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In Hamburg fällt man nicht auf

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WENN SICH IM BERLINER SCHLOSS im vorigen Jahrhundert zu festlichen Anlässen die Diplomaten aus aller Welt ein Stelldichein gaben, befand sich unter ihnen stets ein Herr, der sichXdadurch auszeichnete, keine Orden zu tragen. Seine äußere Erscheinung wog jedoch das fehlende Gold und Silber auf seiner Brust auf, und seine aristrokratischen Züge standen in einem gewissen Widerspruch zu dem bürgerlichen Namen auf seiner Visitenkarte. Ein Gesandter der Freien und ♦Jansestadt Hamburg wußte sich jedoch auch in undekoriertem schwarzem Anzug Respekt zu verschaffen.

Diese vornehme Zurückhaltung wird in der Hansestadt mit dem englischen Ausdruck „Understatement“ charakterisiert, der noch heute, wie zur kaiserlichen Zeit, Maßstab dafür ist, ob man zur Hamburger Gesellschaft gehört oder nicht.

Die demokratische Gesinnung der Bürger dieses alten Stadtstaates tut sich in erster Linie darin kund, daß man nicht aus dem Rahmen fällt. Es gehört zum guten Ton, zu untertreiben, seinen Reichtum nicht sichtbar werden zu lassen und sich ja nicht in der Kleidung um einen Deut über den vorgeschriebenen Anzug hervorzuheben' Mit zurückhaltender Höflichkeit bleibt man in einer Reservestellung, um sich vor jeder zu treffenden Maßnahme erst einmal zu vergewissern, was die „andern“ tun.

EXKLUSIV IST IN HAMBURG nicht der Einzelne, sondern nur die Gesellschaft in corpore. Wer dazu gehört, bestimmen ungeschriebene Gesetze, in deren Geheimnisse ein Fremder kaum eindringen kann. Die Einladungsliste der Protokollabteilung des Rathauses und die Mitgliederverzeichnisse des Rotary Clubs, der großen Ländervereine, des Überseeklubs oder des Golfklubs lassen eine gewisse Abgrenzung auf die mehrere hundert Namen umfassende Schicht derjenigen Hamburger zu, die der Mentalität der Stadt ihr Gepräge geben.

Es wäre aber falsch, zu glauben, daß dieser Personenkreis auch gleichzeitig die politischen Geschicke der Stadt lenkt.

Wer wirklich tüchtig war, hatte hier früher schon Aufstiegsmöglichkeiten, auch wenn erst seine Kinder oder Enkel Zutritt zur eigentlichen Hamburger Gesellschaft fanden. Konnte man doch sicher sein, daß sich durch einen „Emporkömmling' der Stil der Stadt nicht ändern würde, denn wahre Aufstiegschancen hat erst derjenige, der die Mentalität der Stadt in sich aufgenommen hat.

KEINE GROSSSTADT IST Hamburg trotz seiner fast zwei Millionen Einwohner. Die geistige Haltung, die den Bewohnern ihr Gepräge gibt und eine so starke Ausstrahlungskraft hat, daß jede zugewanderte Familie schon bald von ihr erfaßt und geformt wird, ist ein Phänomen, das man sonst nur in wesentlich kleineren Siedlungsgemeinschaften antrifft. Wie paradox für eine Welthafenstadt! Doch wer Hamburg verstehen will, muß den Geist kennen, aus dem heraus sich diese Stadt formte.

Drei Dinge gibt es allerdings, die man in Hamburg vergeblich suchen wird: eine nachts belebte City, in der vornehme Stadtwohnungen liegen und in deren Straßen abends promeniert wird. Vergeblich sucht man auch nach einem historischen Teil, einer verwinkelten Altstadt mit prunkvollen Giebeln, Fassaden und alten Mauern, die von einer jahrhundertealten Geschichte erzählen. In gleicher Weise fehlt es an entsprechenden Lokalen. Gemütliche Gasthäuser und Schenken hat es in der Hamburger Geschichte nur vereinzelt gegeben.

