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KÖNIG GUSTAV VI. ADOLF / BESUCH IN NORICUM
Wenn man nach Gegenbeweisen zur These von der verhängnisvollen Vorherbestimmung eines sogenannten „Volkscharakters“ sucht, dann zitiert man die Schweden. Aus einem unsteten und aggressiven „Kriegsvolk“ seien sie zum Prototyp einer friedlichen Lebensstandardnation geworden. Wir können den alten Chroniken nicht entnehmen, ob alle Schweden in vergangenen Zeiten „bellandi cu-
pidi“ gewesen seien. Ihre großen Könige waren es allem Anschein nach.
Die heute in Schweden herrschende Dynastie hat mit dieser fernen Vergangenheit nichts mehr zu schaffen. Ihr Ahnherr Bernadotte war einer jener Realisten großen europäischen Formats, die allesamt in Frankreichs „Henri quatre“, dem „guten König“, der sich mitnichten um heroisierende Zensuren der Geschichtsschreiber scherte, das herrscherliche Vorbild haben.
Als der jetzige Monarch Gustav VI. Adolf 1950 den Thron bestieg, war er alles andere als ein auf Neuerungen versessener Kronprinz. Er war achtundsechzig Jahre alt, aber in ihm selbst steckte nichts i von jener tragischen Thronfolger-
■ Ungeduld, die einst Eduard VII. zu
■ einer hektischen Torschlußpolitik , trieb. Er war nicht nur von seinem ; Vater des öfteren mit der vertreten- i den Regentschaft betraut worden:
■ Sein Charakter hatte sich mit
■ Stetigkeit in einer Welt gebildet,
■ die den ruhigen Atem der Jahr- t tausende verströmt. Von früher 1 Jugend an gehörte das Herz des - Königs der geduldigen Wissenschaft des Spatens und der bedächtig-forschenden Betrachtung kleiner und kleinster Dinge als der Zeugnisse des Großen: der Archäologie. Besonders die chinesische Kultur hat diesen Schweden französischer Ahnenherkunft in ihren Bann gezogen. Als mehrere Krankheitsfälle vor einigen Jahren das Zustandekommen einer repräsentativen chinesischen Ausstellung zu Stockholm bedrohten, war es der Kronprinz, der — anonym im weißen Mantel des Ausstellungsbeamten — die wissenschaftliche Ordnung dieser Schau besorgte. Und es charakterisiert ihn, daß er bei seinem Besuch Österreichs einen ganzen Tag des Aufenthaltes jenem Urgesicht unseres Landes widmen will, für das sich kaum einer der Hochoffiziellen unserer Besucher bisher interessiert hat: den Kärntner Ausgrabungen auf dem Magdalensberg, den Zeugnissen der legendären Hauptstadt des alten Noricum.
Es wäre billige Klischierung, König Gustav VI. Adolf als einen weltfremden Gelehrten bezeichnen zu wollen, dem das Regentenamt eine unwillkommene Unterbrechung der wissenschaftlichen Arbeit bedeutet. Wer seine intensive Beteiligung an den keinesfalls nur formalen Regierungssitzungen erlebt hat, wer die wissenschaftlichpräzisen, aber sehr realistischen Fragen gehört hat, die er auf seinen zahlreichen Inspekttonsfahrten zu den Provinzbehörden stellt, wird rasch anders urteilen.
In früheren Jahrhunderten reisten die Könige zu den oft aufsässigen und selbstherrlichen Jarls im Lande, um nach dem Rechten zu sehen und sie botmäßig zu halten. Unter Gustav VI., der nicht nur dank der englischen Herkunft seiner Mutter Victoria und seiner zweiten Gattin, einer geborenen Lady Louise Mountbattan das britische Wesen noch mehr verkörpert, als dies sein mehr deutsch geprägter Vater tat, hat diese Sitte neue Bedeutung gewonnen. Er folgt bei diesen Rundreisen auf der Spur seiner gekrönten Vorgänger der edelsten unter den Aufgaben des Königtums: da zu sein für alle, die hinter der Mauer der Behörden und Paragraphen immer noch in höchster Instanz den Menschen suchen, den verständnisvollen Blick, das klärende Wort, kurz, den Monarchen, der nach einem Wort Kaiser Franz Josephs unter Umständen das Volk vor der eigenen Regierung zu beschützen vermag.
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