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Leid, Arbeit und Hoffnung an der Isar

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Wer das liebenswürdige, gemütliche und behäbige München kannte, mit seinen sauberen und netten Häusern, deren Bewohner — weit davon entfernt, Asphaltmenschen z sein — durch Wesen und Tracht der sie umgebenden Landschaft verbunden waren, der erkennt die Stadt heute nicht mehr. Zwar hat sie im Rahmen des „totalen“ Krieges nicht die Totalität der Vernichtung erreicht, die andere deutsche Städte in Trümmerfelder verwandelte, aber auch sie ist bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

Die Münchner Innenstadt besteht beinahe nur mehr aus traurigen Ruinen und Schutthaufen, zwischen denen sich hie und da ab eine ans Wunderbare grenzende Ober-raschung ein nur leicht zerstörtes und noch reparaturfähiges Gebäude erhebt. Das Wahrzeichen Münchens, die hohen Türme der Frauenkirche, Wieb bis auf die barocken Zwiebelhauben, die inzwischen in Holz notdürftig wiederhergestellt wurden, erhalten, aber von der Kirche selbst steht nur mehr ein Teil der Außenmauern. Die Bemühungen um ihren Wiederaufbau, an deren Spitze Kardinal Faulhaber selbst steht, sind groß, aber der Mangel an Material und Arbeitskräften einstweilen noch viel größer. Dabei hat München den überwiegenden Teil seiner Gotteshäuser verloren und kann heute nur versuchen, die verhältnismäßig wenig beschädigte Theatinerkirche und die entzückende kleine Rokokokirche der Brüder Asam wieder herzustellen.

Das München Ludwigs I. ist fast vollkommen zerstört, während sich die Bauten des Dritten Reiches mit Ausnahme des Braunen Hauses groteskerweise erhalten haben. Im ehemaligen „Führerbau“ sichtet heute ein amerikanischer Collecting Point die zahllosen nach Bayern und den österreichischen Alpenländern verlagerten Gemälde und Plastiken und führt die oft aus den besetzten Gebieten stammenden Kunstwerke ihren eigentlichen Besitzern zu. In den Haupträumen des „Hauses der Kunst“ befindet sich ein amerikanischer Offizierskhrb, während in einem Seitentrakt eine wunderbare Ausstellung altdeutscher Meister mit Werken aus der vollständig zerstörten alten Pinakothek geze'gt wird.

Diese Räume, in denen man Dürers Selbstbildnis mit dem langen Lockenhaar und seinem Paumgartner Altar begegnet, sind eine Stätte des Aufatmens und Erholens für alle die, die von München erschöpft und ermüdet sind. Denn München ist heute eine körperlich und seelisch ermüdende Stadt. Körperlich anstrengend durch das Gehen auf dem; fast überall zerstörten und aufgerissenen Pflaster, das Umgehen der Schutthaufen und Baustellen und das ewige Gedränge im Menschengewimmel. Seelisch belastend durch den ständigen bedrückenden Anblick der trostlosen Trümmer und den noch deprimierenderen der zwischen ihnen lebenden Menschen. Denn München ist heute eine von Menschen überfüllte Stadt. Schon während des Krieges wurden Bombenflüchtlinge aus dem Rhein- und Ruhrgebiet nach Bayern evakuiert. Ihnen folgte kurz vor dem Zusammenbrudi der bis heute ununterbrochen anhaltende Flüchtlingsstrom aus dem Osten Deutschlands, der nun noch durch den der Sudetendeutschen vermehrt wird. Alle diese Menschen drängen sich durch die Straßen der Hauptstadt als eine einzige Masse von Elendsgestalten. An den vergangenen Krieg gemahnen die zahllosen Uniformen der deutschen Wehrmacht, die heute abgetragen und zerschlissen nach Entfernung aller Distinktionen und Embleme das einzige Kleidungsstück all der aus dem Kriege und der Gefangenschaft zurückgekehrten Soldaten bilden.

