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... in dem Aufgang gesehen

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Diesem Bericht entnehmen wir, daß die Weisen mit großer Bestimmtheit davon überzeugt waren, daß der Stern, den sie — so heißt es wörtlich: — „in dem Aufgang gesehen haben“, der Stern des neugeborenen Königs der Juden ist. Der Umstand aber, daß sie so weit hergepilgert sind, um diesen König eines kleinen, den Römern zu Tribut und Heeresfolge verpflichteten Volkes schon als unmündiges Kind zu verehren, läßt erkennen, daß der Stern sie keinen gewöhnlichen Prinzen, sondern einen künftigen Herrscher von außerordentlicher Bedeutung, ja von göttlicher Herkunft erhoffen ließ. So wurde die Sache auch von Herodes verstanden, der in krankhafter Angst um seinen Thron zuerst die Schriftgelehrten nach dem geweissagten Geburtsort des Messias befragte.

Die Weisen jedoch behaupteten nicht, daß der Stern ihnen auf dem ganzen Weg wie ein Führer vorangeleuchtet habe. Die landläufige Meinung, daß der Stern ihnen nur solcherart ihr Ziel zeigen konnte, ist irrig. Wenn sie nämlich aus der Erscheinungsweise des Sterns auf die Geburt eines neuen Königs der Juden schlössen, dann war es fast selbstverständlich ihn in der Hauptstadt Jerusalem zu suchen. Man versteht ihre Enttäuschung darüber, daß sie ihn dort nicht fanden.

Herodes, der nicht weniger als die Weisen von der Bedeutung der Sterne für das irdische Geschehen überzeugt war, ließ die Magier heimlich zu sich kommen und fragte sie genau nach der Zeit, wann der Stern erschien, das heißt zum erstenmal aufging, wobei die Ausdrucksweise des Urtextes erkennen läßt, daß der Stern noch sichtbar war. Die Heimlichkeit der Erkundigung beweist übrigens, daß der Stern für Laien nicht aus dem Rahmen des Gewohnten herausfiel, was entschieden für eine natürliche Erklärung der Erscheinung spricht. Was die Weisen dem Herodes geantwortet haben, kann man aus einer späteren Stelle mit Bestimmtheit erschließen: sie haben ihm mindestens so viel gesagt, daß der Erstaufgang des Sterns, wenigstens nach ihrem Kalender, dessen Jahreswechsel im Frühling lag, im vorausgegangenen Jahr erfolgt sei. Denn „gemäß der Zeit, die er von den Weisen erfahren hatte“, ließ Herodes später alle Knäblein von zwei Jahren abwärts in und um Bethlehem umbringen.

Durch Herodes erfuhren aber die Magier auch von der Weissagung des Propheten Micha, daß der Messias in Bethlehem geboren werden sollte; demgemäß machten sie sich wohl noch gegen Abend desselben Tages dorthin auf den Weg, der kaum zehn Kilometer weit ist. Aber noch ehe sie ans Ziel gelangten, wurde es dunkel, und wie zur Bestätigung der Richtigkeit der eingeschlagenen Richtung erblickten sie mit großer Freude gerade vor sich in der Höhe den Stern, „den sie in dem Aufgang gesehen hatten“,als ob er vor ihnen herzöge. Und nun kommt das scheinbar Unerklärbare, daß „der Stern im Gehen stillstand oben darüber, wo das Kind war“. So weit die astronomischen Aussagen des Evangeliums.

Die chaldäischen Weisen waren keineswegs naive Naturmenschen, die durch eine jedem Laien auffallende Himmelserscheinung auf den Gedanken gebracht wurden, in Palästina einen neugeborenen König zu suchen. Sie waren vielmehr einige von den Letzten einer auch in der astronomischen Wissenschaft bereits vielhundertjährigen Kulturtradition, die mit ihnen oder mit ihren nächsten Nachfolgern ins Grab sank, um erst in neuester Zeit wieder entdeckt und erforscht zu werden. Es waren Männer, die nicht — wie es die bilderreiche Sprache des Propheten Isaias unserer Phantasie nahelegt —, in königlichen Reichtümern schwelgten, sondern die als Priester ihrer heidnischen Götter, besonders des Marduk, und als Diener der Wissenschaft in den Tempelbezirken des im übrigen längst • verödeten Babylon in heroischer Frömmigkeit ausgeharrt hatten und nun vielleicht die letzten treu gehüteten Kostbarkeiten ihres Tempelschatzes dem geheimnisvollen Messiaskönig zum Opfer darbrachten. Aus der großen Menge wieder entzifferter astronomsicher Keilschrifttäfelchen, unter denen mehrere Exemplare eines Kalenders auf das Jahr der Erscheinung des Herrn besonders kostbar für uns sind, wissen wir, mit welcher Sorgfalt sie die aufgezeichneten Phasen der Planetenbewegung, den ersten Frühauf gang, den letzten Abendaufgang, die Stillstände und den Untergang auf Jahrzehnte vorausberechnet haben. Von Erscheinen, Aufgang und Stillstand des Sterns redet auch der biblische Bericht.

Die babylonischen Tempelgelehrten glaubten aber infolge ihrer religiösen Vorstellungen an einen engen Zusammenhang zwischen himmlischem und irdischem Geschehen, und wir wissen ungefähr, in welchem Sinne sie besondere Erscheinungen am Sternenhimmel wie die damalige zu deuten suchten. Jupiter, in ihrer Sprache „Der helle Stern“ schlechthin genannt und ihrem höchsten Gott Marduk heilig gehalten, erschien um die Mitte des letzten Monats ihres Jahres 304 (etwa 18. März 747 nach Gründung Roms in der sogenannten Varronischen Ära) im Erstaufgang am Morgenhimmel. Am dritten Tag des folgenden Jahres 305 (das heißt am 4. April 747 der Stadt Rom), ging Saturn auf, der unter seinem babylonischen Namen „Kaivan“ als vermeintlicher Sternengott des Volkes Israel auch in der Bibel, und zwar in einer Strafrede des Propheten Arnos gegen heidnische Kulteinflüsse, genannt wird.

