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Hofmannsthal und Calderon

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Durch fast sieben Jahrhunderte stand das Abendland unter der Führung der Romania: das mittelalterliche Frankreich wirkte auf sämtliche Literaturen Europas, Italien prägte das geistige Gesicht unseres Kulturraumes zur Zeit des Humanismus und der Renaissance, und nachdem Spanien im Zeitalter des Barock hervorgetreten war, ging die Führung aa das Frankreich des Klassizismus und der Aufklärung zurück. Aber auch während der letzten beiden Jahrhunderte, als die germanischen und slawischen Literaturen Europas erstarkten und — was ihre 'Weltgeltung betrifft — ebenbürtig neben die romanischen traten, blieb der Einfluß der Romania wirksam. Ihm war naturgemäß der südliche und westliche Teil des deutschen Sprachg:bietes in weit höherem Maße ausgesetzt als der Norden und Osten. Und noch eines: man nimmt nur auf, was im Keim bereits in einen gelegt ist. Die natürliche Disposition der Bewohner des südlichen Deutschland und Österreichs erleichterten und ermöglichten erst eine umfassende und tiefgreifende Einwirkung durch die romanischen Literaturen.

Während sich andere Dichter mit der Kultur der Romania, insbesondere mit ihrer Formenwelt, kritisch auseinandersetzen mußten (Klassizismus), brauchte Hofmannsthal nichts zu erobern oder neu zu entdecken. Er war der Erbe des reichen und vielgestaltigen Kulturbesitzes der alten Monarchie, er betrat angestammtes Land als 'Wiedererkennender. Zu seinem inneren Besitz gehörten Italien und Spanien nicht weniger als das Wien des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts. Unter den Dichtern der Romanitas, die für das Werk Hofmannsthals Bedeutung hatten und mit denen er sich beschäftigte, nimmt Calderon eine besondere Stellung ein. Vom „Kleinen Welttheater“ bis zum „Turm“ begleitet er, in wechselnder Gestalt und Gewandung freilich, das Werk des großen österreichischen Dichters.

In einer gereimten Epistel des jungen Hofmannsthal aus dem Jahre 1892 an Richard Beer-Hofmann treffen wir zum ersten Male den Vers des großen Spaniers, den vier-füßigen Trochäus, jenes Versmaß, das wesentlichen Eigenschaften der Diktion des Dichters besonders angemessen war. Wir finden es wieder in mehreren Stücken der „Nachlese der Gedichte“, in dem Gespräch „Großmutter und Enkel“ und in dem Prolog zu „Der Tor und der Tod“. Wir haben in diesen frühen Gedichten und Stücken zum ersten Male dasjenige, was eine spätere weitgehende Aneignung Calderons vorbereitet, nämlich Calderon „als Form“.

Deutlich greifbar wird die Wirkung Calderons in den beiden Gedichten „Der Schiffskoch, ein Gefangener, singt“ und „Der Kaiser von China spricht“. Im ersten ist es, neben dem Versmaß, die vollkommene Objektivierung und die für Calderon so charakteristische Art, aus einer Rolle heraus zu reden. Im zweiten ist es, wiederum neben dem Versmaß, der ganze Stil und die Haltung des Gedichtes: die hierarchische Art, Welt und Menschen zu sehen sowie der pathetische Stil, der später im „W;lttheater“ noch viel mehr ausgeprägt erscheint. In dem kleinen Drama „Der Kaiser und die Hexe“, 1897 entstanden, gestaltet Hofmannsthal das Problem von Schuld und Läuterung des Helden im christlichen Sinne und zwar in Stil und Gehalt mit deutlicher Anlehnung an den großen Spanier: die Schuld des Kaisers ist sein Zustand der Entfremdung von seiner höheren Bestimmung, den Hofmannsthal hier als Sündenfall darstellt. Aus eigener Kraft kann der Kaiser nicht gerettet werden. Nur durch die Läuterung, die ihm eine höhere Macht angedeihen läßt, wird er vom Zauber erlöst. Das ist Calderon in der gesamten Grundhaltung des Stückes, im sym-

bolisch-allegorischen Charakter der Figuren, im Vorgang der Läuterung des Kaisers und in der Art seiner endlichen Rettung durch die Gnadenwahl.

