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Hohenwarts Verhältnis zu Bismarck

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Es mag Vielen gewagt erscheinen, diese beiden Namen einander gegenüberzustellen, da Hohenwart scheinbar der Vergessenheit verfallen ist, ohne irgendein äußerlich in die Augen fallendes Lebenswerk hinterlassen zu haben, das ihn als Denkmal für kommende Geschlechter ehrt, wogegen Bismarck mit dem Nimbus eines der erfolgreichsten Staatslenker aller Zeiten in die Geschichte eingegangen ist.

Hohenwart, der heute Vergessene, stand einstens, von Haß und Bewunderung heiß umbrandet, im Mittelpunkt des politischen Kräftespieles, als der Ministerpräsident des böhmischen Ausgleichs und'der „Fundamentalartikel“, der Bahnbrecher des Föderalismus, der Vorkämpfer der „historisch-politischen Individualitäten“, der Förderer und Gönner des Austroslawismus und einer aktiven Orientpolitik, endlich als der langjährige Führer der konservativen Partei und des „Eisernen Ringes“ der Rechten. Als Regierungschef wirkte er nur dreiviertel Jahre (1871), dagegen auf parlamentarischem Uoden 25 Jahre lang als leitender, ausschlaggebender Organisator und als seltener, aber epochemadiender Redner (1873 bis 1897).

Nichtsdestoweniger haben sich ihre Wege gekreuzt und besteht auch zwischen ihnen eine gewisse ' Wediselwirkung, wobei jeder von ihnen im besten und vollendetsten Sinne die Ideen seines Staates und seiner Dynastie verkörpert.

Bismarck vereint in seiner Person alle Vorzüge, aber audi alle feindlichen Kräfte des Preußentums, wogegen Hohenwarts Charakter und Mentalität durchaus österreichische Züge trägt und seine ganze Weltanschauung das Wesen und die Mission des großen Völkerreiches an der Donau widerspiegelt. Daß er durch äußere Umstände verhindert war, sein großes Ideengebäude in die Tat umzusetzen, ist seine und des alten Donaureiches gemeinsame große Tragik.

In einem Briefe des Grafen Clam-Martinic an Dr. Albert Schäffle vom 13. Jänner 1885, betreffend die Krise des Ministeriums Ho-henwart-Schäffle im Jahre 1871, heißt es: „Wenn man so recht im Detail die Tage der Peripetie der ganzen Handlung sich vergegenwärtigt, so stellt sich diese einem entgegen — wie eine großartige Tragödie.“

Aber Hohenwarts Programm ist nicht tot, sein Gedankenerbe wirkt fort bis in unsere Zeit und bildet heute die natürlidie Brücke zwischen Alt- und Neuösterreich.

Die rigoroseste Anwendung der Moral auf politischem Gebiete, die Politik auf Grundlage der Gerechtigkeit, der Schutz aller historischen Redite, die Pflege der Tradition und die gleichmäßige Fürsorge für gleichberechtigte Völker, sind die Leitsterne von Hohenwarts Politik.

Ganz anders Fürst Bismarck, der im Dienste seiner patriotisch-dynastischen Ideale nicht wählerisch war in seinen Mitteln und auch die Beugung des Rechtes und die Anwendung der Gewalt für erlaubt hielt. „Macht vor Recht“ ist die Parole, welche sein Wirken wie das des Hauses Hohenzollern charakterisiert. Schon der „Große Kurfürst“ ist in diesen Bahnen gewandelt, und Friedrich der „Große“ hat auf diesem Gebiete einen Rekord erreicht.

Die Proklamierung des neuen deutschen Kaisertums im Spiegelsaal von Versailles bedeutet den Höhepunkt der Erfolge des Systems Hohenzollern-Bismardk.

