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Kevermes

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Kevermes ist ein Dorf von 6000 Einwohnern in Südungarn. Dieser Name war vor kurzem für den Durchschnittsungarn ebenso bedeutungslos wie etwa für den Österreicher. Heute aber hat sich der Name dieses Dorfes ins Bewußtsein jedes ungarischen Menschen eingeprägt und ist ihm fast zum Symbol eines politisch-weltanschaulichen Kampfes geworden. Eine kleine, leidenschaftlich denkende und handelnde Gruppe hat diese „Auszeichnung“ für Kevermes dadurch erfochten, daß sie dem rührigen katholischen Pfarrer des Dorfes den Krieg erklärte und ihn, mit der Begründung, er habe Waffen versteckt, großen Verfolgungen ausgesetzt hat. Die Lage artete schließlich derart aus, daß der Oberhirt der Diözese die Schließung der Kirche von Kevermes anordnen mußte. Diese Anordnung konnte aber nicht durchgeführt werden, da die zu jener Zeit im Dorfe eben, erschienene Sekte der Mariaviten die Kirche mit Unterstützung jener kleinen Gruppe in ihren Besitz nahm. Die Sekte der Mariaviten stammt aus Polen und war in. Ungarn bii-dahin unbek'annt, aber im Zusammenhin mit den Kevermeser Ereignissen kam sie bald zur allgemeinen Beachtung. Ihr junger und kampflustiger Bischof versprach, „d i e Macht der römisch-katholischen Kirche in Ungarn zu zer-schmetter n“. Das gelang ihm zwar nicht, denn selbst in Kevermes konnten er und seine Freunde insgesamt nur an 300 Anhänger gewinnen.

Als es im Dorfe soweit war, daß die Gemüter sich endlich beruhigt hatten, starb ein nach dem Ritus der Mariaviten getauftes Kind. Der Vater suchte den von den Mariaviten drangsalierten katholischen Pfarrer auf und bat ihn um die Erlaubnis, das Kind im katholischen Friedhof beerdigen, zu dürfen. Der Pfarrer willigte ein, ließ aber das Grab außerhalb der Reihe der katholischen Gräber vorbereiten. In rasendem Zorn ergriffen der Vater und einige Mariaviten den Geistlichen und schleppten ihn auf den Friedhof und nur dem Einschreiten einiger besonnener Leute gelang es im letzten Augenblick, zu verhindern, daß der katholische Pfarrer von Mariaviten lebend begraben wurde. Man hat ihn aber sogleich gewaltsam aus dem Dorfe vertrieben.

Wer die fast sprichwörtliche Gutmütigkeit des ungarischen Volkes kennt, kann sich nicht erklären, wie hier die Leidenschaften so hochgepeitscht wurden, daß sie in ein solches Treiben ausarteten. Mag sein, daß das Ungewöhnliche dieses Geschehnisses in der Kevermeser Landchaft zu suchen ist“. Dieser Landstrich wurde im Laufe der Türkenknege vollkommen verwüstet und war seither ein wahrhaftes Durchzugseebict verschiedener südosteuropäischer Völkergruppen. Das Dorf Kevermes selbst entstand erst im Jahre 1816 und seine Bevölkerung setzt sich aus den Nachkommen der einzelnen Volkswellen zusammen. In dieser kurzen Zeit bis heute konnte sich die seelische Einheit dieses Mischvolkes nicht völlig ausbilden, so daß es den allgemeinen Takt des ungarischen Lebens noch nicht erreichte. Dieser Mangel an seelischer Einheit macht es auch erklärlich, daß es verhältnismäßig leicht gelang, einen Keil in den seelischen Widerstand des ungarischen Volkes in Kevermes zu treiben. Es sei dem wie immer: ohne Zweifel sind die Kevermeser Geschehnisse Symptome eines beginnenden weltansdiaulichen Kampfes. (Einige ungarische Stimmen sprechen sogar vom Beginn eines Kulturkampfes.)

