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Hund und Eber

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Bald nach 1326 starb Berchtold von Kremsmünster, der unter dem Namen „Bernardus Noricus“ bekannte Geschichtsschreiber des Benediktinerstiftes an der Krems. In der „Narracio de Ecclesia Chremsmunstrensi“ erzählt er, daß das Kloster von Herzog Tassilo III. an jener Stätte gegründet wurde, an der dessen Sohn Gunther bei einer Jagd durch einen verwundeten Eber tödlich verletzt worden war. Dieser Bericht wurde in der Folgezeit oft künstlerisch verwertet: Abt Wolfgang Widen er ließ 1494 an der Südwand dV Kirche ein Fresko mit der Gründungslegende anbringen (gegenwärtig übertündit), in der Grotte am Gunterteich und am früheren Hochaltar von 1618 war Gunther mit dem Eber und dem Jagdhund zu sehen, am Einfahrtstor sah man ihn verwundet zu Füßen des Herzogs Tassilo (entfernt), Bartolomeo Altomonte hat 1764 seine Auffindung im Walde gemalt.

Vor Monaten ging durch die Presse die Notiz, daß in der Kirche in Kremsmünster „unterhalb des Presbyteriums der Abschlußstein des Hochgrabes entdeckt wurde, in dem Günther, der Nachkomme des Herzogs Tassilo, bestattet lag“. In einem interessanten Aufsatz der „Furche“ (24. Juli) hat nun P. A. Kellner, der Kustos der Stiftskirche, die näheren Umstände und die Untersuchung der Wiederauffindung dargelegt. Danach wurde die schwere Marmorplatte der kleinen Krypta, welche die Gebeine des seligen Mönches Wisinto und des Agilol- fingers bewahrte, gehoben und man fand dort eingelassen die polychromierte Abschluß- platte des romanischen Hochgrabes, das früher in der Kirche gestanden war, mit dem darauf liegend dargestellten - Herzogssohn, zu seinen Füßen ein weißer Hund, zu seiner Rechten ein Eber. Die historische Forschung sagt nun, daß ein Sohn Tassilos mit dem Namen Gunther nicht nachweisbar ist, der Stiftsbrief erwähnt das Ereignis nicht. Wo liegt also die Wurzel für Legende und Darstellung?

In Klosterneuburg befinden sich vier Bilder mit Szenen aus dem Leben des 1485 heiliggesprochenen Markgrafen Leopold. Wir sehen den Ausritt zur Jagd, die E r- legung des Ebers, die Auffindung des Schleiers und die Erbauung des Klosters bei der „Neuburg“, der neuen Residenz des babenbergischen Markgrafen; auf diesem letzten Bild findet sich die Signatur R(ueland) F(rueauf d. J.) und die Datierung, die als 1507 oder 1501 gelesen wird. Die sogenannte „Sauhatz“, bsi welcher drei Jäger den von Hunden gehetzten Eber durch Lanzenstiche erlegen, wurde „einzigartig als rein profane, heiligenlose Darstellung auf dem Altar“ genannt. Auf gotischen Altären ist jedoch nichts bedeutunglos und reiner Schmuck! Die Tötung des Ebers ist hier symbolisch aufzufassen.

Im Jahre 1506 fand anläßlich der Erhebung der Gebeine des hl. Leopold in Klosterneuburg eine regelrechte „Historikertagung“ statt. Konrad Peutinger bericht nach Augsburg, daß Maximilian I. ihn und „etlicn seiner kgl. gnad gelerte rete“ dort zusammenberufen habe — wahrscheinlich Johannes Cuspinian, Jacob Menne!, Conrad Celtis und andere — und daß er „von allen orten cronica und historien“ herbeibringen ließ. Cuspinian hat nun in seiner 1528 geschriebenen „Austria“ die Meinung vertreten, daß Klosterneuburg eine Sühnestiftung für den im Kirchenbann verstorbenen Kaiser Heinrich IV. sei, den Markgraf Leopold III. bei einer Auseinandersetzung am Flusse Regen im Jahre 1105 verlassen hatte, um zu dessen Sohn Heinrich V. überzugehen, der ihm dafür seine Schwester Agnes zur Frau gab. Cuspinian ist der erste, der uns davon berichtet, und da er von jenen Ereignissen schon mehr als 400 Jahre entfernt war, wollte man ihm keinen Glauben schenken. In dem besprochenen Bild seihen wir nun einen neuen Beweis dafür, daß die Ansicht Cuspinians von der Klostergründung „mit jener der Klosterneuburger Chorherrn vom Beginn des 16. Jahrhunderts sich vollkommen deckt“ (Maschek, MIÖG 47, 1933).

