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Kaiser und Friedenskämpfer

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Nun jährt sich zum dreißigsten Male der Tag, an dem Kaiser Karl in der Verbannung gestorben ist, hingerafft von dem mörderischen Klima von Madeira, zu dem ihn die Machthaber der Siegerstaaten verurteilt hatten — ihn, den einzigen, der bis zum Äußersten für den Frieden gerungen, dem Frieden vielleicht auch die ererbte Krone geopfert hat. Nichts ist für die Persönlichkeit dieses Herrschers so charakteristisch, wie sein unbedingter Wille, vom Tage seiner Thronbesteigung an so rasch als möglich und tun jeden noch tragbaren Preis für sein Reich den Frieden zu erringen. Es kann kein Zweifel darüber sein, daß ihn dazu nicht nur die richtige Einsicht in die innen- und außenpolitische Lage bewog, sondern auch grundsätzliche Erwägungen, die in seinen christlichen Moral- und Humanitätsbegriffen verwurzelt waren. Sosehr aber der für seine Rolle nur ungenügend vorbereitete Kaiser ein feines Gespür für die reale Situation bewies und auch den redlichen Willen zeigte, nach seinen Erkenntnissen zu handeln, so sehr muß die Tragik erschüttern, daß es ihm nicht gelang, für die Durdiführung seiner Pläne das geeignete Team von Mitarbeitern zu erhalten. Da war sein

Vertrauensmann, der österreichische Ministerpräsident Seidler, ein höchst ehrenwerter Charakter, aber zu schwach, schlecht beraten und wenig erfahren, um in den Irrgängen nationalistischer Parte'politik sicher zu gehen. Neben ihm Stefan Tisza, als Ministerpräsident der mächtigste Mann in Ungarn, unzugänglich den großen Notwendigkeiten für die innere Umgestaltung der Monarchie, nach ihm dann Weckerle, festgefahren in den alten Geleisen magyarischer Staatsrechtler. Und dazu der Außenminister Czemin, der zuerst geneigt scheint, den vom Kaiser gewünschten Friedenskurs zu steuern und dabei so weit geht, daß er selbst an die Preisgabe des deutschen Bündnisses denkt, wie dies aus seinen eigenen Äußerungen hervorgeht, die er im Kreise von Standesgenossen im Frühjahr 1917 tat — derselbe Czernin, der auch in die Mission des Prinzen Sixtus frühzeitig eingeweiht wurde und der wie sein Kaiser versuchte, in diesem Zusammenhang auch den deutschen Bundesgenossen zum Verzicht auf Belgien und Elsaß-Lothringen zu bewegen; sie boten dafür den eigenen Verzicht auf die austro-polnische Lösung einschließlich Galiziens an. Nachdem diese Gespräche gesdieitert waren, vollzog der Außenminister eine völlige Schwenkung und ließ, im Widerspruch zu seiner Pflicht, seinen Kaiser im Stich. Ähnlich erging es dem jungen Monarchen bei der Verfolgung seiner Ideen für den inneren Umbau der Monarchie, mit denen er sich an das Konzept der Reichsreform seines Onkels Franz Ferdinand anlehnte. Aber weder die Befriedung der Tschechen durch den Akt einer Königskrönung in Prag noch die Zusammenfassung aller Südslawen der Monarchie in staatsrechtlicher Autonomie konnte er gegen die untereinander im Widerspruch stehenden Staatsmänner österreichischer und ungarischer Herkunft durchsetzen. Der ungarische Königseid erwies sich zudem für den streng religiösen Herrscher als ein unübersteig- bares Hindernis für eine Ordnung der Frage gegen den Willen der ungarischen Herrenkaste.

Am bezeichnendsten ist wohl sein Verhalten in den Tagen des Zusammenbruchs. Obwohl Außenminister Graf An- drissy seinen Herrscher davon unterrichtet hatte, daß aus Bern eine inoffizielle Mitteilung aus dem Kreise der französischen Regierung vorliege, daß man Österreich, falls es sich noch aus eigener Kfaft als existenzfähig erweisen sollte, erhalten und ihhi auch keine untragbaren Opfer auferlegen wolle, lehnte der Herrscher jede Gewaltanwendung zur Aufrechterhaltung seines Imperiums sehr bestimmt mit der Begründung ab, auf diesen schrecklic he n Krieg dürfe nicht noch ein Bürgerkrieg folgen. Der letzte gemeinsame Finanzminister, Dr. Spitzmüller, führt in seinen in Bälde erscheinenden Memoiren ein Telephongespräch des Kaisers mit seinem Statthalter in Mähren, Baron Heinold, an, in dem dieser darlegte, daß er jederzeit in der Lage sei, die kaiserliche Staatsautorität in seinem Bereich aufrechtzuerhalten. Als der Monarch fragte, ob hiezu Gewalt angewandt werden müsse, und Heinold erwiderte, es werde vielleicht „einige wenige Tote“ geben, entschied der Kaiser: „Dann wird es nicht geschehen!“ Ähnliches wird aus Budapest und Agram berichtet. Man maig bezweifeln, ob eine andere Haltung nicht viel mehr Unglück und Opfer erspart hätte. Aber man kann dem Verhalten des Kaisers ethische Größe nicht absprechen. So wair ja auch' die große Amnestie von zweifelhaftem politischem Wert, aber sicher eine Herzensangelegenheit des Kaisers. Dabei hat es Karl nie an persönlichem Mut gefehlt, wie er wiederholt im Felde und durch sein un garisches Unternehmen im Jahre 1921 beweist, in dem er sich auf Grund seines ihn verliehenen Berufs zum Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit verpflichtet fühlte. Aber auch damals scheiterte sein Ringen um Beruf und Krone an seiner entschiedenen Weigerung, es zu einem Kampf kommen zu lassen. So hat nicht mit Unrecht Anatole France in .A la Bechel-

lerie" das Urteil über diesen Herrscher gefällt:

„Kaiser Karl hat ein Friedensangebot gemacht. Er ist der einzige anständige Mensch in führender Stellung während dieses Krieges, aber man will ihn nicht hören. Da er den Frieden ehrlich will, hassen ihn alle."

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