Von einer ersten kurzen Begegnung beider Planeten gegen Ende Mai 747 nimmt der keilschriftliche astronomische Kalender keine Notiz, da dergleichen immerhin etwa alle zwanzig Jahre einmal vorkommt. Aber daß sie Mitte September am gleichen Abend ihren Aufgang hatten und somit in engster Nachbarschaft die ganze Nacht hindurch über den Himmel zogen, ferner daß sie zwei Monate später nahe der Mitte des Sternenbildes der Fische, welche man auf Palästina deutete, wiederum fast gleichzeitig zum Stillstand kamen, das ist deutlich auf den erhaltenen Kalendern zu lesen. Ein so langes gemeinsames Verweilen von Jupiter und Saturn ereignet sich nur in Abständen von Jahrhunderten, und vollends im Sternbild der Fische hatte sich etwas annähernd Ähnliches zuletzt 854 Jahre früher begeben. Nur die wenigen, genau unterrichteten Astronomen der damaligen Zeit, zu denen die Weisen gehörten, wußten um die außerordentliche Seltenheit des Vorganges, der sich in fast allen Punkten und Voraussetzungen übereinstimmend mit ihren Berechnungen abspielte.

Noch befangen in heidnischem Glauben, erfüllt aber auch von der in jener Zeit weitverbreiteten Sehnsucht nach einem Welterlöser, drängte sich ihnen folgende Deutung der Erscheinung auf: Der Stern ihres höchsten Gottes kommt zum Sterngott des jüdischen Volkes und wird bei ihm stehenbleiben in jener Himmelsgegend, die Palästina zugeordnet wurde. Das konnte von ihnen kaum anders verstanden werden, als daß ein ihrem Gott Marduk außerordentlich wohlgefälliger, vielleicht selbst göttlicher König in Palästina aus dem jüdischen Volk hervorgehen werde. Darum kamen sie, diesem zu huldigen, ja ihn anzubeten. Der wahre Gott bediente sich also ihrer zwar noch irrenden, aber echt heidnischen Frömmigkeit, um ihnen den Weg zum rechten Glauben zu weisen. In Jerusalem erfuhren sie Genaueres aus der alt-testamentlichen Prophezeiung; ihr Vertrauen auf dieses Wort der echten Offenbarung geleitete sie nach Bethlehem und führte sie, noch einmal unterstützt von dem Stern, endlich in die bescheidene Hütte, in welcher der wahre Sohn Gottes noch verborgen vor der Welt lebte und ihnen das geistige Auge vollends für dieses Geheimnis des Glaubens öffnete.

Diese Auffassung der Dinge ist keineswegs eine Rechtfertigung für die Sterndeuterei (Astrologie) als solche, von der die Weisen sich ja zum wahren Glauben bekehrt haben. Der Zeitpunkt des Jupiterstillstandes 12./13. November sagt uns nur, wann die Weisen in Bethlehem eintrafen, und gibt damit, wegen der bereits vorausgegangenen Darstellung Jesu im Tempel (die von Herodes verborgen blieb), etwa Ende September als spätesten möglichen Zeitpunkt der Geburt Christi. Damit steht die Zeit der Volkszählung in den Jahren 746/747 nach Gründung Roms in Einklang. Es ist nämlich schon längst bekannt, daß die erst im 6. Jahrhundert eingeführte Zählung der Jahre nach Christi Geburt, wonach das Jahr 1 nach Christi das 754. nach Gründung Rom ist, um mindestens sechs Jahre fehlerhaft angesetzt worden ist.

Mit dem Stillstehen des Sterns ist nach der Denkweise der chaldäischen Astronomen in erster Linie der Stillstand gegenüber dem Fixsternhimmel gemeint, den sie nach Zeitpunkt und astronomischem Längengrad genau vorausberechnet hatten. Inwiefern konnte man aber sogar sagen, daß der Stern, das heißt Jupiter, „stillstand oben darüber, wo das Kind war“?

Als sich die Weisen in den Abendstunden des 12. November 747 Bethlehem näherten, stand Jupiter in außergewöhnlicher Helligkeit dicht über dem bleichen Saturn, nahe den oberen Ausläufern des Tierkreislichtes, einer nicht scharf begrenzten, etwa kegelförmigen Lichterscheinung kosmischen Ursprungs. Es sah so aus, als ergösse sich vom Stern her ein nach unten hin breiter und heller werdender Lichtstrom auf eine bestimmte Stelle des Südwesthorizontes. Trotz der allmählichen Himmelsdrehung verharrte die Basis des Lichtkegels während der ersten drei Nachtstunden fast unverändert an derselben Stelle, wurde aber nach und nach schmäler, während zugleich für die Weisen bei der Annäherung an Bethlehem dessen einzelne Häuser scheinbar weiter auseinandertraten. Ob dadurch schließlich der Lichtkegel ein einziges Haus bezeichnete, sagt der Evangelist nicht; es ist dies ebenso möglich wie die Annahme, daß die Weisen zuletzt durch die Stimme des Jesuskindes (im physischen wie im inneren Sinne gemeint) vollends zu Ihm geführt wurden.

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