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In der Erinnerung verklärt

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Zum zweihundertsten Geburtstag seines kaum jemals ernsthaft angegriffenen Nationalidols sparte der französische Staat nicht mit Millionen, geizten Politiker, Journalisten und Schriftsteller nicht mit Worten, Rundfunk und Fernsehen nicht mit der Zeit. Napoleons Bild schmückte im Sommer Schaufenster, hob den Verkauf von Geschenkartikeln, lockte mehr Touristen als üblich nach Korsika und stärkte das Selbstgefühl jener Franzosen, die sich vom französischen Glorieverlust vorübergehend hatten deprimieren lassen. Als am 15. August Präsident Pompidou in Ajaccio den Korden als Förderer eines liberalen europäischen Einheitsgedankens, als den Einer und Versöhner Frankreichs zwar maßvoll, aber entschieden feierte, stand mehr als ein Drittel der französischen Nation hinter ihm und pflichtete ihm im Geiste bei. Frankreich hat kein Interesse daran, die Verdienste Napoleons zu schmälern, der jenen Begriff vor der „Grande nation“ geprägt haben will, den man so liebevoll und hartnäckig hat schelt Napoleon steht am Anfang von Frankreichs Aufstieg zur Superiorität — mit Mittelmäßigkeit durfte und wollte es sich seitdem nicht zufriedengeben. Für de Gaulle war dieses nationale Groß-sein-Wollen jahrzehntelang der zuverlässigste Stützpunkt, das natürlichste Alibi seiner Politik. Sein im April zugesagter Besuch auf Korsika und seine Gedenkrede hätten die Menge zweifellos zu anderen Beifallskaskaden verleitet als Pompidous sachlich analysierende Ansprache es vermochte, in der klipp und klar gesagt wurde, daß Frankreich heute nicht mehr nach der Herrschaft über Europa und die Welt verlangen könne.

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Zum zweihundertsten Geburtstag seines kaum jemals ernsthaft angegriffenen Nationalidols sparte der französische Staat nicht mit Millionen, geizten Politiker, Journalisten und Schriftsteller nicht mit Worten, Rundfunk und Fernsehen nicht mit der Zeit. Napoleons Bild schmückte im Sommer Schaufenster, hob den Verkauf von Geschenkartikeln, lockte mehr Touristen als üblich nach Korsika und stärkte das Selbstgefühl jener Franzosen, die sich vom französischen Glorieverlust vorübergehend hatten deprimieren lassen. Als am 15. August Präsident Pompidou in Ajaccio den Korden als Förderer eines liberalen europäischen Einheitsgedankens, als den Einer und Versöhner Frankreichs zwar maßvoll, aber entschieden feierte, stand mehr als ein Drittel der französischen Nation hinter ihm und pflichtete ihm im Geiste bei. Frankreich hat kein Interesse daran, die Verdienste Napoleons zu schmälern, der jenen Begriff vor der „Grande nation“ geprägt haben will, den man so liebevoll und hartnäckig hat schelt Napoleon steht am Anfang von Frankreichs Aufstieg zur Superiorität — mit Mittelmäßigkeit durfte und wollte es sich seitdem nicht zufriedengeben. Für de Gaulle war dieses nationale Groß-sein-Wollen jahrzehntelang der zuverlässigste Stützpunkt, das natürlichste Alibi seiner Politik. Sein im April zugesagter Besuch auf Korsika und seine Gedenkrede hätten die Menge zweifellos zu anderen Beifallskaskaden verleitet als Pompidous sachlich analysierende Ansprache es vermochte, in der klipp und klar gesagt wurde, daß Frankreich heute nicht mehr nach der Herrschaft über Europa und die Welt verlangen könne.

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Pompidous erster offizieller Ausgang als Staatspräsident hatte zwei Monate zuvor einer Sondersitzung des alle französischen Akademien umfassenden Institut de France gegolten, das den 28jährigen Bonaparte 1797 aufnahm. An Interessebeizeigungen für die offizielle Intelligenz Frankreichs hatte Napoleon es nicht fehlen lassen: als Konsul führte er eine neue Kleidung der Akademiemitglieder ein, als Kaiser vereinte er das im Louvre untergebrachte damalige Institut National mit dem College des Quatre Nations am Quai de Conti. Napoleon umwarb die akademische Intelligenz, die es ihm dankte, indem sie ihn als Hüter von Recht und Geist und als „philosophierenden Feldherm“ bestätigte. Den Fortschritt verlangenden Wissenschaftlern war er allerdings nicht wohlgesinnt, „Metaphysiker“ und ,,Ideologen“ nannte er säe, Urheber aller über das schöne Frankreich hereinbrechenden Übel. Nun, die Akademiker sind nicht nachtragend, das jedenfalls bezeugen die kaium zu zählenden, von Hochachtung geprägten Bücher über ihren Kaiser.

