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Kinder ihrer Stadt

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Mit dem Namen Ida Boy-Ed wird ein Stück versunkener Kultur Lübecks lebendig — eine Zeit nämlich, in der sich ein Umbruch bürgerlichen Lebens ankündigen wollte. In den letzten drei Jahrzehnten vor der Jahrhundertwende trug Lübeck nicht nur äußerlich das Gesicht seines ehrwürdigen Alters, sondern war auch innerlich von Generation zu Generation geprägt worden durch die Dynastien seiner Patrizier, deren Geist und Sitte die alte Hansestadt einseitig-streng beherrschte. Zwar stand das Handelsleben im Mittelpunkt alles Denkens, aber im Maße wie der Wohlstand aufgestiegen war, hatte sich Kultur und Sitte entwickelt, an denen niemand rütteln durfte, wenn er Würde und Ansehen zu bewahren wünschte. Und so übertrug sich dieser Geist auch auf die Familie.

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Mit dem Namen Ida Boy-Ed wird ein Stück versunkener Kultur Lübecks lebendig — eine Zeit nämlich, in der sich ein Umbruch bürgerlichen Lebens ankündigen wollte. In den letzten drei Jahrzehnten vor der Jahrhundertwende trug Lübeck nicht nur äußerlich das Gesicht seines ehrwürdigen Alters, sondern war auch innerlich von Generation zu Generation geprägt worden durch die Dynastien seiner Patrizier, deren Geist und Sitte die alte Hansestadt einseitig-streng beherrschte. Zwar stand das Handelsleben im Mittelpunkt alles Denkens, aber im Maße wie der Wohlstand aufgestiegen war, hatte sich Kultur und Sitte entwickelt, an denen niemand rütteln durfte, wenn er Würde und Ansehen zu bewahren wünschte. Und so übertrug sich dieser Geist auch auf die Familie.

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Ida Boy-Ed wurde 1852 in Bergedorf geboren, wo der Vater, Christoph Marquard Ed, ein großes Ansehen genoß. Er war Druckereibesitzer und Herausgeber der guten alten „Eisen-bahnzedtung“, die damals eines der führenden literarischen Blätter war und in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Er pflegte Freundschaft mit allen bedeutenden Persönlichkeiten, welche damals in Hamburg lebten oder dort häufig einkehrten, so auch mit Gutzkow und Hebbel. 1965 verlegte er den Gesamtbetrdeb der „Eisenbahnzeitung“ nach Lübeck, und die Tochter war lebenslang stolz darauf, eine doppelte Hanseatin zu sein, nämlich Hamburgerin und Lübeckerin zugleich; denn Bergedorf galt als „bedderstädtisch“, weil es abwechselnd von beiden verwaltet wurde.

„Meine ganze Kindheit“, so sagte sie, „ward von der würdigen und bedeutenden Gestalt meines Vaters beherrscht.“ Als nun der Sohn des Lübecker Patriziers Boy die eben Siebzehnjährige heimführte, mußte sie, die in strengen bürgerlichen Begriffen aufgewachsen war, bald erfahren, daß auch die Ehe eine freie künstlerische Entwicklung nicht zuließ. Ihre schriftstellerischen Ambitionen wurden belächelt, da das Patrizierhaus ihres Schwiegervaters von patriarchalischem Despotismus und unerträglicher Stickluft erfüllt war; er verbot ihr, an einem Buche, oder überhaupt künstlerisch, zu arbeiten, weil ein solches Handwerk für Frauen „nicht anständig“ sei. Es war noch wie zur Zeit der Droste, als es für ein weibliches Wesen verpönt war, schriftstellerisch tätig zu sein. Mit dem Mut der Verzweiflung arbeitete sie heimlich an ihrem ersten Novellenband. Mit ihm wollte sie das eingeengte seelische Recht der Frau gegen alte Voreingenommenheiten freikämpfen. Es war eine Kampfansage gegen überholte Begriffe, gegen unechte Befangenheit unter Ausschaltung des gesunden Empfindens der Töchter. Das Buch wirkte wie ein Fanfarenstoß, und der Kritiker der „Lübeckischen Blätter“ ermahnte die Eltern, es vor den Töchtern zu verschließen. In einer Fußnote betonte die Redaktion jedoch, daß sie grundsätzlich nicht immer mit der Tendenz abgedruckter Kritiken übereinstimme. Denn hier lag der seltsame Fall vor, daß in der „Deutschen Rundschau“ der bedeutendste Kritiker jener Zelt, Friedrich von Bodenstedt, auf die ungewöhnliche Begabung der Verfasserin hinwies, so daß selbst im Hause ihres Schwiegervaters ein innerer Wandel sich vollzog. Und als sie ihm dann die ersten eingehenden Honorare nannte, war auch er von seiner Abneigung gegen die weibliche Betätigung in der Literatur geheilt