Am 12. und 13. Juni 1897 wurde im Arkadenhof des Wiener Rathauses Calderns „Großes Welttheater“ aufgeführt. Es ist zunehmen, daß der junge Hofmannsthal

der Aufführung beiwohnte oder zurrtindest von dem bedeutsamen theatralischen 'Ereignis Kenntnis hatte. Aus demselben Jaht stammt denn auch Hofmannsthals lyrisches1 Drama „Das kleine Welttheater“ oder „Pi: Glücklichen“. Im Jahre 1900 plant Hofmannsthal für Richard Strauß einen Opernteia „Spmi-ramis“ nach dem Calderonschen Drama „Die Tochter der Luft“ — ein Plan, dir., we wir wissen, nicht ausgeführt wurde 'In. diese Zeit fällt auch die Bühnenbearbeitung der ,Dame Kobold“, eines Mantel- uind Degenstückes. Zum Kern der Calderonsch'tn Kunst-und Weltauffassung stieß Hrtlmannsthal aber erst vor, als er sich mit den „autos sacramentales“, den geistlichen I Stielen des Spaniers, vertraut machte Diesen liegt die Auffassung zugrunde d*ß das menschliche Leben ein Spiel auf der Bühne ist; die Idee des Welttheaters; Der Klassiker dieser Form ist Calderon. Nehmen w.r noch .die Calde-ronsche Vorstellung vom Leben 'als einem Trauerspiel hinzu: so warer. hier wesentliche Komponenten von Hofmannsthiajs Welt-und Lebensauffassung vorgeformt.

Äußere Umstände kamer. den Ii itentionen des Dichters entgegen, als im Jahfe 1917 die

Sklzburger Festspielhausgemeinde gegründet wurde — zu einer Zeit schwerster wirtschaftlicher und sozialer Umwälzungen. Am fc2. August 1922 wurde da „Salzburger Große Welttheater“ in der Kollegienkirche ?um ersten Male aufgeführt. Der Dichter hat sich selbst viel um diese Aufführung bemüht und berichtet darüber ausführlich im Salzhurger Festspielalmanach auf das Jahr 1925. Im Vorwort zum Salzburger Welttheater hat Hofmannsthal selbst ausgesproch|tt, daß sein Drama mit dem Calderons in der1 Metapher übereinstimmt, „daß die Welt ein Schau-

gerüst aufbaut, worauf die Menschen in ihren von Gott ihnen zugeteilten Rollen das Spiel des Lebens aufführen; ferner der Titel dieses Spieles und die Namen der sechs Gestalten, durch welche die Menschheit dargestellt wird“. Die Gemeinsamkeit geht indessen wesentlich weiter. Neben dem religiösen Grundgehalt, der da und dort der gleiche ist. wenn wir den zeitlichen Abstand von fast dreihundert Jahren erwägen, ist es auch die Übereinstimmung im Formalen, die auf Calderon weist. Die Zusammenfassung in einen einzigen Akt, die Einführung bestimmter Personen und Handlungen, die Typisierung der Gestalten, die Darstellung von Gott und Welt auf der Bühne, der Totentanz: das alles ist nicht einfach mit einer Tradition zu erklären, die vom Mittelalter bis in die jüngste Zeit heraut Geltung hatte. Die beiden Dichtungen und ihre Schöpfer sind wesensverwandt. Wenn wir dies erkannt haben, so nimmt es uns auch nicht wunder, wie sehr Hofmannsthals Gedanken in die Calderonsche Vorstellungswelt eindringen. So etwa der, daß die Welt gleichsam den Prolog zum Spiel schafft, indem sie die Gestalten in ihre Gewänder hüllt, damit

sie zur Verkörperung einer Idee würden, und ihnen die Hüllen wieder abnimmt, sobald ihre Rolle zu Ende gespielt ist. In dieser Vorstellung lebt der Schicksalsbegriff Calderons, der den Zeitpunkt des Kommens und Gehens eines Menschen auf der Bühne des Lebens mit eiserner Gesetzmäßigkeit festlegt.