Keine der großen Napoleon-Ausstellungen in Paris ruft zur Kritik auf, die allerdings einer Kritik an der französischen Nation gleichkäme, die mindestens ein Jahrzehnt lang wie ein Mann hinter ihrem Kaiser stand. Wer will, kann sich in der Nationalbibliothek über den kunstvoll inszenierten Napoleon-Kult entrüsten, dessen Aufbau Napoleon bereits als junger General nach der Schlacht bei Arcole beschloß, als er General Auge- reau, der neben ihm die französische Fahne in Feindesmitte gepflanzt hatte, aus allen Kommuniąuės eliminierte. Es ist wahr: diese Napoleon-Figuren aus Gips und Porzellan, diese Bilderbogen, Bonbonnieren, Talismane, Stiche und Gemälde, die alle auf Napoleons Anregung zurückgehen, rühren kaum unser Herz. Immerhin: Napoleon, wie Napoleon ihn sich vorstellte, allgegenwärtig im Herzen des Volkes, in Handel und Gewerbe, die schönen Künste lind die Wissenschaften schützend und fördernd, die Jugend erziehend, von Kindern und Greisen ins Gebet eingeschlossen, von Kriegsinvaliden glorifiziert, dieser Napoleon erreichte, daß ganz Frankreich sich persönlich mit seinem großen Abenteurer identifizierte. In den glanzvollen Eroberungsjahren wurden die Propagandaakzente auf den Kriegsruhm des Kaisers und sein Nicht-Tod-noch-Teufel-Fürch- ten, auf sein echtes Soldatenherz gelegt: Napoleon ständig unter seinen Soldaten, jeden kennt er, für jeden hat er ein Wort, er übersieht und rettet alle Situationen, schont seine Leute und führt Kriege, weil der Feind sie ihm aufzwingt. Als sich das Blatt zu wenden beginnt, werden seine Volksverbundenheit, sein Mitgefühl für trauernde Witwen und Mütter und die ihm von den Ärmsten dargebrachte Verehrung in volkstümlichen Stichen verbreitet.

Mit der Verbannung auf St. Helena, vor allem aber mit dem Bekanntwerden von Las Cases Arbeit am „Memorial“ und der Veröffentlichung der ersten Teile erhielt die Napoleon-Legende neue Nahrung. Sobald die Toten vergessen, die Tränen getrocknet waren, verklärte ihn die Erinnerung. Generation um Generation formte aus Gerüchten und Phantasie ihr Napoleon-BiLd und wollte es nicht anders als wunderbar und herrlich haben. „Nach dem Despotismus der Person müssen wir noch den Despotismus der Erinnerung an ihn ertragen“, zürnte Chateaubriand. Aber gerade diese posthume, nicht auszumerzende Verklärung durch die Getreuen, die sich weder verraten noch verführt fühlten, vermag uns zu rühren. Napoleon hatte auch dem Einfachsten Tatėn abverlangt, deren er sich niemals fähig geglaubt hätte. Sein Tod 2000 Meilen fern von Frankreich hatte ihn zum Märtyrer gemacht, nun wollten auch seine Anhänger Märtyrer sein. Aufstände und Verschwörungen endeten auf dem Schafott, der Souvenirhandel unter der Hand blühte, während Napoleons Statue von der Vendöme-Säule entfernt wurde und Schlachtbilder ihn nicht größer als einen Stecknadelkopf darstellen durften.

Doch bald verbreitete sich unter Karl X. ein den Bonapartisten milde gestimmter Liberalismus, und nach ihm ermunterte der Bürgerkönig Ludwig-Philippe die seiner Meinung nadi harmlose Legende. 1840 wurden Napoleons sterbliche Reste in den Invalidendom heimgeihoät.

