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Magier des Theaterraumes

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Vör 25 Jahren, am 31. Oktober 1943, ist Max Reinhardt im Alter von 70 Jahren in New York gestorben. Heute scheint es uns selbstverständlich, daß ein Theaterregisseur alle Mittel der Kunst: die Schauspielkunst, die Malerei, die Musik, verwendet, um ein Gesamtkunstwerk auf der Bühne lebendig werden zu lassen. Aber als Reinhardt zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seinen Inszenierungen daranging, diese Kunstmittel nach seinen Ideen dem Bühnenwerk nutzbar zü machen, war er ein Pionier im Aufbruch zu einem neuen Theaterstil.

Um die Jahrhundertwende hatte sich das Theater grundlegend gewandelt. Der Meininger-Stil mußte mit seinem auf Pathos gestellten Singsang dem Realismus weichen. Die frühen Dramen Gerhart Hauptmanns, Max Halbes und Hermann Sudermanns fanden in dem Leiter des Berliner Deutschen Theaters, Otto Brahm, einen fanatischen Verfechter. Er, der einstige .Journalist und Theaterkritiker, konnte den Ruhm für sich buchen, die verstaubte Hoftheateratmosphäre und das verlogene theatralische Spiel beseitigt und die Bühne zu einer Stätte der Wahrheit gemacht zu haben.

In das von Brahm nach naturalistischen Prinzipien geleitete Ensemble trat der zwanzigjährige Wiener Schauspieler Max Reinhardt 1894 als Chargenspieler ein. Durch seine ungewöhnliche schauspielerische Begabung, insbesondere das Talent, alte Männer scharf charakterisiert darzustellen, setzte er sich rasch durch und wurde von der Berliner Presse bald als höchst interessanter Chargenspieler anerkannt.

Zehn Jahre war Reinhardt Mitglied des Deutschen Theaters, doch dann wurde ihm das allabendliche Spielen alter Leute über, und, wie er selbst schrieb, die Atmosphäre fing an, ihn zu quälen, und er wurde direkt unglücklich.

Seine Auflehnung gegen den Naturalismus führte ihn einem Kreis junger Künstler zu, mit denen er Unter den Linden in Berlin ein eigenes Theater gründete. Dort wurden zunächst kabarettistische Einakter aufgeführt. Aus dieser literarischen Kleinkunstbühne, die man „Schall und Rauch“ nannte, entwickelte sich schon nach einem Jahr das Kleine Theater, in dem Reinhardts Darstellungsstil im Gegensatz zu Otto Brahm stand. Die Neuromantik, die einer Klassikerrestauration den Boden bereitete, die Zeitströmung, die zur Sezession führte, sich der Metaphysik, der Religion, der psychologischen Vertiefung zuwandte, beeindruckten Reinhardt und seine jungen Mitarbeiter. In Maeterlinck, Hofmannsthal und Beer-Hofmann fanden sie Dichter, die dem Theater ihre Visionen schenkten.

Der Anfang brachte finanzielle Mißerfolge. Doch die große Gabe Reinhardts, Geldgeber zu überzeugen, trat damals schon in Erscheinung.

Angeregt von Gordon Craigs Bühnenbildreform in London und von Adolph Appias abstrakten szenischen Gestaltungen, holte sich Reinhardt von Anfang an bedeutende bildende Künstler zur Mitarbeit heran. Max Kruse stattete „Salome" aus; er entwarf auch die Bühnenbilder zu Hofmannsthals „Elektra“. — Damals begann Reinhardts lebenslange Zusammenarbeit mit dem Dichter. — „Cäsar und Cleopatra“ richtete Martin Walser ein, Lovis Corinth die erste Inszenierung Reinhardts von „Kabale und Liebe“, Max Slevogt stattete „Gyges und sein Ring“ aus, Edvard Munch „Die Gespenster“, und in vielen Fällen war Emil Orlik der Bühnenbildner.

1905, im Alter von 32 Jahren, war Reinhardt in Berlin, dem damaligen deutschen Zentrum von Politik, Wirtschaft und Kunst, Direktor der bedeutendsten Bühne im Reich, des Deutschen Theaters. Es war ein glücklicher Tag für ihn, als ihm Adolf L’Arronge, der Besitzer dieser Bühne, die Direktion übertrug, nachdem Brahm sich an das Lessingtheater zurückgezogen hatte.

Nicht alle verstanden den neuen Weg, den Reinhardt in seiner Inszenierungsform ging. Alfred Kerr wetterte als Verfechter des uneingeschränkten Worttheaters, dessen Ideal sich ihm bei Brahm erfüllt hatte, ständig gegen den üppig wuchernden Mimus bei dem Österreicher Reinhardt. Der namhafte Kritiker des „Berliner Börsenkuriers“, Herbert Ihering, lehnte oft die vom Publikum enthusiastisch aufgenommene Reinhardt-Inszenierungen ab, während Siegfried Jacobson und Richard Specht ehrliche Anhänger Reinhardts waren.