Es fragte sich, welche Rückwirkung dieses große historische Ereignis auf das habs-burgische Donaureich ausüben werde. Bismarck selbst riet Österreich nach 1866, seinen Schwerpunkt nachOstenzuver-legen. Auch viele österreichische Patrioten waren dieser Meinung, wünschten jedoch eine möglichst breite Basis für eine aktive Außenpolitik. Als solche erschien namentlich das österreichische Slawentum geeignet. Die Wiedereinsetzung des Königreiches Böhmen in seine historischen Rechte sollte ein natürliches Gegengewicht zur Wiederannäherung Österreichs an Preußen-Deutschland bilden. So dachte besonders Hohenwart. Für Deutschland war die Sicherung seiner südöstlichen Flanke und die Freundschaft Österreichs sehr wichtig angesichts der durch die Annexion Elsaß-Lothringens verursachten Verbitterung Frankreichs und dessen stets wachsender Revanchelust. In Rußland war zwar der regierende Zar Alexander II. ein treuer Anhänger seines Oheims Kaiser Wilhelm I., aber man mußte damit rechnen, daß die panslawistische Partei mehr zu Frankreich neigte und der Thronfolger mit ihr sympathisierte. So schien es, daß Österreich in der Lage war, in der inneren Politik seine eigenen Wege zu wandeln und von Deutschland als Preis seiner Freundschaft und eines eventuellen Bündnisses freie Hand für seinen inneren Aufbau im Sinne des Föderalismus fordern zu dürfen. Reichskanzler B e u s t hielt den Dualismus für die einzig richtige Gestaltung der Donaumonarchie, wünschte in der westlichen Reichshälfte eine möglichst starke deutsche Führung und betrachtete Ungarn als den geeignetsten Hebel der künftigen Orientpolitik. Es war dies allerdings eine viel schmälere Basis als das Slawentum. Aber auch Bismarck dachte in diesem Punkte wie er. Beust war ein gewiegter und schjauer Diplomat und hatte sich als Gegenspieler Bismarcks sowie als Vorkämpfer der deutschen Mittelstaaten und der „Trias-Idee“ (1848 bis 1866) trefflich bewährt. Nach Königgrätz vom Kronprinzen Albert von Sachsen dem Kaiser Franz Joseph empfohlen, trat er in österreichische Staatsdienste über, als seine besten Leistungen und Erfolge schon hinter ihm lagen. Bei allem diplomatisdien Geschick haftete ihm aber doch eine gewisse Leichtfertigkeit des Wesens an.

Es fehlte ihm an Charakterstärke und Tiefe der Weltanschauung, an Überzeugungstreue und Gründlichkeit. Dagegen besaß er einen gewissen Hang zur Intrige und viel Geschäftssinn. Auch war Österreich für ihn politisches Neuland, weshalb er sich nicht genügend in die Traditionen und den Genius des Donaureiches sowie in die Mentalität seiner Völker einleben konnte. Er war vom Geiste des Weltliberalismus getragen und verhalf auch in Österreich dem Freisinn und dem Manchestertum zum Aufstieg, organisierte den paritätischen Dualismus mit ..antiklerikaler und antislawischer“ Spitze.

So stand seine Tnnenpolitik in diametralem Gegensatz zu Hohenwart! Er war wohl offiziell nur mehr auf das äußere Ressort beschränkt. Doch ließen sich die beiden Gebiete nicht dauernd scharf voneinander trennen, und Beust wollte „ein ganzer Reichskanzler“ wie Bismarck sein und alle Fäden in einer Hand vereinigen.

Dazu kam der latente persönliche Konflikt mit dem Handels- und Ackerbauminister Dr. Schäffle in Fragen des Börsenhandels. Die beiden Minister standen mittels ihrer publizistischen Organe in einem geheimen Kriegszustand.

So mußte es früher oder später zu einem Zusammenstoß zwischen dem gemeinsamen österreichisch-ungarischen Reichskanzler und der zisleithanischen Regierung kommen. Vorläufig spielte aber Beust noch nicht mit offenen Karten, sondern wartete vorsichtig auf den günstigsten Moment, um seinen Schlag gegen das Kabinett Hohenwart-Sdiäffle auszuführen.

Bismarck gab, sobald sich der Gegensatz zwischen Beust und Hohenwart offenbarte, seihen publizistischen Organen in Österreich die geheime Losung: „Beust gegen Hohenwart stützen!“

Wenngleich Bismarck und Beust in der Vorliebe für Ungarn und der gewünschten Förderung des magyarischen Einflusses in der Donaumonarchie übereinstimmten und andererseits sowohl Beust als Hohenwart die Notwendigkeit einer Verständigung mit Bismarck und einer dauernden Freundschaft mit dem neuen Deutschen Reich anerkannten, herrschte doch zwischen diesen drei leitenden Staatsmännern Mitteleuropas untereinander noch das größte Mißtrauen, insbesondere Bismarck war den beiden österreichischen Staatslenkern im Inneren spinnefeind. Er fürchtete immer noch, daß ein von Beust deutsch gelenktes Österreich auf Umwegen eine allmähliche Angliederung an Deutschland auf paritätischer Grundlage mit Preußen anstreben und erfolgreich um die Sympathien der süddeutschen Staaten werben könnte. Andererseits hielt er Hohenwarts föderalistische und slawenfreundliche Politik für eine noch größere Gefahr, welche zur Einkreisung Preußen-Deutschlands und seiner Abschnürung vom Osten führen könnte.

