenschaft geflüchteten Louis Bonaparte zusammengeführt, der in der Festung Harn in Nordfrankreich wegen seines zweiten Putschversuches sechs Jahre interniert gewesen war und jetzt, dank Harriet Howard, in London eine dauernde Unterkunft finden sollte. Die zwei Jahre bis zum Sturz der Juli-Monarchie verbrachte er zumeist im Palais seiner Geliebten, was die englische Aristokratie dem früher als „Opfer Louis-Philippes“ populären Prätendenten entfremdete. Sein Erscheinen in der v Oeffentlichkeit an der Seite seiner Geliebten und die sonst mit dem Ansehen eines Prätendenten unvereinbare Lebensweise bekräftigte später die Herrscherhäuser in ihrer Zurückhaltung dem wegen seiner ple-biszitären Herkunft ohnehin wenig genehmen Monarchen gegenüber.

Die chaotischen Zustände nach der Proklamierung der Republik und das allgemeine Verlangen nach einer starken Hand haben Louis Bonaparte den Weg zur Macht mehr geebnet als die Verkündigung des von ihm entworfenen Wohlfahrtsprogramms. Schon im September 1848 wird er in fünf Wahlkreisen zum Deputierten, am 10. Dezember bereits zum Präsidenten der Republik gewählt. Ein Jahr später, auch dank den Millionen Harriets, gelingt der verblüffende Staatsstreich, nach welchem siebeneinhalb gegen eineinhalb Millionen Wähler ihm die Präsidentschaft auf zehn Jahre übertragen. Louis Bonaparte übersiedelt in die Tuilerien, während Harriet Howard ihre bisherige Wohnung behält. Sie hat ihren Sohn bei sich, aus dessen Vermögen auch der Aufwand für die zwei unehelichen Söhne des'fürstlichen Häftlings mit der- Wäscherin der Festung Ham, auf dessen Bitten zeitweilig auch dessen Halbbruder väterlicherseits, Luigi Graf Castelvecchio, bestritten wird. Hier, in der Rue de Cirque, haben sich seit jeher als Gäste Harriets, des Präsidenten anderer Halbbruder mütterlicherseits, Graf Morny, Sohn des Grafen Flahauts (eingestandenermaßen Sohn Talleyrands), Graf Wa-lewski, Sohn Napoleons I„ häufig eingefunden, wes-kulh diese Konventikeln „die Verschwörung der Bastarden“ genannt wurden. Noch vor der am 2. Dezember 18 52 erfolgten Proklamierung des Kaiserreiches hatte Louis Bonaparte vergeblich um Carola Wasa und Adelaide Hohenlohe-Langenburg geworben, sich aber gleichzeitig in Eugenie von Montijo verliebt, die ihn nicht im unklaren ließ, daß sie ihm nur als Gattin in die Tuilerien folgen würde.

Für den Kaiser stellte sich die heikle Frage, wie er als langjähriger Geliebter und Nutznießer des Vermögens eines Bastarden die Beziehungen- in würdiger Form lösen werde. In einer erregten Auseinandersetzung versprach er seiner Geliebten einen auf ihren Sohn übertragenen Grafentitel, ein Schloß und einen

„passenden Franzosen“ als Gatten. Die nachweisbar ausgelegten fünfeinhalb Millionen Franken wurden jedoch der nunmehrigen Gräfin von Beauregard erst 1855 rückerstattet, nachdem sie sich mehrmals an den Sekretär des Kaisers hatte wenden müssen. Anstatt des „passenden Franzosen“ heiratete sie Cla-rence Trelawny, einen Abenteurer £us schottischem Adelsgeschlecht, durch den die Schloßherrin sich eine Stellung zu sichern hoffte. Doch gehörten die nach Beauregard geladenen Damen weiterhin jener Klasse an, die Alexander Dumas junior kurz vorher, mehr ablehnend als verurteilend, „le demi-monde“ genannt hatte, während die Herren den nicht einwandfreien

Trelawny ablehnten. Aus diesem Ostrazismus ergab sich, daß er sich auf Kosten seiner Gattin möglichst viel im Ausland aufhielt, in späteren Jahren auch ihr eigener Sohn sich von seiner ihm jeden Wunsch erfüllenden Mutter fernhielt. Wegen so vieler Enttäuschungen und Demütigungen verließ Harriet immer seltener ihr Schloß, nach dem sie sich nannte, und begnügte sich mit der Gesellschaft von wie sie auf Abwege geratener Frauen, zumeist Freundinnen in ihrer Heimat prüder Engländer, von denen Simone .ndre-Maurois, einige anführt, die in Paris durch ihre überhebliche Rücksichtslosigkeit ihrer Nation wenig Ehre eingebracht haben.

Die ersten Anzeichen des Krebsleidens, dem Har-riett 1865 erlegen ist, bewogen sie auf kurze Zeit nach Paris, wie zum Abschied, zurückzukehren. Für eine Galapremiere mietete sie die große, der dem Kaiserpaar reservierten gegenüberliegenden Loge. Den ganzen Abend wandte sie das Opernglas nicht von den Majestäten ab, eine Herausforderung, die allgemein beanständet wurde. Immerhin konnte Harriet die Genugtuung im Bewußtsein empfinden, daß sie während der sechs mit dem Kaiser verlebten Jahre der reichlich gebende, kaltblütig mißbrauchte Teil gewesen war, wie es die Autorin ohne sensationelle Aufmachung schildert.

Die vorliegende Biographie enthält nebenbei auch viel Aufschlußreiches über das Milieu, in dem sich die englischen Müßiggänger und ihr Nachwuchs in Paris vergnügten. Die materielle Abhängigkeit Kaiser Napoleons von seiner Geliebten hat aber dem monarchischen Prinzip in Frankreich in den Augen seiner Gegner, die den Unterschied zwischen einem traditionsgebundenen und einem improvisierten Souverän nicht erfassen, eine schwer gutzumachende Einbuße zugefügt.

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