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Kirche in der Gefährdung

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Nach Liberalismus, Marxismus, Nationalsozialismus, die der österreichische Katholizismus überwinden mußte, sieht er ich einer neuen Gefahr gegenüber: einem würgenden Priestermangel, sowohl beim Welt- wie Ördensklerus.

Statistiker haben errechnet, daß im Jahre 1954 in der Erzdiözese Wien allein 1500 Geistliche zuwenig sein werden. Die Zahl der unbesetzten Hilfspriesterstellen ist von 1937 auf heute von 371 auf 785 gestiegen. Oft können die Bischöfe die Bitten von Gemeinden um Priester nicht mehr erfüllen. Manche Klöster haben durch ein Jahrzehnt keinen einzigen Novizen gehabt. Andere verzeichnen einen so geringen Nachwuchs, daß der Bestand langsam gefährdet wird.

Die Ursachen sind verschiedene: die NS-Zeit hat vor allem verheerende Folgen gehabt. Zahlreiche Priester und Theologen sind im Kriege gefallen. Viele, die einst die Absicht hatten, Theologie zu studieren, haben während der Arbeitsdienst- und Militärzeit ihre Berufung verloren. Die theologischen Fakultäten Innsbruck und Graz waren geschlossen, die Mehrheit der österreichischen Klöster aufgelöst, die Konvente zerstreut und schon gar nicht in der Lage, sich um Nachwuchs zu kümmern.

Das Sinken des priesterlichen Nachwuchses geht vor allem aber auch auf ein Versiegen jener Quellen zurück, aus denen er sich bisher ergänzte.

Drei Quellen

Das bäuerliche Österreich, das Sudetenland, das katholische Deutschland, dies waren jene Gebiete, aus denen sich der Österreichische Klerus ergänzte. Alle drei Quellen sind fast oder völlig versiegt.

Bis zum Jahre 1938 stammten unter 20 Alumnen eines österreichischen Priesterseminars mindestens 18 aus bäuerlichen Familien. Heute ist es umgekehrt. Die großen Veränderungen in der geistigen Struktur des Bauernstandes sind schuld daran. Ähnlich wie vor 40 Jahren in Frankreich, beginnt heute in Osterreich auf dem Land eine gewisse Dürre des religiösen Seins. Die fortschreitende In-

dustrialisierung, die Einwirkungen von Kino und Radio spürt man stark auf dem Dorf. Da ist die bäuerliche Familie.“ Der Kinderreichtum sinkt. Die Scheidungen nehmen zu. Der religiöse Impuls zum Priesterstande nimmt ab. Die Priesterseminare spüren es.

Politische Gründe sind schuld an dem Versiegen der beiden andern Quellen. Das sudetendeutsche Volk ist aus seiner Heimat vertrieben. Seit jeher ergänzte sich der österreichische Klerus stark aus dem Raum der böhmischen Länder. Ähnlich wie die Beamtenschaft und das Offizierskorps der alten Monarchie. Sudetendeutsche standen und stehen an hervorragender Stelle im österreichischen Klerus. Kardinal Innitzer, Kardinal Piffl, Erz-bischof Kamprath, Bischof Seydl — sie alle Sudetendeutsche. Der Abt des Wiener Schottenklosters, Prälat Peichl; der Begründer der volksliturgischen Bewegung in Österreich, Pius Parsch, Chorherr von Klosterneuburg; der Historiker Hugo Hantsch, Benediktiner des Stiftes Melk; P. Sigismund Strachwitz, der Provinzial der österreichischen Franziskaner — sie alle stammen aus dem Sudetenland. Die Reihe könnte noch lange fortgesetzt werden. Erinnert sei nur noch an Professor Dr. Franz Schindler, den großen Moralisten und christlichsozialen Programmatiker, an P. Kolb S. J., den Presseapostel Wiens, und an Klemens Maria Hofbauer, den großen Heiligen Österreichs. Manche Klöster lebten weitgehend vom sudetendeutschen Nachwuchs: so Klosterneuburg, das zeitweise einen „numerus clausus“ für Wiener Novizen eingeführt hatte, so Melk, so Lilienfeld. Die wenigen sudetendeutschen Geistlichen, die die Austreibung im Jahre 1945 nach Österreich verschlug, sind die letzten einer langen und bedeutenden Reihe.

Reichsdeutscher Zustrom spielte vor allem in gewissen Orden eine größere Rolle: bei den Beuroner Benediktinern in Seckau, bei der „Gesellschaft vom , Göttlichen Wort“ (SVD},. vor allem bei den Jesuiten. P. Abel, die beiden Brüder Rahner sind Reichsdeutsche. Die drei Vorgänger des jetzigen Provinzials —

P. Miller, P. Beck, P. Bichlmair — sind Bayern. Die Entfremdung, die, hervorgerufen in der Hitlerzeit, zwischen Österreich und Deutschland eintrat, hat diesen Zustrom zum Versiegen gebracht. Vielleicht nicht für immer. Sicher aber für längere Zeit.

Woher neuer Zuzug?

Eine Quelle des Priesternachwuchses hat sich innerhalb Österreich über-

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religiös bisher so dürren städtischen Gebieten. Ein Beweis dafür, wie sehr — analog zu Frankreich — auch in Österreich eine Rechristianisierung der Städte einsetzt. Je weiter diese Wandlung um sich greift, um so stärker stellen sich die priesterlichen Berufungen ein. Vorderhand ist dieses Herkommen noch nicht ausschlaggebend. Wird es für Jahre bleiben. Österreich, das in seiner Geschichte in solcher Hinsicht fast immer ein „Zuschußgebiet“ war, wird sich deshalb neuerlich auf die Suche begeben müssen, um aus ausländischen Gebieten Priester zu erhalten. Überschuß an Klerikern haben allerdings nur mehr wenige Länder. Vor allem Holland, Irland und die Vereinigten Staaten. 500 Katholiken entfallen in Holland auf einen Priester, 1600 Mitglieder zählt allein die niederländische Franziskanerprovinz. In Irland, einem Land, in dem 75 Prozent aller Bewohner die Wochentagsmesse besuchen, haben sich in der letzten Zeit allein zwei Weltpriestervereinigungen für die Missionen gebildet. Und die USA, deren Katholizismus nur ein Fünftel aller Bewohner umfaßt, haben bereits 150 Bischöfe, und in den Seminaren studieren derzeit gegen 23.000 Theologen. Manchen wird allerdings der Gedanke absurd erscheinen, holländische, irische oder amerikanische Geistliche nach Österreich zu rufen. Mancher wird sogar Bedenken gegen solche Verpflanzungen aus anderm Grund äußern. Die Einwände können widerlegt werden, gerade auch aus der österreichischen Geschichte. Für Österreich haben doch viele nicht einheimische Priester wesentliches zur Katholisierung beigetragen. Die Christianisierung im 8. Jahrhundert erfolgte durch iro-schottische Mönche. Und die Rekatholisierung im 16. und 17. Jahrhundert wäre ohne ausländische Hilfe gar nicht möglich gewesen. Erinnert sei nur an die überragende Rolle, die der niederländische Jesuit Petrus Canisius spielte, oder auch an den schwäbischen Augustinereremiten Abraham a Sancta Clara, an die italienischen Kapuziner Marco d'Aviano und Valerian Magni, an den luxemburgischen Jesuiten Lamormaine, den Beichtvater Ferdinands IL, an den spanischen Karmeliter Dominikus a Jesu Maria, an den italienischen Zisterzienser Alexander a Lacu, Abt von Wilhering. In den Klöstern de' Serviten, Barnabiten, Paulaner saßen in dieser Zeit zuerst fast nur Italiener. Durch Jahrzehnte hatten in der Barockzeit die österreichischen Benediktinerklöster Äbte, die geborene Schwaben waren. Gottfried Beßl, der berühmte Abt von Göttweig, ist ein spätes Glied dieser längen Reihe. In Wien erinnert noch der Name „Schwarzspanierstraße“ an die Tätigkeit spanischer Benediktiner vom Montserrat, und die „Weißspanier-

straße“ an die Niederlassung der spanischen Trinitarier.

Warum sollten deshalb heute nicht wieder fremde, diesmal holländische, irische und amerikanische Priester in Österreich wirken können? Nachwuchs aus der ersten Quelle beginnt bereits in Österreich einzusickern: Klosterneuburg hat in seinem Konvent einige Niederländer, und gerade jetzt empfing ein Holländer in Wien die Priesterweihe, er wird in der Erzdiözese wirken. Nach-

wuchs aus Amerika würde dem österreichischen Katholizismus sicherlich nur vorteilhaft sein: Henry Morton hat in seinem Roman „The Cardinal“ gezeigt, welche Organisations- und missionarische Kraft der amerikanische Katholizismus besitzt. Und die „Verheißungen der Stille“ des ehemaligen Kommunisten und jetzigen Trappisten Thomas Merton zeigen, welcher Tiefe der amerikanische Katholizismus fähig ist.

Mancher wird vielleicht noch hinweisen auf die Schwierigkeiten, die sich teils aus sprachlichen Gründen, teils aus einem wesentlich andern Lebensstil ergeben könnten. Aber Priester, die aus missionarischen Gründen bereit sind, Chinesisch oder Suaheli zu lernen, werden Deutsch leicht erlernen. Der zweite Einwand kann damit entkräftet werden, daß Österreich neben Frankreich die stärkste Assimilationskraft besitzt, die ein Land überhaupt ausüben kann, daß sogar — wie die Geschichte mit den Namen Beethoven, Metternich, Brahms, Laudon, Hansen usw. beweist — die nach Österreich Eingewanderten die besten und bedeutendsten Österreicher werden können.

„Der Arbeiter im Weinberge sind wenige“, dieses Wort gilt gerade heute für Österreich. Kein Weg, um diese Not zu beheben, sollte außer acht gelassen werden. Diese Überlegungen eines Laien sollten nur zeigen, welche Wege unter anderem möglich wären, um diese Not zu brechen.

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