Der Passauer Maler Rueland Frueauf d. J. hatte schon 1486 einen großen Altar für Klosterneuburg geschaffen. 1506 befand er sidt wahrscheinlich erneut in Klosterneuburg und bekam dort Auftrag und Anweisungen für diesen großen Leopoldsaltar, den er dann 1507 fertigstellte. Darauf sollte nun auch bildlich wiedergegeben werden, was die historische Forschung der Humanisten herausgefunden hatte, und man griff zu der symbolischen Darstellung der Tötung des Ebers. Der Eber, nur in wenigen Stellen der germanischen Mythologie als umschreibender Ausdruck für Kraft und Unwiderstehlichkeit — also in einem guten Aspekt — nachweisbar, ist hier Sinnbild des Animalischen, des Irdischen. Erst nachdem alles Böse, alle Leidenschaften unterdrückt sind, kann man das Göttliche erkennen — erst nachdem der Eber getötet ist, kann Markgraf Leopold den Schleier finden und die Madonna über diesem erblicken! Erneut ein Beispiel dafür, wie unvollständig wir heute oft mittelalterliche Kunstwerke begreifen (vgl. F. Unterkircher in der „Furche“ vom 3. August 1946). Wir sehen heute nur eine Landschafts- und Jagddarstellung, damals erfaßten alle Beschauer sofort das Wesen dieses symbolischen Hinweises!

Nur kurz sei darauf hingewiesen, daß Schweine auch auf mittelalterlichen Darstellungen der Jahreszeiten zu sehen sind: An den Kathedralen von Paris und Chartres zeigen die Reliefs der verschiedenen Monate im November eine Schweinemast, im Dezember aber das Schweineschlachten (Paris, Reims, Senlis). Auf dem Annusblatt aus St. Florian, um 1300, sehen wir im „autum- nus“ die Erlegung des Wildschweines, ähnlich auch in einem Kalender in Heiligenkreuz oder — auch kompositioneil ein Vorgänger des Klosterneuburger Bildes — in einem Stundenbuch des Herzogs von Berry, um 1415, als „Dezember“: ja noch auf dem bekannten Bild Breughels, der „Heimkehr der Jäger“, wird links ein Schwein gebraten, so daß man wohl mit Recht darin den „Dezember“ erblicken will. Vielleicht ist auch diese Gruppe nicht nur als profane Darstellung aus dem Leben des mittelalterlichen Menschen aufzufassen; wer tiefer blickt, wird darin das Zeichen für das Ende der Finsternis, für die Überwindung des Dunkels und den neuen Sieg des Lichtes zur Zeit der Wintersonnenwende und der Geburt Jesu erkennen.

Der Hund, das zweite auf dem Stiftergrab in Kremsmünster dargestellte Tier, ist im Mittelalter das Symbol der Macht, doch nur im irdischen oder gar im bösen Sinne (Hundetragen“ als schimpfliche Strafe im altdeutschen Recht). Der Hund dient nie als Symbol oder Begleiter Christi, hingegen finden wir ihn auf Kreuzschleppungen und Kreuzigungen, besonders aber neben dem das Urteil sprechenden Pilatus am Boden liegend: Manchmal erkennt man noch, daß hier eine Vermischung mit dem alten Machtsymbol des Löwen, der uns an so vielen Portalen begegnet, vor sich gegangen ist; später aber wird der Hund immer naturalistischer wiedergegeben, bei Heiligenmartyrien, als Begleiter der heiligen drei Könige oder anderer Herrscher fristet er bis in unsere Zeit — unverstanden — sein bildhaftes Leben! Der Einwand, daß auch auf verschiedenen Abendmahldarstellungen ein Hund zu sehen ist, kann eindeutig und diese ganze Frage abschließend durch eine Aufzeichnung des Haller Raitbuches von 1511 widerlegt werden: Dort ist die Rede von einer Zahlung an Hanns Strauß, der als Judas im Passionsspiel auftrat, für Kleidung und „umb ain großen hunt, damit er auf die pün (Bühne) komen ist“. Ein Beleg für das enge Verhältnis zwischen geistlichem Theater und bildender Kunst im Mittelalter! Als Beigabe von Statuen und Grab- mälern hat der Hund mit der ihm erst in der Neuzeit zugeschriebenen Treue nichts zu tun. Er ist auch dort Ausdruck der Macht — sowohl der Madit des Bösen, der Sünde, die der Verstorbene unterdrückt zu haben hoffte, wie auch der irdischen Macht, die ihm auf Erden innehatte (darauf weist auch die weiße Farbe des Tieres zu Füßen Gunthers). Die Jagd selbst war immer das Vorrecht des Mächtigen und Freien!

Das Rätsel des Stiftergrabes von Krems- mürister und der Name des dort Bestatteten wird wohl nicht so leicht aufgeklärt werden. Hier sollte nur an einem ähnlichen Falle die Art der Entstehung solcher Werke aufzuzeigen versucht werden, ohne damit einen kausalen Zusammenhang zwischen den Legenden der beiden geistlichen Stätten zu behaupten; die Parallelität liegt im Geiste der Zeit, der symbolischen Zeit des abendländischen Mittelalters.

Die Symbolsprache von Quellen und Darstellungen wird wohl von Jahrhundert zu Jahrhundert weitergetragen, die Menschen jedoch ändern sich und verstehen sie nicht mehr. So entstehen aus im Geiste ihrer Zeit treuen Berichten spätere allzu handgreifliche Auslegungen von sinnbildlich gemeinten Ereignissen und Begebenheiten, Sagen und Legenden.

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