Der Kampf betrifft die christlichen Kirchen, Katholiken und Protestanten gleichermaßen. Im wesentlidien aber richtet er sich natürlich — wegen ihres Machtgewichtes — gegen die katholische Kirche, welche 60 Prozent der gesamten Nation, also rund 6 Millionen Seelen, repräsentiert, Der Hauptanklagepunkt, der gegen das ungarische Christentum erhoben wird, lautet: die ungarischen Kirchen nehmen keinen würdigen Anteil am demokratischen Wiederaufbau des Landes, ja sie stehen sogar im Dienste der „Reaktion“. Der un-garisdie Katholizismus erstrebt angeblich die Wiederherstellung des Feudalismus. In diesem Zusammenhang weist man auf die ungarische Kirche hin, die vor dem Kriege viele ungelöste soziale Probleme aufwies. Hiebei vergißt man, daß sich eben dieselbe „feudale“ Kirche von selbst erneuerte und in ihren jungen Generationen zur Vorkämpferin der großen sozialen Veränderungen wurde. Man sucht also nach Rechtstiteln zur Besdiränkung des kirchlichen Einflusses im Volksleben und man bemüht sich, den Beweis zu erbringen, daß die christliche Lehre unzeitgemäß ist. Infolgedessen wurden im vorigen Jahre unzählige konfessionelle Organisationen, darunter auch die blühendsten Gründungen des ungarischen Katholizismus des 20. Jahrhunderts, die sogenannten Volksbewegungen des AC (Agrarjugend- und Arbeiterbewegungen), verboten. In dieser Atmosphäre entstand das neue Ehegesetz. Zur gleichen Zeit tauchte auch die Frage der konfessionellen Schulen auf, aber die imposante Abwehr der gesamten katholischen Gesellschaft erzwang, daß dieser Punkt einstweilen von der Tagesordnung, verschwand. Im Verlaufe eines Monats sind 1250 Protestschriften katholischer Gemeinden, Gemeinsdiaften und Organisationen an die Regierung gelangt, welche die Freiheit des Unterrichtes und der Vereinigung verlangten. In den neuesten zwischenparteilichen Verhandlungen bildete das Verhältnis der Kirche zur Demokratie abermals eines der Hauptpunkte und aus der Budgetdebatte des Kultusportefeüilles wurden* konkrete Pläne ersichtlich. Die Ankündigung, daß als-erste Vorbedingung für die neue Demokratie die Einführung des fakultativen Religionsunterrichts gelten müsse, rief in der Bevölkerung und auch unter c'er Arbeiterschaft eine solche Unruhe hervor, daß der Ministerpräsident Nagy sich bewogen sah, mit großem Nachdruck zu sagen, man könne doch der Regierung eines Staates, an dessen oberster Spitze ein protestantischer Pastor stehe — eine Anspielung auf den geistlichen Beruf des Staatspräsidenten Zoltan T i 1 d y—, und da er, der Ministerpräsident, selbst in seiner kalvinisdicn Kirche Funktionen ausübe, nicht zumuten, daß sie etwas zur Zerstörung der Religion unternehmen könne. Es handle sich nur um die Herstellung des Elternrechtes, über die Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen, und zwar nur darum, daß Eltern, die keine religiöse Erziehung ihrer Kinder wünsdien, diese vom Religionsunterrichte abmelden müssen Aber nicht komme in Betracht das Umgekehrte, daß nur solche Kinder den Religionsunterricht empfangen, für die es die Eltern ausdrücklich verlangen, Im Lehrplan bleibe nach wie vor der Religionsunterricht als normaler Lehrgegenstand erhalten. Gegen eine solche Art der Regelung wäre wenig eirizuwenden, wenn es dabei bleibt. Aber viele besorgen, daß die jetzige Regelung ähnlich wie in Jugoslawien, wo es auch mit der Freiwilligkeit des Religionsunterrichtes begann, nur die Einleitung der Abschaffung sei. So bleibt das Urteil noch in Schwebe. Es muß aber vermerkt werden, daß schon jetzt allerlei unternommen wird, um die religiöse Erziehung der lugend zu behindern. So durfte zum Beispiel ein Betriebsrat in seinem Großbetrieb die Osterexerzitien der Arbeiterjugend verbieten. Schon sprieju man von der Verstaatlichung der konfessionellen Schulen als nächste Aufgabe. Es geht um 2 8 6 8 Volks- und Mittelschulen der ungarischen Katholiken wie auch um 1200 Volks- und etwa 50 Mittelschulen der Protestanten, also um die segensreichen Ergebnisse jahrhundertelanger kirchlicher Aufbauarbeit, f In der Beurteilung der Grundsatzfragen und der einzunehmenden Stellung sind die ungarischen Katholiken und Protestanten vollkommen einig. Ihren wiederholten Erklärungen nach können die ungarischen christlichen Kirchen nicht auf ihr Recht, beziehungsweise ihre Pflicht des Religionsunterrichtes verzichten. Dieser Verzicht wäre gleichbedeutend mit dem Versagen ihrer christlichen Berufung und einer freiwilligen Ausschaltung aus der moralischen Erziehung des ungarischen Volkes. Damit würden sie den Weg für einen Prozeß freimachen, welcher das religiöse Empfinden des tiefgläub gen ungarischen Volkes und sein Vertrauen in die Demokratie untergraben würde, weil kirchenfeindliche Maßnahmen nur dem Willen einer höchstens zehn-prozentig?n Minderheit entsprechen. Es ist bezeichnend, daß auch die Bewohner der bekannten Bauernstadt Mezökövesd, der Stadt der bäuerlichen Armut und einer1 der größten Wiegen des ungarischen Agrarproletariats, gegen die Einführung de:, fakultativen Religionsunterrichtes protestierten. Die Protestnote wurde von .11.3 54 Personen unterschrieben und nur 95 derselben haben die Unterschrift verweigert. Ein Ursache für die jetzige Radikalisierung der ungarischen Entwicklung ist dadurch gegeben, daß Ungarn für seine soz;.i!e Demokratie die Versäumnisse vieler Jahrzehnte nachzuholen hat. In dieser Lage kämpft der ungarische Katholizismus, von seinen weltlichen Positionen und Gütern meist verdrängt — im Falle des Großgrundbesitzes war es eine Befreiung — und auf weitere irdische Verluste vorbereitet, gemeinsam mit den gläubigen Protestanten für die ewigen Werte der Menschheit. Die Bischöfe haben d a s Gebet, die Versöhnung mit Gott zum einzigen Programm für das Jahr 1947 erklärt. „E in Flammenmeer von Gebet, Glauben und Versöhnung soll auf dem ungarischen Boden entstehe n“, verkündigte dieses Programm. Und was immer auch den Kevermeser Ereignissen folgen mag — das Wichtigste: der innere FW'-den der Menschen kann nur in der Rü-kk-hr zu den christlirhrn Grundsätzen des Zusammenlebens gefunden werden.

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