„Das Leben ein Traum“ („La vida Äs sueno“) ist derjenige Calderonsche Stoff, der Hofmannthal am längsten und intensivsten beschäftigt hat. Bereits 1902 entstand das in den „Rodauner Nachträgen“ abgedruckte Fragment „Das Leben — ein Traum“', das sich noch als freie Bearbeitung nach Calderon bezeichnet. Der zweite Leitgedanke Calderons — neben dem Weltspiel der Lebenstraum — findet hier seine klassische Verkörperung. Dieses Motiv, tragender Pfeiler des Grillparzerschen Dramas „Der Traum ein Leben“, von Hofmannsthal in seinem Jugendwerk „Der Tor und der Tod“ angeschlagen (der Übergang vom Lebenstraum zur Todeswachheit), hat der Dichter im „Turm“ so verwandelt und vertieft, daß es uns auf den ersten Blick nicht erkennbar sein mag. So verwandelt sich unter den Händen des Dichters, in immer neuen Umformungen und Fassungen., auch das ganze Drama Calderons, so daß schließlich nur noch die Grundfabel, das Gerüst der äußeren Handlung und die wichtigsten Gestalten übrig bleiben. Auch was den Gehalt, das innere Wesen und die treibenden Kräfte des Spieles betrifft, weicht Hofmannsthal von Calderon ab und geht weit über sein Vorbild hinaus. • Wo Calderon die unbeugsame Macht des Schicksals oder der Vorsehung am Werke sieht, da beginnen die Gestalten Hofmannsthals zu handeln. Und wo Calderon ein zeitloses katholisches Drama schafft, da gestaltet Hofmannsthal Zeitgeschehen in zeitloser Form und wehrt keinem der Ströme und Unterströme einer chaotisch bewegten Gegenwart den Einbruch in sein Werk.

Das stoffliche Gefüge des „Turm“ ist so dicht, seine Problematik so komplex und umfassend, daß im Rahmen dieser kurzen Studie nur andeutungsweise versucht werden kann, eine Vorstellung von seinem inneren Reichtum zu geben. Die Handlung ist in ein sagenhaft - unbestimmtes mittelalterliches Polen verlegt. Der König Basilius läßt aus Selbstliebe und Furcht seinen Erstgebo-enen, von dem ihm Unheil prophezeit wurde, vom Hof entfernen und zunächst bei Bauern auf-wadisen, dann den Jüngling in einen schrecklichen Kerker werfen, wo er wie ein Tier dahinlebt. Hierdurch versündigt er sich nicht nur an seinem Blut und dem Gesetz der Vaterschaft, sondern auch an der Menschengesellschaft und der natürlichen Ordnung. Der weise Arzt sagt, als er den Prinzen untersucht: „An der Stelle, wo dieses Leben aus den Wurzeln gerissen wird, entsteht ein Wirbel, der uns alle mit sich reißt.“ Ein verlorener Krieg, Korruption am Hof, wirtschaftliche Krisen, Bürgerkrieg und Abfall der Kirche vom König bringen den Thron zum Wanken. Die alten Ordnungen verschieben sich, neue Mächte stehen auf, und in seiner höchsten Not muß sich der König an den einzigen legitimen Thronanwärter, seinen verbannten Sohn, wenden, Noch einmal bekommt der König die Zügel der Macht in die Hand, aber sogleich verschlingt ihn der Umsturz, die Resolution. Jetzt drängt die Adelskaste unter der Führung des ehrgeizigen und skrupellosen Julian zur Macht. Als Kerkermeister des Prinzen glaubt er Sigismund als sein willenloses Werkzeug in der Hand zu haben. Aber gerade da, wo er ihn am nötigsten braucht, entzieht sich ihm der Prinz. Er hat das böso Wesen seines angeblichen Freundes erkannt, und die Revolution schlägt auch über Julian zusammen. Auch einem zweiten, Olivier, der die Blutfahne entfaltet, entzieht sich der Prinz. Je mächtiger und drohender um ihn her das Chaos herrscht in umso stärkerem Licht strahlt die Unschuld seines reinen

