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Korsische Vendetta

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Das korsische Inselvolk hat den Begriff der Freiheit nicht bloß auf den Lippen, sondern im Herzen getragen.

Verraten, entvölkert, nach endlosen Kämpfen gegen die weit überlegene Republik Genua, nur noch 130.000 Seelen zählend, verloren die Korsen am 9. Mai 1769 in der unglücklichen Schlacht bei Pontenuovo am reißenden Golofluß endgültig ihre Freiheit an die Franzosen. Aber nicht ungerächt sollte dieses Land der klassischen, noch heute bestehenden Blutrache so schmählich um seine Freiheit gebracht worden sein. Schon war er gezeugt, der große Rächer seines Heimatlandes — Letizia Buonaparte, vor den Franzosen in die Felsschründe des Monte Rotondo flüchtend, trug ihn im Schöße: am 15. August 1769 wurde „Napoleone“, der Unterdrücker Europas und Entvölkerer Frankreichs, geboren.

Hoch über dem Golf von Ajaccio, in einsamer Felsenlandschaft, umgeben von der Romantik der unwegsamen Macchia, steht ein wahrhaft königliches Schloß. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts aus den Trümmern der in Brand gesteckten Tuilerien erbaut, leuchtet es schon von weitem aus dem dunklen Grün seines Parkes, als wäre dieser Bau aus Porzellan gebrannt. Kühl und hochmütig blickt es herab auf die Stadt Ajaccio. Sein Inneres ist prunkvoll, die überreich geschnitzten Holzdecken zeigen öfter als nötig ein Wappen von neuzeitlicher Geschwätzigkeit — alles atmet betonte Vornehmheit. Dies ist das Schloß der Grafen Pozzo di Borgo.

Während die Familie Buonaparte erst seit dem 16. Jahrhundert nachweisbar auf der Insel lebte, gehören die Pozzo di Borgo zu den ältesten Geschlechtern des Landes. Ihr bedeutendstes Mitglied war Carlo Andrea, 1768 in Alata als Sohn eines Advokaten geboren. Auch Napoleons Vater gehörte diesem Stande an. Die beiden Knaben waren fast gleichaltrig. Napoleon, der Jüngere, schon als Kind Fähigere, kannte keine Gleichberechtigten — nur Untergebene. Carlo hingegen, aus reichem, aber tatenfremdem Haus stammend, vornehm, geschniegelt, das Söhnchen reichbestallter Eltern. Seit Generationen hatte sich in der Familie Buonaparte ein sehnsüchtiger Machthunger angesammelt, jahrhundertelang zurückgehalten, brach er nunmehr im Knaben „Napoleone“ hemmungslos hervor.

Schon als Kind war er der Führer der Altersgenossen. Sein Temperament war „gestalten“, schizotym würde es der moderne Kriminalbiologe nennen. Leicht erregbar, aufflammend, um alsbald den zu umarmen, den er vorher gezüchtigt hatte. Carlo, das vornehme Bürschchen, mag da nicht seKen das Seine abbekommen haben.

Die Knaben wurden Jünglinge. Carlo wählte den Beruf seines Vaters, während Napoleon in die Militärschule nach

Saint-Cyr kam. Da brach die große Revolution aus, und beide, nunmehr zu jungen Männern herangereift, warfen sich ihr mit der fanatischen Begeisterung der Jugend in die Arme. Sie eilten in die Heimat, um auch ihr das Morgenrot einer neuen Zeit zu künden. War jedoch Pozzo di Borgo immer korsischer Patriot geblieben, so hatte Bonaparte bereits den Weitblick des Politikers, der ihn als neue, spätere Heimat das große Frankreich erkennen ließ. 1789 wurde der große Korse Pasquale Paoli, bisher verbannt, über Betreiben Napoleons und seiner Familie feierlich nach Korsika' eingeholt. Paoli, Staatsmann, Heerführer und Philosoph, ist der edelste Patriot seiner Insel gewesen. Sowohl Carlo als audi Napoleon waren es, die für ihn in öffentlichen Versammlungen eintraten und die seine Stellung auf Korsika neu begründeten.

