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„Im Schatten Karls des Großen..

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Karl der Große war von seinen Franken so benannt worden, weil er körperlich ein Riese war. Die naiven Chronisten jener Zeit wußten keine subtileren Adjektiva zu finden als jene, die körperliche Eigenschaften bezeichneten. Und altgermanisch nannte man Karl einen Kerl. Charles de Gaulle weiß in seinen Kriegserinnerungen nur das eine Kompliment zu schätzen, daß er nämlich von seinen Soldaten „le grand Charles“ genannt wurde — wegen der 185 Zentimeter seiner Körpergröße! Er war der „große Karl'\ was er auch sonst war, denn er war ein Kerl! Man nennt im Deutschen einen ,JS.erl“ was P6guy im Französischen „un gars de chez nous“ nannte, einen Mann mit hartem Kopf und kurzen Gesten. Charles de Gaulle starb im November 1970, dreißig Jahre nach seinem Erscheinen auf der Bühne der Europäischen Geschichte, vorausgesagt wurde er vom poeta vates Charles Pöguy vor etwa sechzig Jahren.

Charles Piguy widmete in einem Gedicht Paris, das „Schiff Lutetia — fluetuat nec mergitur“ ist dessen Devise — der Heiligen Jungfrau. Vorausgesehen hat er für die Lenkung dieses Schiffes einen Kapitän, der manchmal pfeift (in Ermangelung jedes anderen Instrumentes), einen Kapitän, der im Steuern eines Staatsschiffes nicht seinesgleichen hat. Poeten sind Propheten. P6guy hat sogar den Zweifel der Engländer angesichts des leeren Schiffes der freien französischen Streitkräfte vorausgesehen.

Wenig kann ich zur Geschichte der freien französischen Streitkräfte beitragen. Fünf Jahre lang habe ich dort gedient, weil auch ich, seit meiner frühesten Jugend ein Liebhaber von Corneille, von Bossuet, von Chateaubriand, von Victor Hugo und von Peguy „eine gewisse Idee von Frankreich“ im Herzen trug und im Juni 1940 den Gedanken nicht ertragen konnte, daß nach Deutschland auch Frankreich vom Teufelsdreck des Hakenkreuzes besudelt werden sollte, daß die Hyänen, nach dem toten Wien, nun auch Paris fressen sollten. Wüßte ich mehr, würde ich dennoch schweigen; kein Wort ist nötig, wo Peguy im voraus alles gesagt hat, was zu sagen war und sogar von den „einigen Gramm der Erde“ gesprochen hatte, unter denen der müde, alte. Krieger einst in Frieden ruhen möchte. Doch bin ich vielleicht der Muse Cito, von Charles Peguy und Charles de Gaulle gleichfalls geliebt, etwas schuldig. Ich muß erzählen, daß ich im Stabsbüro de Gaulles, wo ich in den letzten zwei Kriegsjahren ein wöchentliches Bulletin von Auszügen aus der feindlichen und der neutralen Presse zu redigieren hatte, in den Tagen der Befreiung von Paris Piguys Presentation de Paris ä Notre-Dame meinem Bulletin als Motto beigelegt habe und daß de Gaulle, der sonst kein Kompliment geschätzt hätte, über diese Charakterisierung besonders erfreut war. Nichts war übrigens so gewiß für uns alle wie die Tatsache, daß er das Schiff Lutetia der Heiligen Jungfrau darbieten werde. Dr?i Wochen hindurch, während der Dakar-Expedition im September 1940, hatten wir ihn jeden Tag gesehen, obwohl selten gesprochen, ja wir hatten höchstens banale Gespräche mit ihm geführt, Fragen von ihm gehört, die ein Soldat seinem Vorgesetzten mit „Oui, mon Gineral“ und „Non, mon General“ zu beantworten hatte. Die Messe an Bord des holländischen Hilfskreuzers „Westerland“, der uns nach Dakar führen sollte, hat er nie versäumt, die Sakramente hat er häufig, vielleicht sogar täglich empfangen, öffentlich sprach er nie von seiner religiösen Überzeugung, aber seine katholische Erziehung in frühester Kindheit, seine Festigkeit im Glauben waren kein Geheimnis. Und auch nicht sein Interesse für Karl den Großen. Obwohl mit typisch französischer Intonation, sprach er fließend und gut deutsch, er las viele deutsche Bücher, viele Aspekte des deutschen Wesens haben ihm aufrichtig imponiert, Deutschlands Geist von 1813 hat er bereits in St. Cyr aus Clausewitz studiert,, die endgültige Versöhnung der Franken und der Germanen auf beiden Ufern des Rheins war für ihn ein Lebenstraum, selbst in jenen Tagen als er, schwerverwundet bei Verdun im Jahre 1916 gefangengenommen, in einer bayrischen Festung interniert war. Unter den wenigen Pressestimmen über sich selbst, die ihn interessierten, gab es eine, für die er seinen Dank aussprach: meinen Vergleich zwischen Yorcfc von Wartenburg und ihm, den ich, kurz vor meinem Eintritt in seine freien französischen Streitkräfte, in der Londoner Wochenschrift „Free Europa“ veröffentlicht hatte und die mein alter Freund Maurice Schumann, zur Zeit Frankreichs Außenminister, damals de Santte's Kommentator am französischen Radio der BBC, ihm auf den Tisch legte.

Meine Bulletins über die innere Entwicklung in Deutschland, in Österreich und in den Donauländern hat er, wie mir mein unmittelbarer Vorgesetzter, Oberst Passy-Dewavrin des öfteren versichert hat, genau gelesen und manchmal sogar mit Ungeduld am Wochenende erwartet. Mir schien, als ich seine Stimme im Bonner Radio hörte (zufälligerweise war ich zur Zeit seines Staatsbesuches gerade im Rheinland) daß „le grand Charles“ den großen Augenblick seiner sonderbaren Laufbahn im Schatten Karls des Großen erlebte, mit dem Friedensakt der beiden Völker am Rhein, nach so vielen Siegen und Niederlagen für beide.

Persönlich habe ich ihn nach 1945 nicht mehr erlebt, mit Ausnahme eines kurzen Empfanges im früheren Hauptquartier, auf Nummer 4, Carlton Gardens, in London S. W. 1, wohin er uns, seine Veteranen, im Frühjahr 1960 bei seinem Londoner Staatsbesuch einlud. Er behauptete zwar recht liebenswürdig, daß er die Gesichter noch alle erkenne, ein alter Regimentsarzt hat indessen daran gezweifelt. Er war kürz vorher am Auge oneriert worden, eine Brille zu tragen konnte er sich nie angewöhnen und unser Präsident des Veteranenvereines hat mit einiger Angst beobachtet, wie er die Steigen, die von Carlton Gardens zu Poll Mall hinabführen, ohne Brille herunterstieg. Zum Glück hatte er Madame de Gaulle an seiner Seite, damals wie in so vielen anderen, noch schwierigeren Lebenslagen.

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