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In der Residenz von Cetinje

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Im folgenden gibt die Gattin des österreichischen Diplomaten Otto Freiherm v. Kuhn- Kuhnenfeld, österreichisch-ungarischen Gesandten in Buenos Aires 1904, Cetinje 1905 bis 1910, Lissabon 1910 bis 1914, Eindrücke von ihrem Aufenthalt in der montenegrinischen Hauptstadt wieder, die neben reizvollen Einzelheiten auch das Charakterbild des montenegrinischen Herrscherpaares mit bisher unbekannten Zügen bereichern. Die interessante Veröffentlichung wird fortgesetzt. „Die Österreichische Furche" Als wir nach ermüdender Wagenfahrt m Cetinje ankamen und vor der österreichischungarischen Gesandtschaft ausstiegen, meinte die sächsische Pflegerin meiner Mutter in ihrem gedähnten Deutsch: „Waarum wohnen Menschen hier?“ Die richtigste Kritik, denn Cetinje ist: schwer erreichbar, furchtbar wasserarm, nahe der Grenze und in einem Kessel, in dem es sich nicht entwickeln kann. Es ist also keinerlei praktischer Grund vorhanden, um es zur Hauptstadt Montenegro’ zu machen, aber ein rein idealer schon, denn niemals haben die Türken Cetinje erobern können. In diesem Kessel war. es den Montenegrinern immer möglich, sich zu halten.

Fast sechs Jahre habe ich in Cetinje als Frau des österreichisch-ungarischen Gesandten verbracht. Der König und die königliche Familie haben mir jede erdenkliche Aufmerksamkeit erwiesen, sie taten das Möglichste, um in die Eintönigkeit des Lebens etwas Abwechslung zu bringen. Nur durch sie sind wir zu Jagdpartien und Ausflügen gekommen. Die Dampfbarkasse des Königs stand uns oft zur Verfügung. Manch herrlichen sonnigen Tag sind wir auf dem Skutarisee den Pelikanen nachgefahren. Die Diners und die musikalischen Abende bei den Prinzessinnen waren Lichtblicke im ewigen Einerlei, und als nach langem schwerem Leiden meine Mutter in Cetinje starb, waren, sie alle von einer Herzlichkeit und Teilnahme, die ich nie vergessen kann.

Das wenige, was man in Wien vom König von Montenegro wußte vnd erzählte, war zumeist ganz falsch, sogar seinen Namen kannte man nicht, denn er hat nie und nimmer „Nikita“ geheißen, es bleibt ein Rätsel, woher dieser Name kam, der ausschließlich in unseren Blättern zu lesen war. Diese Variante des Namens Nikolaus existiert nämlich in Montenegro nicht, ist ganz unbekannt, hat aber in der Zusammensetzung etwas Lächerliches, Geringschätziges, so wie etwa, wenn man Nikolauserl sagen würde; es hat den König stets verletzt und geärgert, was auch gewiß vom jeweiligen Gesandten dem Ballhausplatz gemeldet worden ist, aber „Nikita“ und immerfort „Nikita" bis über das Grab hinaus.

Diese Geschichte ist typisch; wie mit dem Namen, so ging es mit vielen anderen Dingen. Nikolaus Petrovitsch Njegusch hatte gewiß Fehler, aber diejenigen, die man ihm nacherzählte, hatte er meistens just nicht. Sooft ich nach Wien kam, hörte ich gewiß in den verschiedensten Kreisen dieselbe Frage: „Also, wie ist eigentlich dieser Nikita, was für eine Sprache kann er denn?“ — Nun, er sprach französisch wie einer, der fünf Jahre im College Louis le Grand in Paris studiert hat, italienisch wie ein Schüler der Militärakademie in Turin und serbisch wie seine Muttersprache, also meist mehr Sprachen wie die, die danach fragten. Und der Ton im Hause — pardon, im Palais? Der hat mich immer so angeheimelt, es war ein wenig wie bei wohlhabenden Fdelleuten in der Provinz in Ungarn. Ausgezeichnete Küche, eine Schar exzellenter Dienstleute, die einem jeden Wunsch von den Augen ablasen; sehr viel

Komfort, ganz abscheuliche Möbel und Hunderte von eingerahmten Photographien auf den Wänden. Bei feierlichen Anlässen, oder wenn er sonst in Affekt kam, wurde der Fürst leicht etwas theatralisch, „komödienhaft“, sagte man bei uns, „le Prince i. le don du pittoresque“, sagte man in Frankreich.