Menschentums. Halb Held, halb Heiliger will er gegen die unteren Gewalten vorgehen, um eine neue Ordnung in der Welt zu begründen. Sigismund läßt sich als Bettlerkönig von den Armen einkleiden. Nachdem er die Anarchie gemeistert hat, schließen sich ihm audi die Mächtigen des Landes an, di: Wojewoden und der Adel. Aber nicht etwa, um an seinem Werk mitzuhelfen, sondern um ihn an sich zu binden und an ihre Interessen zu fesseln. Aber Sigismund weist ihre alte Königskrone ab; er will beides zugleich tun: ordnen und aus der alten Ordnung heraustreten. Diese neue Ordnung aber soll nicht auf Gewalt aufgebaut sein, sondern auf der freien Einwilligung aller. Sterbend hinterläßt er den Seinen, die an ihn glauben, das Evangelium der Gewaltlosigkeit, und im Kinderkönig erglänzt das Symbol einer reinen, sdiuld-losen und glücklicheren Generation. In ihr erfüllt sich der letzte und höchste Gedanke des jungen Königs. Von dieser neuen Jugend

heißt es: „Sie pflügen und leben wieder, wie]

die Menschen vordem. Sie verrichten Hand-i werk und singen dazu. Sie haben Hütten; gebaut und halten Feuer auf den Essen ur schmieden die Sdiwerter zu Pflugscharen.“' Sie haben sich selbst neue Gesetze gegeben, und das Vermächtnis der Vorfahren i;,jf ihnen heilig: „Bei den Toten stellen sjK: Liditer auf.“

Dem Gehalt dieser Dichtung entsprk Kfc auch ihre Sprachform. Calderons spanische Trophäen hätten diesen Inhalt nicht mel&r zu fassen vermocht. Was manchem zunächsi: als expressionistischer Stil erscheinen mqirj*;, ist das der Fülle und Größe der Idee am.$o messene Pathos, ist eine bis zum Reiß an angespannte Sprachform. Was Heinrich vn Kleist erstrebte: die Synthese von Sophok'fes; und Shakespeare, von Klassik und Romcai-tik, ist hier erreicht. Klassisches und Romar -tisches, um barocke Züge vermehrt, d(r chaotisdie Stoff einer bewegten Zeit ii eherne Form eingeschmolzen: das ist die Lei.

stung Hofmannsthals, tn der sich nicht am ein Dichterleben, sondern auch eine Zeitwende spiegelt und erfüllt. Wir wollen diese kurze Studie, die nur ein einziges Thema der Hofmannsthal-Forsdiung anschlägt, nicht schließen, ohne darauf zu verweisen, daß eine umfassende monographische Würdigung des Werkes dieses letzten großen österreichischen Dichters von Weltgeltung aus der Feder eines seiner Landsleute noch aussteht. Und wir möchten ferner darauf aufmerksam madien, daß das große Drama, welches Hofmannsthals Lebenswerk krönt und sein Vermäditnis an uns ist, der „Turm“, seiner Wiederaufführung, ja eigentlich erst seiner Entdeckung harrt. Dies Werk vor allem, aber auch „Das Salzburger Große Welttheater“ und die gewaltige ödipus-Tragödie durch mustergültige Aufführungen in die geistigen Auseinandersetzungen der Gegenwart zu stellen — könnte es eine größere und würdigere Aufgabe für unser neues Burgtheater geben?

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