Daher wünschte Bismarck den Sturz beider Staatsmänner und war über die zunehmende Spannung zwischen ihnen erfreut, wogegen der ungarische Ministerpräsident Andrassy seine vollen Sympathien genoß.

Der Gegensatz zwischen Beust und den zisleithanischen Ministern zeigte sich zum erstenmal öffentlich bei einer Feier an der Universität am 9. Oktober 1871, zu welcher die Minister geladen waren. Es kam zu großen Skandalen in der Aula, indem gegen Dr. Schäffle und die beiden tschechischen Minister Pereat-Rufe ausgebracht, dem

Reichskanzler Beust jedoch Ovationen bereitet wurden.

Zwei Monate früher, .als der Konflikt noch nicht offenbar war, fanden schon bedeutsame Monarchen- und Ministerzusammenkünfte in Wels, Gastein, Ischl und - Salzburg statt, welche möglicherweise die Ereignisse einleiteten, die zum Sturze der beiden Antipoden führten ...

Bismarck wünschte das Steuerruder der österreichisch-ungarischen Außenpolitik in der Hand eines magyarischen Staatsmannes zu sehen, was ihm die beste Gewähr für eine gemeinsame Außenpolitik der beiden mitteleuropäischen Reiche und für den endgültigen Verzicht Österreichs auf Wiedergewinnung seiner verlorenen Stellung in Deutschland schien. — Dieser Wunsch sollte sich bald erfüllen!

Vorher wollte Bismarck noch die österreichischen Minister in Augenschein nehmen und sich persönlich über ihre Intentionen informieren.

Beust hatte mittlerweile bereits seine Annäherung an Bismardt auf Grundlage des gemeinsamen Kampfes gegen die „rote und schwarze Internationale“ eingeleitet. Schäffle glaubt in seinen Memoiren, daß die oben angedeuteten Monarchen- und Ministerentrevuen vielleicht eine „Madie Beusts“ zum Sturze seiner Rivalen waren. Hohenwart warnte den Kaiser vor der Zusammenkunft mit Wilhelm I. in Wels. Doch ließ sie sich nicht mehr umgehen.

Die beiden Kaiser fuhren zusammen von Wels über Gmunden nach Ischl. Bei einer Unterredung in Ischl äußerte Kaiser Wilhelm den Wunsch, man .möge mindestens verhüten, daß „nationale Schmerzensschreie“ nach Deutschland dringen. Eine ähnliche Bemerkung machte Kaiser Wilhelm auch gegen Beust. Im übrigen beteuerte er, sich nicht in die österreichische Staatskrise einmischen zu wollen. Von Ischl reiste Kaiser Wilhelm über Salzburg nach Gastein. Kaiser Franz Joseph feierte noch in Ischl sein Geburtsfest am 18. August in Gesellschaft seines besten Freundes, des Kronprinzen Albert von Sachsen, welcher möglicherweise noch einmal für Beust Stimmung machte. Hierauf reiste er noch im August nach Gastein, wohin Beust ihm vorausgeeilt war. Dort hatte Beust eine längere Audienz bei Kaiser Wilhelm und war eifrig bemüht, Bismarck für eine gemeinsame Aktion gegen die „beiden Internationalen“ zu stimmen. Zur Salzbuger Entrevue kam auch Graf Hohenwart. Nun holte Bismarck seinerseits Hohenwart über seine Stellung zur gleichen Frage aus. Bismarck erklärte, die schwarze Internationale sei noch gefährlicher als die rote und propagierte schon damals die Ideen des Kulturkampfes, welcher zwei Jahre später in Preußen ausbrach.

Hohenwart verhielt sich gegen Bismarcks Vorschläge nach beiden Richtungen ablehnend. Gegen Ruhestörungen auf sozialem Gebiete genügten die bestehenden Gesetze, und zu einem Kampf gegen die Kirche sehe er keinerlei Anlaß. Ein solcher Kampf würde erst recht „eine Verlegenheit bereitende klerikale Partei“ schaffen, und die Kirche würde, wie immer noch, als Siegerin aus diesem Kampfe hervorgehen.

Dies war anscheinend die einzige Unterredung Hohenwarts mit Bismarck. Das nationale Problem in Österreich wurde dabei unseres Wissens nicht berührt.