Die Fürstin — zu meiner Zeit war sie noch nicht Königin — blieb immer gleich ruhig und vornehm, von einem angeborenen Takt, um den sie manche Herrscherin hätte beneiden können. Sie war noch immer sehr schön, von der Schönheit einer antiken Medaille, und hatte wunderbare Hände.

Einmal waren wir eine Woche lang in Niksitsch beim Herrscherpaar zu Gast. Jeden Nachmittag fuhr die Königin mit mir aus. An ihrem Gürtel hing eine kleine silberne Börse voll einzelner Kronenstücke, die sie austeilte. Ich hatte bemerkt, daß diese Kronen stets ganz neu waren, und frag sie einmal, wieso das kam. „Sie sind nicht neu“ — sagte sie —, „aber ich rühre kein Geld an, bevor mein Stubenmädchen es mit heißem Wasser, Seife und Bürste gewaschen hat, es ist, doch so etwas Schmutziges!“ Da fällt vielen eleganten Damen nicht ein! —

Der Fürst Nikolaus hatte manche beneidenswerte Herrschertalente, schon

lhaftes Namens- und Physiognomiengedächtnis gehörten dazu.

An Humor hat es dem Herrscher der schwarzen Berge auch nicht gefehlt. Da kam einmal ein Engländer daher und erklärte, er wolle sich im Lande umsehen — es sei nicht möglich, daß er nicht etwas entdecken könnte, womit man Handel treiben kann. Der Fürst war begeistert, der Mann reiste kreuz und quer und kam nach ein paar Wochen übler Laune zurück: er hatte nichts finden können! Es war einfach nichts Exportfähiges da. „So“, meinte der Fürst, „Sie vergessen meine Tochter!“

Unsere englische Kollegin, Mrs. Kennedy, war eine eifrige Fischerin. In Niksitsch fließt ein herrlicher Forellenbach und sie beklagte sich, daß die Fischerei nicht genug geschont werde. „Wissen Sie was“, sagte der Fürst, „ich schenke Ihnen den ganzen Bach, machen Sie damit, was Sie wollen!" Es gab in Europa keinen Herrscher, der einen Bach .verschenken konnte; nicht einmal der Zar konnte das!

Warum hat uns dieser „Nikita“ nicht geliebt, wie es recht und billig von ihm gewesen wäre, und auch sehr schön und selbstlos, denn er hat wahrhaftig wenig von uns gehabt!

Das ist nämlich auch eine jener Legenden, daß wir ihn mit Millionen überschüttet hätten. Die Millionen hat er von Rußland bekommen, wir konnten ja mit Rußland diesbezüglich nicht konkurrieren; es war - gewiß richtig, es gar nicht zu versuchen; alles, was der Fürst von uns bekam, war durch eine Reihe von Jahren nach dem Berliner Kongreß eine Subvention zum Bauen und Instandhalten der Straßen seines Landes, was auch im Interesse unserer Handelsbeziehungen war.

Persönlich hat Kaiser Franz Joseph mit der

Noblesse, die ihm eigen war, wenn er eine Gelegenheit hatte, dem montenegrinischen Nachbar eine Aufmerksamkeit zu erweisen, es stets getan. Während einer Karlsbader Kur waren sie alle seine Gäste, auch einige Male wurden Wagen und Pferde zum Geschenk gemacht, aber das war sehr selten. Ein Paar wundervolle Pferde wurden zur goldenen Hochzeit geschickt, nachdem das letzte Paar zwölf Jahre früher geschenkt worden war.

