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Indianer— Mythos durch alte fotos

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Am 20. Oktober wild im Wiener Völkerkundemusem die bedeutsame Fotoausstellung des Edward Sheriff Curtis gezeigt. Erhieft die untergehende indianische Lebenskultur in 40.000 Bildem fest.

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Am 20. Oktober wild im Wiener Völkerkundemusem die bedeutsame Fotoausstellung des Edward Sheriff Curtis gezeigt. Erhieft die untergehende indianische Lebenskultur in 40.000 Bildem fest.

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Wer Indianer sagt, denkt sofort an den „edlen Wilden“, der stolz, frei und naturverbunden lebt. Einer der entscheidenden Mitgestalter dieses Klischees ist der 1868 in Whitewater, Wisconsin, USA geborene Edward Sheriff Curtis. Schon während seiner Kindheit von der sich verbreitenden Fotografie angetan, entschloß er sich, die untergehenden Kulturen der verschiedenen indianischen Völker zu dokumentieren.

Von 1906 bis 1927 besuchte er mit seinen Mitarbeitern an die neunzig verschiedene Stämme westlich vom Mississippi, in Alaska und in Kanada. An die 40.000 Fotos zeugen von seinem Eifer. Ein Teil der von Curtis und seinen Mitarbeitern gesammelten Informationen wurden im Werk „The North American Indian. Being a Series of Volumes Picturing and Describing the Indians of the United States and Alaska“ veröffentlicht. In über zwanzig Bänden erschienen mehr als 1.500 Bilder, einige davon in Farbe. Die Auflage wurde auf 500 Exemplare beschränkt. Die Edition begann 1907 mit einem Vorwort des Präsidenten Roosevelt. Der letzte Band dieses Mammutunternehmens erschien erst 1930.

Curtis war kein Fotograf, der auf den entscheidenden Augenblick wartete, er wollte die Völkerkunde mit seinem ganz persönlichen Kunstsinn vereinen. Daher komponierte er seine Bilder, unterstützte sie durch Retuschen und Lichtführung, ließ seine indianischen Modelle posieren, bezahlte sie für ihre Arbeit und brachte sie dazu, ganz bestimmte Requisiten wie Perücken, Kopfschmuck und Kleidung zu verwenden. Wenn möglich ließ er alle westlichen Kulturelemente entfernen oder machte diese durch Unschärfe unkenntlich. Wenn er etwa einen Indianer von einem niedrigeren Standort aus fotografierte, suggerierte er damit Größe und Erhabenheit. Oft ließ er bestimmte Zeremonien eigens für sein fotografisches Vorhaben „aufführen“.

Ursache für diese Art der Annäherung war seine Überzeugung, daß die traditionelle indianische Lebenskultur untergehen würde und die Indianer sich in die weiße ^Kultur integrieren würden. Er war mit seiner Ansicht nicht allein. Die zeitgenössischen Fachleute meinten, die indianische Kultur wäre aufgrund ihrer niedrigeren Entwicklungsstufe und der naturnotwendigen Ausbreitung der höheren, amerikanischen Zivilisation zum Untergang verurteilt. Den Indianern blieb nach dieser Auffassung nur die Möglichkeit, sich zu assimilieren oder auszusterben. Der Grund für diese Überlegungen lag im Schicksal der östlich des Mississippi lebenden Indianer begründet. Sie waren zum größten Teil verschwunden oder vertrieben. Curtis fühlte sich mitschuldig an diesem Vorgang und wollte für kommende Generationen die alten Traditionen so gut wie möglich dokumentieren.

Curtis kritisierte jene, die Vorgaben Zivilisation und Christentum zu bringen und verbrecherisch handelten: Habgier der Weißen, Vertragsbrüche und Verführung der Indianer zum Alkoholmißbrauch.

Die Fotos der Indianer boten den Weißen nicht nur das Bild einer anderen, interessanten Kultur, sondern wurden auch als Zeugnisse einer eigenen, längst vergessenen Entwicklungsstufe aufgefaßt. Unterstützend für den Erfolg von Curtis wirkte die Mystifizierung der eigenen Pionierleistung als Motor der Entwicklung bei der Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Indianer selbst sahen die Aufnahmen mit gemischten Gefühlen. Die Entstehung eines Ebenbildes durch die Einwirkung von Licht trug Curtis den Namen eines „Schattenfängers“ ein.

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