Die öffentliche Meinung war ganz auf ihrer Seite, und bald sind es die „Lübeckischen Blätter“ selber, die ihren Ruhm Buch um Buch festigen. So hieß es beispielsweise:

„In Ida Boy-Ed fließt ein Tropfen Stormschen oder Turgenjewschen Blutes, sie hat von Storm das Stimmungsvolle, von Turgenjew die Meisterschaft in der Darlegung psychologischer Vorgänge, und läßt uns gänzlich vergessen, daß ihre

Werke aus der Feder einer Frau stammen...“

Wohl verstanden: aus der damaligen Sicht betrachtet, denn die grundlegenden Rechte der Frau, die heute selbstverständlich sind, mußte sie sich erst durch ihren „männlichkühnen Geist“ mühsam erkämpfen. Ihre Werke setzten sich bald weit über Deutschlands Grenzen durch. Es gab keine bedeutende Zeitschrift, die ihre gesellschaftskritischen Romane nicht abdruckte, wobei zu bemerken ist, daß man die damaligen Literarischen Blätter mit dem niedrigen Niveau der heutigen „Illustrierten“ nicht vergleichen kann. Drei ihrer Monographien werfen ihr Licht auch noch ins Heute, „Charlotte v. Kalb“, „Madame de Stael“, ein Buch, das noch jetzt eine Bereicherung der Stael-Litera.tur bedeutet, und „Das Martyrium der Frau v. Stein“. In letzterem weist die Autorin als erste Frau in Deutschland den erstaunt aufhorchenden Lübeckern nach, daß die L'febe zwischen Goethe und Frau v. Stein nicht rein platonischer Art war. Während man in Weimar an einen nur freundschaftlichen Bund glaubte oder glauben durfte.

Kaum weiß es heute noch jemand in der alten Hansestadt, daß Ida Boy-Ed es war, die als erste und einzige für Thomas Mann eintrat und ihm den Weg bahnte, als dieser durch den Roman „Buddenbrooks“ in seiner Heimatstadt völlig verfemt war. Mit tiefer Bewunderung und Verehrung hing er an dieser bedeutenden Frau, die ihm in bittersten Stunden die erste Hilfe war, ohne daß sie darauf achtete, wie sehr sie sich anfangs selber damit schadete, denn es war nicht leicht für eine Frau, sich so unbedingt vor den jungen Stürmer zu stellen. Doch lassen wir ihn hier einige Worte aus seiner Laudatio zum 75. Geburtstag auf seine große Gönnertin selber sprechen:

„Ich bin aufgewachsen in Bewunderung für die hohe, schöne, klugblickende Frau, die soviel geschrieben hatte und im Lande berühmt war. Ich verschlang ihre Theaterkritiken in der „Eisenbahnzeitung“ und was mir von ihren Erzählungen zu Gesicht kam. Ich war innerlich fest auf ihrer Seite, gegen Lübeck, das kleinbürgerliche Lübeck von damals, in dem man es, ausgenommen zwei, drei Leute, die wußten, was Literatur ist, höchst wunderlich und verdächtig, wenn nicht geradezu .gediegen' fand, zu .schreiben' und ,ein-rücken zu lassen'. Ahnte mir, daß ich ihres Schutzes bedürftig sein würde? Er ist mir zuteil geworden. Sie war die erste, die an mich geglaubt hat in Lübeck, der erste Lübecker — soviel ich weiß —, der Buddenbrooks' nicht abscheulich fand, sondern mich verteidigte...“ Immer wieder wandte er sich an seine Mäzenin, und sie hat ihm ihre Hilfe auch später nicht versagt, wenn ihm nach Abfassung eines neuen Werks, wie z. B. „Königliche Hoheit“, die Sorge heimsuchte, ob es ihre Anerkennung fände, so daß sie mit gleicher Uberzeugung wie für „Buddenbrooks“ eintreten könnte, denn sie blieb die ständige Mittlerin zwischen ihm und Lübeck. Als sein Buch „Königliche Hoheit“ erschien, sandte er ihr das erste Exemplar und schrieb dazu in einem — aus ihrem Nachlaß stammenden bisher unveröffentlichten — Brief vom 19. März 1909:

„... Was Sie wohl sagen werden! Und das Publikum. Es wird Herbst und Winter werden, bis ich erfahre, ob man irgend etwas mit dem wunderlichen Produkt wird anzufangen wissen. Meine Ungeduld ist groß. — Die Stelle Ihres Briefes, über die ich mich beinahe am meisten gefreut habe, ist die, wo Sie von Ihrem Entschluß sprechen, für die .Lübeckischen Blätter4 über königliche Hoheit' zu schreiben. Ich möchte Sie in dieser Absicht aus allen Kräften bestärken — denn es ist unglaublich, wie sehr es mir um Lübeck zu tun ist. Wollen Sie einen kühnen Vergleich? Napoleon hat gesagt, daß nach jedem Tag, jeder Schlacht, jedem Sieg, sein erster Gedanke gewesen sei: Was wird das Faubourg St. Germain dazu sagen? Lübeck ist mein Faubourg St. Germain. Immer denke ich: Was wird Lübeck dazu sagen? Ich bin schon Gott weiß wie gelobt worden. Aber ein Artikel in den .Lübeckischen Blättern' — und noch dazu von Ihnen — irird mir tatsächlich wichtiger sein als eine Hymne im Journal des Debats'...“

Thomas Mann konnte sich getrost an sie wenden, denn in der Gradldnig-keit ihres wahrheitsliebenden Wesens würde sie nie ein literarisches

Urteil abgeben, das nicht aus innerer Uberzeugung gewachsen ist. Noch zum 50. Geburtstag Thomas Manns zieht sie eine Bilanz seines künstlerischen Schaffens und hebt darin seine ungewöhnliche Begabung hervor, das Mürbe und Brüchige zu schildern.

Ida Boy-Ed erkennt bei dem Studium des Manuskriptes („Königliche Hoheit“) sofort, daß es sich bei diesem neuen Buch Manns um ein bedeutendes Werk deutscher Literatur handelt Ihre Aussage in den „Lübecker Blättern“ hier folgen zu lassen, läßt der Raum nicht zu.

Jedenfalls drücken die Sätze mit ihrem unbeirrbaren literarischen Spürsinn die prophetische Uberzeugung aus, daß es „eines der großen und bleibenden Werke der deutschen Literatur sein wird... Man muß wohl selber zum Bau gehören, fährt sie fort, um die künstlerische Gewissenhaftigkeit anzustaunen, mit der Mann auch jede, die scheinbar kleinste und nebensächlichste Linie, die er zu zeichnen begann, bis zum Ende durchführt... Und in diesen mit dithyrambischem Schwung dargestellten Aufstieg von Land und Volk und Fürstenhaus läßt die Dichtung .den sozialkritischen Unterton fallen und wird zur Zukunftsvisdon.“

Und in fast liebevoller Weise winkt sie in ihrer Laudatio Thomas Mann den Schlußgruß zu: „Ich freue mich, dieses alles, von seiner Vaterstadt aus datiert, dem Dichter sagen zu dürfen.“

Sie ermahnt ihn jedoch bei aller Bewunderung, dieses Zersetzende nicht als Grundelement zu nehmen, sondern einen Weg zu finden, Neues erstehen zu lassen, „...denn jeder Wirkende“, so sagt sie, „und vor allem künstlerisch Schaffende, ist ein Werdender bis zuletzt“ Ida Boy-Ed ist in Kaufmannskreisen aufgewachsen und hat in ihrer eigenen Entwicklung das Engstirnige und Hemmende überwunden; sie ist nun doppelt empfänglich für das neue Aufblühende ihrer Umwelt. Daher war in ihr bald nach „Buddenbrooks“ der Wunsch entstanden, widerzuspiegeln, was sich seither in Lübeck grundsätzlich und emporstrebend geändert hat. Sie arbeitet an einem Roman, der diese neue Seite des Lübecker Kaufmannslebens hervorhebt und eine andersartige Atmosphäre des Hanseatentums erkennen läßt. Ihr neues Buch heißt „Bin königlicher Kaufmann“, das vom Verlag Cotta aus bald einen großen Weg zurücklegen sollte. Sie sendet dies neue Werk an Thomas Mann. Schon kurze Ausschnitte aus seinen dankbaren Zeilen vom 28. Juni 1910 zeigen, mit wieviel Wärme er sich in diese Arbeit vertieft:

„... Ich atmete Heimatluft, während ich las, aber die Luft einer Heimat, die ich nicht mehr kenne, einer neuen verjüngten Heimat mit frischer Luft, erweitertem Horizont, einer Heimat, auf die man stolz sein darf. Mich als Hanseat zu fühlen, habe Ich nienals aufgehört; aber auf Lübeck rls Vaterstadt stolz zu sein, war schon Zeit, als ich es mit 25 Jahren verließ. Ich habe besonderen Grund, hier zu bewundern, denn eine der schwachen Seiten meines eigenen Kaufmannsromanis ist, daß das Kaufmännische darin auf eine fast ärmliche Weise zu kurz kommt...“

Doch war Thomas Mann nicht der einzige gewesen, der in schwieriger Zeit ihre Stützung genoß. Unter anderen hatte sie auch Wilhelm Furt-wängler in Lübeck in seinen jungen Tagen den Weg geebnet, bis zu seiner anhebenden Berühmtheit. Wie denn überhaupt alles in ihrem Hause verkehrte, was nicht nur in Lübeck, sondern in der deutschen Kunstwelt Namen und Geltung besaß. Ihr hinterlassenes Brief archiv legt beredt Zeugnis über den von ihr gepflegten geistigen Schriftverkehr ab, hier finden sich die Namen der Musiker Siegfried Wagner, Max von Schillings und Hermann Abendroth, ferner der Schriftsteller Dehmel, Sudermann, Eulenberg und des Bildhauers Fritz Behn, der Lübeck in jungen Jahren verließ. (Übrigens ist er der Schöpfer der Antilope in der Nähe des Holstentores und der beiden Löwen auf der Burgtorbrücke.) Der Lübecker Senat ließ es an Ehrungen für seine große Mitbürgerin nicht fehlen; er hatte ihr zu ihrem 60. Geburtstag in dem aus dem frühen Mittelalter stammenden Burgtor eine große Wohnung als lebenslanges Ehrengeschenk herrichten lassen. Sie war anfangs nicht besonders glücklich über diese unzeitgemäße Bleibe zwischen den alten dicken Mauern, wo sie eich etwa vorkam wie die Droste in der Meersburg am Bodensee. Aber bald erfüllte sie diese Räume mit ihrem immer jugendlichen Geist und dem bewegten Leben, das ihre bedeutenden Freunde und Gäste ihr zutrugen. So oft Thomas Mann seine Heimatstadt besuchte, war er stets Ihr Hausgast im Burgtor. An ihrem 75. Geburtstag beteuert er: „... Nie hat sie aufgehört, mir Zeichen ihres Wohlwollens zu geben, der geistigen Teilnahme, mit der sie meinen Weg verfolgt, auch wenn er ihr irrig und gefährlich scheint, und immer werde ich ihr Dankbarkeit dafür bewahren müssen...“

Als Ida Boy-Ed auf Veranlassung des Lübecker Seiiiats 1925 in Berlin von Sievogi gemalt werden sollte, traf ich sie ein letztesmal. Es war eine Art Abschiednehmen. Im Rahmen einer Teestunde gerieten wir spontan, wie bei allen bisherigen Begegnungen, in edn Inhaltsreiches Gespräch. Sie hatte trotz ihres Alters nichts von ihrer Ausstrahlung verloren und kam sogleich mit der ihr eigenen Wärme und Lebendigkeit auf das zurückgelegte Leben zu sprechen. Deutlich war zu spüren, wie noch immer der alte Grundsatz in ihr wirkte: das richtige Ziel als wegweisend zu erkennen und unbeirrt im klaren Willen nicht nachzulassen. „Nichts ist so sicher wie dein Wollen“, so zeichnete sich ihr Wahlspruch bis zuletzt in ihrem Wesen ab.

Als am 17. Mai 1928 diese hoheitsvolle Frauengestalt aus dem Zeitlichen gegangen war, brach das künstlerische und gesellschaftliche Treiben im altehrwürdigen Burgtor jäh ab, und es wurde einsamer in diesen Räumen, in denen heute ein erlesen-stilles Handwerk sich betätigt. Ein Geigenbauer bewohnt sie mit seiner Frau, die ihrerseits eine Weberei betreibt, aus der manches handwerkliche Kunsterzeugnis in die Lande geht. Ein seltsamer Zufall wollte es, daß es eine Urenkelin Ida Boy-Eds an die Stelle zog, wo einst der Geist der Urgroßmutter waltete, dort die Kunstweberei erlernte, und daß in der gleichen Zeit ihr späterer Gatte, den sie dort kennen und lieben lernte, seine Erfahrungen für die Geigenbauerei sammelte. — Die Anlagen hinter dem rechten Burghaus nennt ein Straßenschild noch heute Ida-Boy-Ed-Garten. Allgemein verehrt, fand die große Hanseatin ihre Ruhestätte auf dem Geibelfriedhof, wie man ihn damals nannte. Ihre Bronzeplastik schuf Professor Fritz Behn; aus ihr tritt einem die Lebensechtheit überraschend ursprünglich entgegen mit der anmutigen Würde und so, wie man sich der Dichterin einst in Lübeck erinnerte. Es ist das geistgewordene Antlitz der Abgeschiedenen, gütig und mahnend zugleich. Am Fuß des Grabmals sind ihre Worte in den Stein gemeißelt: „Nichts ist so sicher wie dein Wollen.“

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