Anläßlich desselben Festes sandte der Zar einen Marschallstab in Brillanten im Wert von 300.000 Rubel, der eine Jahresrente von 160.000 Rubel, bedeutete. Die Zarin sandte eine goldene Ikone der Familie Romanov mit einem Rahmen von Saphiren und Brillanten! Und die Brillanten und Saphire aus Rußland kamen nicht in Intervallen von zwölf Jahren!

Wirtschaftliche Vorteile hätten wir bieten können, das konnte Rußland nicht, und gewiß hätte der Fürst — und besonders das Volk, das ja keine russische Brillanten und Saphire bekam — es zu schätzen gewußt; aber war es denn bei der Schwerfälligkeit unseres Apparats möglich, eine großzügige Handelspolitik zu betreiben? Alle ungarischen Agrarier haben geschrien, wenn es hieß, daß ein montenegrinischer Ochs nach Dalmatien weniger Einfuhrzoll zahlen soll als ein ungarischer! Dies hätte dem Absatz ungarischer Ochsen in Österreich schaden können?! Wo war je in österreichischen Finanzkreisen Geld für irgendein Unternehmen in Montenegro aufzubringen? Die Drahtseilbahn auf den Lovcen (Krstac), der Traum des Fürsten, wurde vorübergehend zur Wirklichkeit, als er schon im Exil und das Land von uns besetzt war, — In Luftlinie sind es 1250 Meter — man hätte oben Skiläufen, und mittag unten in Zelinika Rosen pflücke und im Meer baden können. Der intelli- gende Egoismu ist Leben und Lebenlassen, sogar oft den Nachbar leben helfen.

Sir Charles Elliot, in seinem exzellenten Buch über den Balkan, weist darauf hin, daß nach der Schlacht am Amselfelde die Masse der serbischen Rasse sich dem türkischen Joche unterwarf; nur ein kleiner Teil — die Aristokratie — zog sich in die unwirtlichen schwarzen Berge zurück, um diesem Schicksal zu entgegen, und er meint, man könne daran nicht zweifeln, denn die Serben sahen aus wie ein Volk von Bauern, die Montenegriner wie ein Volk von Fürsten.

In den schweren Zeiten der Annexionskrise habe ich oft daran denken müssen,

rnehm haben sie sich benommen. — Die Gemüter waren aufs tiefste erregt. Im hohen Schnee an den Grenzen standen sich unsere Vorposten und die Montenegriner auf wenige Schritte gegenüber. Niemals in der ganzen Zeit ist mir irgendwo eine Unkorrektheit oder Unhöflichkeit widerfahren.

Am 2. Dezember 1908, in der gespanntesten Lage, fand das sechzigjährige Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josephs statt. In Rom, dem verbündeten Italien, hat es der Botschafter nicht wagen dürfen, diesen Tag auf irgendeine Weise zu feiern. In Cetinje hatten wir am Abend vorher illuminiert — am Festtage ein Hochamt, zu dem auch die montenegrinischen Minister erschienen, und abends ein Diner, bei welchem mein Mann das Hoch auf den Kaiser ausbrachte. Nebenbei bemerkt, war uns vom Militärkommando in Cattaro von einer Feier abgeraten worden, da nach Konfidentenmeldungen im Falle einer Feier die Gesandtschaft in die Luft gesprengt werden würde!

Mehr als 300 Jahre haben die Petrovitsdi Njegusch über Montenegro geherrscht, länger als die Romanows über Rußland, und mancher tüchtige Mann ist dem Stamme entsprossen, bis ins vergangene Jahrhundert vereinigten sie geistliche und weltliche Würde, und die Montenegriner haben ihnen gehuldigt.

Nadi dem ersten Weltkrieg sind alle besiegten Länder, wenn auch verkleinert und ruiniert, doch wieder erstanden, nur Montenegro, das zu den Alliierten gehalten hatte, wurde als selbständiges Land von der Karte von Europa gestrichen, und der den alten König und sein Haus vertrieb, war sein eigener Enkel, Sohn seiner verstorbenen Tocher Zorka, die Peter Karageor- gevitsch geheiratet hatte.

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