6612041-1955_06_06.jpg
Digital In Arbeit

Im Kampf um den „dritten Pol“

19451960198020002020

Die Geographische Gesellschaft in Wien, die nächstes Jahr auf ein hundertjähriges Wirken zurückblickt, hat in einer Festsitzung am 24. Jänner dem Forscher und Gipfelstürmer Dr. Herbert Tichy die Ehrenmitgliedschaft der Gesellschaft verliehen. Hofrat Prof. Doktor G. Götzinger, der Präsident der Gesellschaft, hielt dabei die Festansprache, die wir hier auszugsweise wiedergeben. Die „Furche“

19451960198020002020

Die Geographische Gesellschaft in Wien, die nächstes Jahr auf ein hundertjähriges Wirken zurückblickt, hat in einer Festsitzung am 24. Jänner dem Forscher und Gipfelstürmer Dr. Herbert Tichy die Ehrenmitgliedschaft der Gesellschaft verliehen. Hofrat Prof. Doktor G. Götzinger, der Präsident der Gesellschaft, hielt dabei die Festansprache, die wir hier auszugsweise wiedergeben. Die „Furche“

Werbung
Werbung
Werbung

Das Jahrhundert, das die ehrwürdige Geo-grapische Gesellschaft erlebt, war eines der grandiosesten in der Geschichte der Entdeckungen auf unserer Erde. Das Geheimnis des schwarzen Erdteiles wurde restlos enthüllt, die Wüsten Australiens enträtselt, die beiden Amerika der Kultur erschlossen und die beiden Pole erobert. Die weißen Flecken der Landkarte, die heute noch unberührte Teile der Erdoberfläche bezeichnen, beschränken sich auf die wenigen Gebiete der Hylea Südamerikas, einige Gebiete in Zentralasien sowie auf die beiden Polarkalotten, namentlich in den Hochländern von Antarktika.

Ein nie betretenes Gebiet breitet sich jedoch aus in den höchsten, eisüberdeckten Regionen des Himalaja, deren Eroberung sehr schwierig ist, so daß diese Regionen mit Recht der dritte Pol genannt werden können.

Es ist ein glänzendes Zeichen des Prometheus im Menschen, daß die verschiedenen Nationen, genau so wie sie um die Palme des Sieges und der Erkenntnis in den früher genannten Kontinenten kämpften, auch um die Eroberung des dritten Poles bemüht waren und es noch sind.

Wir wissen, daß gerade die letzten Jahre bedeutende Erfolge auch um den dritten Pol brachten. Es sei nur an die großen Anstrengungen an der Anapurna, am Mount Everest, am K II und am Nanga Parbat erinnert. Daß der letztere Gipfel durch die gewaltigen Leistungen eines Oesterreichers, Hermann Buhl, erobert wurde, ist uns eine große Freude.

Während alle diese Expeditionen verschiedener Kulturnationen über eine großartige, reiche Ausrüstung, über zahlreiche Scherpas und zahlreiche Begleitung durch erprobte Bergsteiger verfügten, unterscheidet sich die Expedition Herbert T i c h y s ganz wesentlich von den anderen Expeditionen. Sie bestand bloß aus drei Europäern (Dr. Tichy, Ing. J ö c h 1 e r und Dr. H e u b e r g e r), dem Scherpa P a s a n g und wenigen Trägern, was in der Geschichte der Hochalpinistik am Himalaja einzigdastehend ist. Bedenken wir z. B., daß die französische Expedition auf die Anapurna und die englische auf deto Mount Everest auf eine ungleich größere Zahl von Bergsteigern und Trägern und auf reichste Dotation begründet waren. Nach diesem Maßstab erst kommt man zur richtigen Würdigung der grandiosen Leistung der „Tichy -Expedition“. Wir sehen, daß es möglich war, den Cho-Oyu zu erstürmen, Großtaten zu schaffen, weil hier Männer waren mit der seelischen Kraft des Idealismus und mit grenzenloser Hingabe an das Ziel. Wir glauben, bei dieser Tat eine typisch österreichische Haltung zu erblicken. Das bewundern wir ganz speziell an Herbert Tichy, seine idealistische Hingabe und die Bescheidenheit seines Wesens nach dem Triumph der Tat.

Herbert Tichy, geboren in Wien am 1. Juni 1912, wandte sich auf der Universität den Naturwissenschaften und speziell der Geologie zu als Schüler von Prof. Franz Eduard S u e ß. Noch als Hochschüler veranlaßte ihn sein Tatendrang, 1932 eine damals aufsehenerregende Motorradreise gemeinsam mit Doktor Max R e i s c h von Wien über den Balkan nach Vorderindien, Belutschistan bis Indien zu unternehmen. 1935 durchquerte er Indien und erreichte beim Versuch, den heiligsten Berg der Welt, den Kailas, zu besteigen, eine Höhe von mehr als 7000 Meter. In Indien arbeitete er an seiner Doktorarbeit mit dem Titel „Die Scharung des Muzzaffarabad in Beziehung zum Gesamtbau des Piz Panjat“ und promovierte in Wien 1937 zum Doktor der Philosophie.

Vorher hatte er überdies eine Reise nach dem arktischen Gebiet von Alaska unternommen und gab 1934 das Alaska-Buch mit prächtigen Bildern heraus.

Während des Krieges lebte er in China, dessen Provinzen er vielfach bereiste, und wurde zu einem ausgezeichneten Kenner dieses Landes. 1947 kehrte er erst nach Wien zurück. Bald nahm er wieder Forschungen in Indien und am Himalaja in Angriff und hat damit sein Hauptinteressengebiet für diese Teile Asiens dokumentiert.

Die Bücher von Herbert T i c h y wurden von der Fachwelt und von weiten Kreisen stets außerordentlich günstig aufgenommen. Man muß Tichy auch als Reiseschriftsteller von wirklich großem Format bewundern, der den Lesern die fremden Länder begrifflich bekanntgemacht hat. Schon ein Sven Hedin hat das Buch „Zum heiligsten Berg der Welt“ mit einem besonderen Vorwort ausgezeichnet, in dem er seine Bewunderung über die Unternehmungslust und die Energie Tichys zum Ausdruck bringt.

Die vielseitige Orientierung unseres Forschers ist auch aus dem Umstand ersichtlich, daß er 1949, erst von seinem langen Chinaaufenthalt zurückgekehrt, auf Grund eigener Studien ein anschauliches Buch: „Auf einem Hügel der Ewigen Stadt — Erlebter Vatikan“ erscheinen ließ.

1953 arbeitete Tichy in Westnepal in kaum bekannten Gebieten auch geologisch und kartographisch und bestieg, von wenigen Scherpas begleitet, einige Sechstausender.

Die letzte Expedition 1954 nach Westnepal führte zur Bezwingung des Cho-Oyu am 19. Oktober. In aller Stille, ohne die Reklametrommel, hat er eine Tat geschaffen, welche die ganze Welt aufhorchen ließ.

In Würdigung aller großen Verdienste, die sich Dr. Tichy um die geographische Wissenschaft erworben hat: durch seine Expeditionen wie durch seine literarischen Veröffentlichungen, namentlich über den Fernen Osten, die ein Geograph beim Studium über Asien nicht missen kann — hat die Geographische Gesellschaft in der letzten Vorstandssitzung am 7. Jänner einstimmig beschlossen, Dr. Tichy zum Ehrenmitglied der Geographischen Gesellschaft zu ernennen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung