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Im Zeichen der fünf Ringe

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Seit Tagen weht im Engadiner Hochland unter den Gipfeln der Bernina und Maloja auf dem Dorfplatz von St. Moritz die Fahne mit den fünf Ringen auf hohem Mast. Sie soll verkünden, daß sich die Welt wieder einmal dea für dieses Jahr verkündeten olympischen Frieden unterworfen hat. Das Symbol versinnbildlicht die enge Zusammenarbeit der fünf Kontinente. Leider ist dieser proklamierte Friede nicht einmal unter den 2C00 Sportlern und Funktionären, den 500 Vertretern des Rundfunks und der Presse und den aus allen Ländern der Erde erschienenen 4000 bis 5000 Gästen zu entdecken.

Wenn im alten Hellas in Olympia zu Ehren des Göttervater Zeus alle vier Jahre das heilige Feuer entzündet wurde, dann unterblieben für diese Zeit Streit und Kampf. Der unteilbare Burgfriede, dem jeder sich beugte, galt für den ganzen hellenischen Kulturkreis. Wehe dem Frevler, der ihn brach. Heute ist dieser schöne Gedanke vornehmlich in schönen Publikationen vorhanden. Die Welt folgt zwar gespannt den Leistungen der Athleten, im übrigen läßt sie sich in ihrem Zank und Streit nicht stören. Was etwa dem griechischen Olympia- Team geschehen wäre, wenn es unvorsichtigerweise den Weg durch Jugoslawien genommen hätte. Keine Lebensversicherungsgesellschaft hätte bei ihrer Ausreise diese armen Hellenen angenommen. Sogar einen neutralen Fackelträger könnte das Abzeichen der fünf Ringe bei dem mehrfachen Grenzübertritt zwischen Ost und West auf seinem Wege von der Stadt in der pelopo- nesischen Landschaft Pisatis bis zum Kurort im Kanton Graubünden heutzutage vor bösen Erlebnissen nicht bewahren. Nationen, die sich im „friedlichen” Wettstreit auf der Eis- und Skipiste messen, bemühen sich gegenseitig, möglichst viel Häuser in die Luft zu sprengen und Hälse abzuschneiden. Mit dem Frieden stimmt es nicht einmal in den Sitzungen des olympischen Komitees, auf den Übungshängen der Berge und den spiegelblanken Eisparketten. Kein Wunder, daß in den ausgegebenen Berichten Wendungen an der Tagesordnung sind, die ihęen Ursprung bei Generalstabsbesprechungen oder in Gefechtsmeldungen zu haben scheinen. Ein Staat schickt sogar „Beobachter”, deren Beruf vielerlei Auslegungen zuläßt. Täglich werden „Proteste” eingebracht und der interne Streit zweier amerikanischer Eishockeymannschaften gefährdete nahezu die Abhaltung der Winterspiele.

Kurz und gut: Der olympische Friede, der das Volksfest der „freien unbescholtenen Griechen” feierlich umgeben soll, ist total verschollen. Es ist viel Finsternis in Europa. Man muß ihn mit der Laterne suchen gehen. Nur die Besten, die von diesem Erleuchteten werden ihn finden.

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