Diese Merkwürdigkeiten finden ihre Erklärung in der hanseatischen Tradition. Nie hat es in Hamburg ein Schloß gegeben, um das herum sich

nach Rang und Ansehen die vornehmen Adels- und Bürgerhäuser gruppierten. Jeder wahlberechtigte Bürger fühlte sich hier als Souverän, und weder Orden noch Adel waren innerhalb der Stadtmauern zugelassen, um nicht das Prinzip der Gleichberechtigung zu gefährden. Lediglich der Kommandant der Bürgerwehr durfte aus adeligem Geschlecht stammen, da Militärfachleute in der damaligen Zeit normalerweise ein Adelsprädikat trugen. Er war aber kein Hamburger, sondern ein von der Stadt angestellter Ausländer.

Hamburgs Stadtbild war einer stetigen Wandlung unterworfen, in der für Sentiments kein Platz war. Die Stadttore wurden abgerissen, nachdem sie ihren inneren Sinn verloren hatten, und von alten Bauten trennte man sich, wenn ihre Rentabilität kaufmännisch nicht mehr vertretbar war.

EIN ZENTRUM DES GESELLSCHAFTLICHEN LEBENS ist die Börse. Genaugenommen sind es verschiedenartige Börsen, die sich hier an der Rückseite des Rathauses befinden. Der Wertpapierhandel findet zwar das weiteste öffentliche Interesse, doch sind für das Wirtschaftsleben der Hansestadt die verschiedenen Rohwarenbörsen von gleicher Wichtigkeit. Die Börse mit ihren Eigenarten hat weitgehend den Habitus des Hamburgers geformt. Wer in der Stadt sein „Kontor“ hat, besitzt auch eine Börsenkarte. Bis zum ersten Weltkrieg war der Besuch der Börse mit einem gewissen Zeremoniell verbunden, zu dem der schwarze Anzug und der Zylinder genauso gehörten wie die Pünktlichkeit. Wer zu spät kam, mußte Strafe zahlen. Das Börsengespräch ist für jeden Hamburger Kaufmann eine tägliche Gepflogenheit. Wir finden es nicht nur in den „heiligen Hallen“, in denen Namen und Zahlen von seriösen Herren in gellenden Schreien, für den Laien völlig unverständlich, ausgestoßen werden, sondern auch in den Restaurants der Innenstadt. Dort gibt es auf den Speisenkarten stets das „Börsenfrühstück“, worunter man sich jedoch ein normales Mittagessen vorzustellen hat. Ein Hamburger geht nicht mittagessen, sondern frühstük-

ken, auch wenn es bereits drei Uhr nachmittags ist.

ÜBER DAS GESCHÄFTLICHE GESPRÄCH hinaus ist der Hamburger weniger unterhaltungsfreudig als die meisten Deutschen. Schweigen ist kein Zeichen der geistigen Teilnahmslosigkeit, sondern ein Ausdruck vornehmer Zurückhaltung.

Hat man ein echtes Anliegen, so nähert man sich dem Kern der Sache in vielen Umschreibungen, deren wirklicher Sinn dem Ortsfremden oft entgeht. Bei der Auswahl seiner Bekanntschaften ist man sehr vorsichtig und holt sich, wie im Kaufmannsleben, zunäthst eine ganze Reihe von Auskünften und Referenzen. Es ist dabei

für den Fremden merkwürdig, für die Mentalität des Hamburgers aber bezeichnend, daß ein Herr weitgehend mit seiner Firma, eine Frau mit ihrem Mädchennamen bei der Vorstellung verbunden werden.

Dieses Distanzgefühl bringt es auch mit sich, daß für die Erledigung vieler privater Angelegenheiten ein Mittelsmann, ein Makler, eingeschaltet wird. Kennt man sich jedoch sehr gut, so herrscht zwischen Hamburgern ein ausgesprochen vertrauter Ton.