Wieder sehen wir Gleichheit der Interessen, die, oberflächlich betrachtet, eher zu einem Zusammenschluß der Gegner hätte führen müssen. Das Gegenteil trat ein. Beide für die Revolution kämpfend, vertieften sich gerade in dieser Zeit in ihren Leidenschaften. Und nur allzubald erkannte Paoli, wessen Bedeutung die größere war. Er zog den jungen Leutnant Bonaparte, der stets die Massen zu be-

geistern wußte, dem angehenden Advokaten ohne Schwungkraft vor. In den Klubs hielt Napoleon fanatische Ansprachen für die Demokraten, verfaßte kühne Adressen, organisierte die korsische Nationalgarde. Allmählich fühlte er sein Cäsarenblut erwachen. 1791 wurden in Korsika zwei republikanische Bataillone gebildet. Der junge Leutnant konnte den Gedanken nicht ertragen, ein anderer als er könnte deren Befehlshaber sein. Letizia und die ganze Verwandtschaft opferten ein Vermögen zu diesem Zwecke, ein beispielloser Wahlkampf um diese Stelle begann. Carlo Pozzo di Borgo aber war sein gefährlichster Gegner in diesem Ringen um die Macht. Der Kommissär, der die Wahl leiten sollte, stieg im Hause der Borgos ab. Dies konnte zum Mißerfolg führen, aber Bonaparte

handelte. Er bewaffnet eine Schar blindergebener Freunde, bemächtigt sich des Kommissärs und führt ihn im Triumph in die Casa Buonaparte. Sein erster Staatsstreich! Und als die beiden Feinde, die aber noch immer, rein äußerlich gesehen, am gleichen Strang ziehen, anläßlich einer Wahlrede sich gegenüberstehen, da begeht Pozzo di Borgo einen Fehler. Er verspottet öffentlich Napoleon. Da packen die Anhänger Napoleons den schwächlichen Spötter einfach beim Kragen und werfen ihn aus dem Versammlungslokal heraus, ihren jungen Abgott aber tragen sie im Jubel durch Ajaccio und feiern einen Sieg, aber auch eine Niederlage. Schmach vergißt der Korse nie! In Carlo Andrea stieg der Haß empor und wurde nun sein Lebensziel.

Bonapartes Glücksstern leuchtete immer heller auf. Er vergaß des Feindes aus den Jugendtagen. Aber Pozzo di Borgo war sein Dämon. Ahasver gleich, zog er gehetzt durch ganz Europa, nunmehr als Diplomat, überall gegen den Kaiser schürend, seine Feinde stets aufs neue zum Widerstand aneifernd. Bald in England, dann wieder in Rußland oder Konstantinopel. Allmählich wurde Napoleon wieder auf den Jugendfeind aufmerksam. Korsische Vendetta begann in die internationale Politik überzugreifen, und nach dem Frieden von Preßburg forderte Napoleon vergebens die Auslieferung des Grafen.

Nun trat Carlo Andrea in russische Dienste. Als Napoleon vorübergehend mit Rußland ein Bündnis schloß, verschwand der aalglatte Diplomat, um seine Zersetzungstätigkeit nunmehr nach London und Wien zu verlegen. Er war sozusagen Spezialist in Sachen „kontra Bonaparte“ geworden. Er wußte um seine Schwächen, er durchforschte mit metaphysischer Kraft die Pläne des Kaisers, und dieser, der noch keinen Feldherrn gefürchtet hatte, begann allmählich ein Grauen vor dem Diplomaten Pozzo di Borgo zu verspüren. Nirgends erfaßbar und doch allgegenwärtig, umgab der Haß des Korsen den Kaiser.

1812 brachte Pozzo di Borgo den Bund mit Schweden gegen Napoleon zustande, verhandelte mit Bernadotte und führte diesen ebenfalls ins Lager der Feinde Frankreichs. 1814 fuhr er nach England, um es zu entscheidendem Eingreifen zu bewegen. Er war es, der auch stets gegen den König von Rom intrigierte, und sein Haß forderte endlich vom Wiener Kongreß die Verbannung Bonapartes auf eine, entlegene Insel.

Der letzte Akt dieser Tragödie des Hasses: Waterloo! Der große Korse wird gefangen. Als er seinen Feinden entgegentritt, löst sich aus dem Gefolge eine schlanke Gestalt, den Arm verwundet in der Schlinge tragend: Carlo Andrea Pozzo di Borgo! Hat der Kaiser ihn erkannt? Längst ruhte Napoleon in der Erde von Sankt Helena, als der böse Hasser die Worte sprach: „Ich habe ihn

nicht getötet, aber ich habe auf ihn die letzte Schaufel Erde geworfen!“

Der Graf Pozzo di Borgo heimste viele, viele Ehren ein, darunter den russischen Adelstitel. Das Schloß bei Ajaccio beherbergt zwei Glasschränke, angefüllt mit Orden und Ehrenzeichen des Diplomaten. Welche Last, sie zu tragen! 1842 starb er in Paris, geisteskrank, verachtet von seinen Landsleuten, die in ihm den Büttel ihres Kaisers sahen, dessen Andenken sich allmählich untrennbar mit der Größe der Nation vereinte. Die Pozzo di Borgos bauten ihr Schloß hoch über Ajaccio, hoch über der Casa Buonaparte. Sie haben damit die Verehrung für ihren toten Ahnherrn dokumentieren wollen — vielleicht ist sie ebenso groß wie jene des französischen Volkes für den unvergeßlichen Kaiser.

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