Bei der Salzburger Entrevue erhielt Hohenwart von Schäffle die telegraphisdie Nachricht von einem entscheidenden Wahlsieg in Mähren, eine Nadiricht, über welche Kaiser Franz Joseph hocherfreut war. Der Kaiser war auch bemüht, die Unterstützung des Grafen Andrassy für das Programm Hohenwart-Sdiäffle zu gewinnen. Der ungarische Premierminister war bis dahin noch ganz reserviert und wurde erst später von Beust einerseits und den ungarischen Freimaurern andererseits in Kampfstimmung gegen Hohenwart versetzt.

Hohenwart hatte in Salzburg eine drei-viertelstündigc Audienz bei Kaiser Wilhelm I., der ihm wiederholt die Hand drückte.

Das eben erwähnte Telegramm Schaf fies traf gerade bei einem Hoffest in Hellbrunn ein. Der Kaiser gab es auch dem Grafen Beust zu lesen, der mit süßsaurer Miene bemerkte, er hätte diesen Erfolg für unmöglich gehalten.

Hohenwart besaß noch das volle Vertrauen seines kaiserlichen FIcrrn. Auf eine Beschwerde Hohenwarts über das illoyale Verhalten Beusts bei den Demonstrationen in der Aula am 9. Oktober 1871 bat jedoch der Kaiser Hohenwart, die Sache vorläufig auf sich beruhen zu lassen. Er werde der österreichischen Regierung in einem späteren Zeitpunkte Genugtuung verschaffen. Es war dies das erste Vorzeidien des überwiegenden ungarischen Einflusses und eines dadurdi bewirkten Sdiwankens der kaiserlichen Willensmcinung ...

Ende des Monats fiel im großen Kronrat die folgenschwere Entscheidung gegen Hohenwart, von der mandie glaubten, sie sei insofern ein Werk Bismarcks, als letzterer in Gastein mit Beust gegen Hohenwart und mit Andrassy gegen Beust konspiriert hätte.

Sei dem wie immer, jedenfalls blieben Bismarck und Andrassy die ;i folgreichen Nutznießer der „Katastrophe Hohenwart-Beust“, und ihre gemeinsame Außenpolitik entsprach vorläufig nodi ganz den Interessen der Donaumonarchie, deren wachsenden Einfluß im näheren Orient sie kräftig stützte. In diesem Punkte war Hohenwart mit ihnen eines Sinnes, indem er eine friedliche Expansion auf dem Balkan wünschte und die Okkupation Bosniens und der Herzegowina mit Begeisterung begrüßte: nur daß er als Mauerbrecher nicht wie die beiden Vorgenannten, das magyarische sondern das slawische Element wünschte ...

Hohenwart hätte sich sidier auch als Außenminister bewährt; aber seine historische Aufgabe war es vielmehr, die inneren Voraussetzungen einer' ruhmvollen Außenpolitik zu schaffen ...

Hohenwart war unseres Erachtens der gediegenste Staatsmann Österreichs im 19 |ahr-hvndert, wenn ihm au*h der äußere Erfolg durch übermäßige Gegenströmungen zum rmßen Teil entrissen wurde.

In magnis et voluisse sat est An Konsequenz und Geradlinigkeit ist ihm kein anderer gleichgekommen, da selbst Metternich das Legitimitätsprinzip zeitweilig Gründen der Opportunität und persönlichen Sympathien nachstellte und Felix Schwarzenberg zu sehr auf Machtpolitik eingestellt war.

Hohenwart vertrat dagegen vorbehaltlos das historische und natürliche Recht, und so bleibt sein Name auch noch heute ein Programm.

Er wünscht gute Beziehungen zu Bismarck, jedoch nicht auf Kosten von Österreichs Würde und Unabhängigkeit. So lehnte er auch vor seinem Antritt als Kabinettschef die Intervention eines maßgebenden Hofwürdenträgers (Graf D.) ab, welcher eigens nach Berlin reisen wollte, um bei Bismarck für das Programm der neuen Regierung die Wege zu ebnen und vermutete Bedenken gegen das System Hohen-wart-Schäffle zu zerstreuen.

,JEin Bitten um gutes Wetter in Berlin für ein Wiener Ministerium erschien uns der Würde Österreichs zuwider“, sagte Schäffle.

Bismarcks Schöpfung hat ihren Schöpfer nicht allzulange überlebt und ist in den beiden Weltkriegen tragisch zusammengebrochen.

Auch der Kampf gegen die beiden „Internationalen“ ist verloren!...

Ein halbes Jahrhundert nach Bismarck hat ein gewissenloser Stümper über Deutschland und Europa namenloses Elend gebracht. Jedoch die beiden „Internationalen“ sind über das zerstörte Lebenswerk des Eisernen Kanzlers und über die Trümmer des Zweiten und Dritten Reiches unbeschädigt und triumphierend hinweggeschritten!

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