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Kräfte aus den Steinen alter Kultstätten

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Religionsphänomenologen schließen aus einer riesigen „Schale" am Eisgarner Kolo-manistein (fast eineinhalb mal zweieinhalb Meter Durchmesser), daß es sich hier um ein uralte Kultstätte handelt, die später „christianisiert" worden sein dürfte.

Es gibt eine ganze Anzahl von „Schalensteinen" in Niederösterreich, um die sich zum Teil noch heute Sagen und fromme Legenden ranken: Der „Hohle Stein" bei Neunkirchen etwa, auf dem Maria mit dem Jesuskind bei ihrer Rast einen Eindruck hinterlassen haben soll. Auf dem „Heiligen Stein" bei Mitter-Retz-bach hinterließ Jesus den Abdruck seiner Knie. Spuren des Esels der Heiligen Familie wurden beim „Hölzernen Kirchl" am alten Übergang von Schwarzach an der Pielach nach Annaberg gefunden. Ein Wunderstein wird auch in der Dreifaltigkeitskirche am Sonntagberg gezeigt; und auf dem Platz vor der Wallfahrtskirche Maria Taferl — von wo aus man zum Ötscher, dem Heiligen Berg der Slawen (Ötscher dürfte sich aus dem Slawischen ableiten und ursprünglich „Vater" bedeutet haben) einen wunderbaren Blick hat - ist ein „Tafelstein" zu besichtigen.

Zurück zu St. Koloman. Der fromme Königssohn aus Irland wurde der Legende nach im Grenzland zwischen Babenberger Mark und Großmährischem Reich als „Spion" gefoltert, erschlagen und an einem dürren Holunderstrauch aufgehängt, der alsbald erblühte und so die Unschuld des Mordopfers bewies. Wegen vieler Wunderheilungen, die sich alsbald ereigneten, ließ Markgraf Heinrich 1014 den Leichnam ins damalige Kollegiats-Stift Melk überführen. Koloman wurde einer der beliebtesten Nothelfer, über seinem Sarkophag ließen die Benediktiner (seit 1089 in Melk) einen gotischen Altar errichten, von dessen Schönheit seit der Barockisierung des Stiftes nur noch Skizzen erzählen.

Das Haus Habsburg, der Abtei Melk eng verbunden, erhob den Babenberger-Markgrafen 1663 zum Landespatron. Kolomans Grab wurde auf einen Seitenaltar der Melker Stiftskirche verlegt, wo noch heute am Festtag des Märtyrers eine Beliquie verehrt wird. Das kostbare Reliquiar in Form einer Monstranz zeigt die Werkzeuge seines Martyriums. Noch vorhanden, aber völlig vergessen, ist ein anderer „Kolomani-Stein". Rudolf der Stifter ließ ihn beim Bischofstor des Wiener Stephansdomes einmauern - als kostbare Reliquie. Auf ihm sollen dem Heiligen beim Martyrium in Stockerau die Beine zerschlagen und abgesägt worden sein.

Geomanten und Anhänger der Ra-diästhesie wiesen längst mit Hilfe von Pendel und Wünschelrute an den „Heiligen Orten" unserer Altvorderen Kreuzungspunkte von Erdstrahlen nach. Erst vor kurzem wurde so ein - bislang nur in der Überlieferung lebendiges - Heiligtum bei Kautzen (ebenfalls im oberen Waldviertel) wiederentdeckt: Per „Stein des Skorpions". Über vielen dieser alten Kultstätten errichtete das Christentum Wallfahrtskirchen, nutzte die alte Glaubenstradition und die besondere Aura des Ortes.

Nicht immer thronen diese Wallfahrtskirchen übrigens weithin sichtbar auf Bergesrücken - wie Maria Taferl oder Sonntagberg. Die gotische „Schimmelkirche" bei Holzern, nahe Pöchlarn, fällt erst ins Auge, wenn man auf der Hochebene wandert, auf der sie am früheren Flötzersteig erbaut wurde. Hier wanderten Schiffsleute vorbei, die die Donauschlingen auf ihrem Rückweg flußaufwärts abschneiden wollten. Sie verehrten in

Holzern (der Name deutet auf eine Bodungssiedlung im Waldgebiet) ihren Patron St. Nikolaus, dessen Kultstätten nicht selten über „Heiligen Orten" der alten Unterwelts- und Fruchtbarkeitsgötter errichtet wurden.

Vielleicht hat sich in Holzern in der Legende ein wenig Erinnerung daran erhalten: In der Kirche soll ein Schimmel verhungert sein. Der Schimmel aber galt den Germanen als Beittier des Göttervaters Wodan.

Auch das gotische Kirchlein von Innerochsenbach bei Ferschnitz im Mostviertel fällt dem Wanderer erst auf, wenn er ihm schon sehr nahe gekommen ist. Das Gotteshaus war bis ins 18. Jahrhundert Filialkirche der Mostviertier „Mutterpfarre" Steinakirchen. Gotische Fresken, bedeutende Glasmalereien aus der Zeit um 1420, Figuren im Stil der Djonau-schule, die früher Flügelaltäre geziert haben dürften, berichten von der einstigen Bedeutung.

Einem Stein, der in der Sakristei herumlag und als „Türstopper" verwendet wurde, schenkten erst vor wenigen Jahren Wissenschafter ihre Aufmerksamkeit: Die kreisrunde Steinmetzarbeit aus Kalk-Sandstein zeigt auf beiden Seiten in der Mitte eine schalenförmige Vertiefung, um die jeweils sechs Vertiefungen angeordnet sind. Sieben also. Die heilige Zahl.

Der ehemalige „Türstopper" von Innerochsenbach erinnert übrigens verblüffend an jene Kernoi, in deren ringförmig angeordneten Schalen schon die Minoer ihren Göttern Opfer hinterlegten. Ist der Stein älter als die kleine Kirche? Stammt er von einer vorchristlichen Opferstätte? Die Wissenschafter wissen keine Antwort. Der „Kernos" von Innerochsenbach gibt nur eine Auskunft: Das Pendel signalisiert sehr starke Ausstrahlung. Es dreht sich wie wild - interessanterweise über den sieben Schalen auf der einen Seite nach rechts und mit derselben Intensität auf der anderen Seite nach links. Was immer der Stein erzählen will - das gotische Kleinod in Innerochsenbach, das ihn beherbergt, ist einen Besuch wert.

Der Autor ist

Redakteur der „Niederösterreichischen Nachrichten " NÖN in St Pölten

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