„Das Nationalgefühl ist aufgeregt bis in seine abgründlichsten Tiefen, und der große Akt der Gerechtigkeit, die Genugtuung, die dem Riesen unseres Jahrhunderts widerfährt und alle edlen Herzen dieses Erdballs erfreuen muß, erscheint den Franzosen als eine lokale Privatsache, als eine Rehabilitation ihrer verletzten Nationaleitelkeit, als ein nachträgliches Pflaster für die Wunde von Waterloo.“

So schrieb Heine aus Paris. Nach der Revolution J.848. wurde der Napoleon-Orden aufs neue verliehen, das Sankt-Napoleons-Fest wieder gefeiert, wurden Napoleon- Denkmäler eingeweiht, wurde schließlich von den „dankbaren Franzosen“ das zweite Kaiserreich auisgerufen.

Manchen heutigen Napoleon-Verehrern mag es in der pompösen Ausstellung im Grand Palais ähnlich wie ihren Vorfahren ergehen, die im Mai 1840 der Leichenfeier im Invaliden dom beiwohnten und, wie Heine schreibt, „auf den goldenen Katafalk sahen, worin gleichsam alle Freuden, Leiden, glorreichen Irrtümer und gebrochenen Hoffnungen ihrer Väter, die eigentliche Seele ihrer Väter eingesargt lag“. Sind die Ausstellungssäle nicht eine märchenhafte Grabkammer, ausgestattet mit allem, was dem illustren Toten teuer war? Da gibt s -die -Imperialen Adler, Soldaten in Lebensgröße, goldbestickte Uniformen, Krönungsgewänder, herrliche Geschmeide, Familienbüsten, das berühmte Wünscheihütchen, Säbel und Pistolen, Tapisserien, Fayencen, Porträts und Sdhlachtenbilder, denn „die Malerei spricht die Einbildungskraft des Volkes an. Daß sie ihm nur nützliche Lektionen erteile, dafür muß der Gesetzgeber Sorge tragen. Wenn Kunst nicht gelenkt wird, schlägt sie unter der Hand des Künstlers eine von seiner speziellen Begabung und seinem speziellen Interesse bestimmte Richtung ein“. Im Grand Palais erhält Napoleon die größte Genugtuung, hier will jeder Gegenstand allein von Ruhm und Ehre, von Karriere und Werk sprechen. Wer diese Ausstellung sieht, mag sich sehr wohl an die berühmte „Addition“ halten: „Lykurg +

Cyrus + Alexander + Hannibal -r Cäsar + Kairi der Große = Napoleon der Große.“

Napoleon und das erste Empire haben eine kaum schätzbare Fülle an Dokumenten, Kunstwerken, persönlichen Objekten, Möbeln, Kostümen hinterfassen, so daß verschiedene Ausstellungen parallel laufen können, ohne sich zu überschneiden. Die wechselnde Gestalt Napoleons wollen die Archives Nationales von Werk und Politik befreien, wie Napoleon selbst ja den Privatmann aufs entschiedenste vom Herrscher trennte. Hier wird zum Beispiel sein schriftstellerisches Talent gewürdigt. „Wäre Frankreich nicht um einen großen Autor reicher, wenn die Revolution nicht ausgebrochen wäre?“ fragt Marcel Dunan in seinem Katalogvorwort. Daß Napoleon ein „homme du destin“, ein Mann des Schicksals gewesen sei, der mit menschlichen Maßsitäben nicht gemessen werden könne, soll besonders der Besucher dieser Ausstellung beherzigen.

Es lohnt sich, die Stationen bis zur Abdankung in Fontainebleau zu verfolgen, wo Napoleon sich mit Selbstmordgedanken trug, dann aber seine ganze Hoffnung in Marie-Louise setzte — Marie-Louise, der die Franzosen nie verziehen, Josephine, „Napoleons guten Stern', verdrängt zu haben, die sie aber anfangs als Garant einer verheißungsvollen Ära akzeptierten. Die Habsburgerin indes war weit weniger gedemütigt als Napoleon zu wissen glaubte, als er ihr nach der ersten Abdankung schrieb:

„Ich fühle alle Deine Schmerzen; es sind die einzigen, die ich nicht ertragen kann. Versuche deshalb, Deine Trübsal zu überwinden. Man gibt mir Elba und Dir und Deinem Sohn Parma, Piacenza und Gnastella. Du wirst zumindest ein Haus und ein schönes Land vorfinden, wenn Dein Aufenthalt auf Elba Dich ermüdet und ich Dich langweile, was der Fall sein wird, wenn ich älter werde und Du noch jung sein wirst. Meine Gesundheit ist gut, meine Zuversicht über alles groß, besonders, wenn Du Dich mit meinem Unglück abfinden und glauben könntest, noch glücklich werden zu können.“

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