EINE VERBINDUNG ZUM HAFEN und zur Schiffahrt hat irgendwo jeder echte Sohn dieser Stadt. Der Hafen ist der einzige Teil der Stadt, der sämtlichen Teilen der Hamburger Bevölkerung in gleicher Weise das Gefühl der Heimat gibt. Seiner Bedeutung verdankt die Stadt weitgehend ihren Reichtum, und die zahllosen Schiffe, die hier aus- und einlaufen, stärken täglich auf neue das Bewußtsein einer Weltverbundenheit. Hier gibt es keinen Stillstand und keine geheiligte Nachtruhe. Tag und Nacht hört man das Heulen von Sirenen und den Schall der Niethämmer aus den großen Werften. Hier ist die Schlagader der Stadt. Die Umgangssprache im Hafen ist das Platt.

Für den Fremden ist der Hafen und St. Pauli ein Begriff. Für den echten Hamburger handelt es sich jedoch hierbei um zwei grundverschiedene Dinge. Vom Hafen lebt man; im Hafen hat man zu arbeiten, und in der Nähe des Hafens wünscht man ein Kontor zu besitzen. St. Pauli aber ist für diejenigen da, die sich amüsieren wollen, die Wochen und Monate auf See waren oder die als Fremde aus der Provinz kommen. Der einzige Teil Hamburgs, der nachts an eine Großstadt erinnert, wird von denjenigen Hamburgern, die den Ton der Stadt bestimmen, nicht besucht. Allenfalls begleiten sie einen auswärtigen Geschäftsfreund zu einem nächtlichen Bummel auf die Reeperbahn und in ihre Nebenstraßen.

KÜNSTLER HABEN ES SCHWER, sich in Hamburg durchzusetzen. Der durch Generationen kultivierte Kaufmannsgeist ist skeptisch gegenüber dem Unbekannten und scheut spekulative Risiken. Während man mit tödlicher Sicherheit die Güte einer Kakaobohne beurteilen kann, fehlt es am

Blick, junge Talente aus eigenem Urteilsvermögen zu entdecken.

Wenn man schon Bilder kauft, so will man sein Geld wertbeständig anlegen, und dies garantiert nur ein wirklich anerkannter Name. Im allgemeinen begnügt man sich bei der Gestaltung seiner Umgebung mit einer etwas folkloristischen Kunst und hängt sich Stadtansichten an die Wände.

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EINEN GANZ BESTIMMTEN STIL gibt es auch für Hamburgs Wohnkultur. Man liebt nicht das Extravagante, Verschwenderische, spart dafür aber auch nicht, wenn es darum geht, dem eigenen Heim die notwendige Solidität zu geben.

Selbst aus modernen Wohnungen strömt noch ein Hauch englischen Geistes der Viktorianischen Zeit. Englisch ist auch die Liebe zu den Gärten mit ihren sauber gepflegten Rasenflächen und den großen Parks, die nur in wenigen Städten in einer derartigen Menge zu finden sind.

Auch die Familienbindungen gehen oft häufiger über den Kanal als in das deutsche Binnenland, denn wenn man keine standesgemäße Heirat in Hamburg selbst machen konnte, war es bis in die zwanziger Jahre immer noch schicklicher, eine Britin zu heiraten, als ein Mädchen aus einer deutschen Provinzstadt.

DIE SACHLICHE ABGEWOGENHEIT und die vorsichtige Zurückhaltung des Hamburgers prägt sich bereits in der Jugend aus. Die Erziehung zur Verantwortung und zur einstigen Führung des väterlichen Geschäftes spielt schon in jungen Jahren eine Rolle.

Trotz einer Universität, die bereits 15.000 Studierende beherbergt, ist die akademische Ausbildung für den echten Hamburger etwas suspekt. Hier zählt noch immer die kaufmännische Lehre in einem Kontorhaus, wobei der Eingeweihte sehr gut zu unterscheiden weiß, bei wem man gelernt hat, und hat man die Handelskammerprüfung hinter sich, so wird die Ausbildungszeit in England oder Übersee fortgesetzt.

Hat man sich dort gut bewährt, so kann man als Junior in die väterliche Firma eintreten und übernimmt damit eine Tradition, die oft über viele Generationen zur Mehrung des Ansehens und Wohlstandes beitrug.

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