Daß München angesichts dieser Menschenfülle genötigt ist, jeden weiteren Zuzug in seine Mauern ebenso wie viele andere zerstörte deutsche Städte möglichst zu unterbinden, ist selbstverständlich. Die Menschen, die durch seine Straßen strömen, woh..en daher vielfach außerhalb der Stadt in den zahllosen, durch Autobus- und Bahnverom-dungen leicht erreidibaren Dörfern und Siedlungen seiner Umgebung. Tagsüber füllen sie dann die Straßen und Straßenbahnen der Stadt. In den Hauptzeiten des Berufsverkehrs mußte das Recht auf Benutzung der Straßenbahn auf die Besitzer eines besonderen Ausweises beschränkt werden, ohne den man nur nach Entriditung einer Gebühr vo 2 RM mitgenommen wird. Trotzdem gibt es fast keine Straßenbahn, an der die Menschen nicht wie Trauben auf den Trittbrettern hängen, während ein Großteil der Wartenden noch enttäuscht zurückbleiben muß.

Für die Ernährung dieser Menschenmassen ist erstaunlich gut gesorgt. Während man im April und Mai 1945 kaum ein Lokal in München fand, m dem man essen konnte — und wenn, dann nur schlecht und mit mitgebrachtem Besteck —, haben inzwischen bereits viele Gast- und Kaffeehäuser mit guter und reichhaltiger Speisekarte, eigenem Besteck und höflicher Bedienung ihre Tore geöffnet.

Das Theaterleben blüht in München trotz aller Zerstörungen in ebenso erstaunlicher Weise wie in allen anderen deutschen Städten. Zwar macht sich auch hier schon der stellenweise langsam einsetzende Geldmangel bemerkbar und nicht jedes Theater und Kabarett oder auch nur jedes der wenigen Kinos ist täglich ausverkauft. Aber es wird viel und Gutes auf den Bühnen geboten, auf denen unter anderem auch zahlreiche früher in Wien und Berlin wirkende Künstler zu sehen sind, während Karl Valentin und Weiß-Ferdl, die urtümlichen Münchner, nur hie und da durch ein paar Zeilen in der Zeitung ankündigen, daß sie noH-i am Leben sind, aber keine rechte Lust haben, derzeit ins Rampenlicht zu treten.

An Kunstausstellungen werden viele Expositionen expressionistischer Maler gezeigt, deren Werke aber trotz allen ehrlichen Bemühens und Verständnis auf ziemlich ungeteilte Ablehnung des Publikums stoßen. Das gleiche Schicksal widerfährt den zahllosen, meist äußerst primitiven kunstgewerblichen Gegenständen, die als fast einziges verkäufliches Gut die Auslagen der Geschäfte füllen. Andere Artikel sind in dem Industrie- und rohstoffarmen Bayern nach der Teilung Deutschlands in vier sich gegenseitig hermetisch abschließende Besatzungszonen so gut wie überhaupt nicht verfügbar. Besonders gilt dies von Büchern, die infolge des großen 1 .ipiermangels in Bayern, der nur die zweimal wöchentliche Herausgabe zweier großer Zeitungen in München erlaubt, fast überhaupt nicht zu kaufen sind.

Das ist, in Umrissen gezeichnet, das München . von heute, eine zerstörte und entstellte Stadt, mit unruhigen und unsteten Menschen, hinter denen oft ein grauenhaftes Schicksal und vor denen meist eine ungewisse und dunkle Zukunft steht. Groß und ehrlich sind die Bemühungen um einen Wiederaufbau und eine Normalisierung des Lebens, aber ebenso groß sind die Bedenken und der Skeptizismus der Menschen gegenüber der Zukunft, deren Aussichten viele mit düsterer Hoffnungslosigkeit erfüllen, aber die große Mehrzahl doch nicht von der tapferen Entschlossenheit abhalten, es noch einmal mit ihr und dem Leben zu versuchen.

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