Worin bestand das Geheimnis von Reinhardts großen Erfolgen? Er, der lebensfrohe Österreicher, wollte Theater, selbstherrliches Theater. Er benutzte alles, um zu diesem Ziel zu kommen: das Drama, die Schauspielkunst, die Malerei, die Musik. Aber er setzte diese Einzelstoffe nicht empirisch zusammen, sondern verschmolz sie unlöslich zu einer Synthese. Sein Denken, Arbeiten und Leben war von vornherein auf diese Gemeinschaftsform des Theaters eingestellt. Er hatte das unbedingte Gefühl, ein Wunschbild verwirklichen zu müssen, eine Mission vor sich zu haben. Seinem Fanatismus fiel es leicht, ihn auf andere zu übertragen. Reinhardts Mitarbeiter, bis hinunter zum einfachen Bühnenarbeiter, hatten immer das Gefühl, für ihn und gleichzeitig für eine große Sache dazusein.

Shakespeares „Sommernachtstraum“, 1904 zum erstenmal inszeniert, wurde zum großen, entscheidenden Erfolg seines Lebens. Noch dreizehnmal in seiner künstlerischen Laufbahn hat er ihn aufgeführt, immer wieder neu und anders. Er inszenierte ihn deutsch, italienisch, englisch, spielte ihn auf Theatern, in Festspielhäusern, in Parks, Freiluftarenen.

Der Wunsch Reinhardts, die Schauspieler und die Zuschauer zusammenzubringen, so dicht aneinander gedrängt wie nur möglich, bewog ihn zum Bau der Kammerspiele. Dieser Name, von ihm geprägt, wurde bald von vielen Bühnen aufgegriffen. Der kleine Theaterraum neben dem Deutschen Theater, der 1906 mit einer glanzvollen Vorstellung von Ibsens „Gespenster“ eröffnet wurde, war mit edlen Hölzern ausgestattet, von erlesenem Geschmack. Er hatte bloß 292 Sitzplätze, und die Bühne stand, nur durch ein paar Stufen getrennt, in unmittelbarer Beziehung zum Zuschauerraum; es war, als ob beide Teile des Theaters ein Ganzes wären.

Der Gedanke Reinhardts, Theater und Publikum miteinander zu verbinden, fand nicht nur in den intimen Kammerspielen Erfüllung, er wurde auch in dem überdimensionalen Großen Schauspielhaus realisiert. Nur war sich Reinhardt, als er das Große Schauspielhaus plante, wohl nicht ganz im klaren, welche Nachteile dieser Riesenraum mit sich bringen würde. Zwar ahnte er mit genialem Instinkt etwas Zukünftiges voraus, doch vermochte er es nicht rein zu gestalten und künstlerisch abzugrenzen. Historisierende Gedanken —• das Theater der Griechen — geschäftliche Aussichten — die Anzahl der Plätze — theatralischer Größenwahn — die Dimensionen der drei Bühnen — verwirrten den geistigen Grundriß des Theaters und ließen ein Mischunternehmen entstehen, das, wo es Volkstheater sein sollte, geschäftliche Berechnung, wo es neue Bühnenform sein sollte, archaisierender Ästhetizismus wurde. Mit den großen Dramen der Weltliteratur begann der Spielplan in diesem von Reinhardt als deutsches Nationaltheater geplanten Hans: mit Büchners und Rollands „Danton“, mit der Orestie, mit dem „Sommernachtstraum“ und dem „Jedermann“. Doch die Masse als Publikum versagte sich ihm. Es gelang ihm nicht, die Nachkriegszuschauer mit dem dramatischen Gehalt der Werke zu verbinden. Mit einer Inszenierung von Offenbachs „Orpheus“ führte Reinhardt selbst den Spielplan zur Operette über. Die Pächter, denen er schließlich das Haus überließ, versorgten eine breite Masse mit seichtester Unterhaltungsware: Mit „Ball im Savoy“ beendeten die Brüder Rotter ihre Tätigkeit beim Einbruch des Hitler-Faschismus, Auch Reinhardt mußte die Berliner Bühnen, denen er 30 Jahre seine künstlerische Note aufgeprägt hatte, bei der 'Machtübernahme Hitlers im Stich lassen. Es blieb ihm nur noch das Theater in der Josefstadt, das er 1924 übernommen hatte, und in Salzburg waren seine Festspielinszenierungen Zeugnisse seiner ungebrochenen Kraft.

Spät hat Reinhardt in seine österreichische Heimat zurückgefunden. Zuerst war es sein geliebtes Salzburg, wo er als Zwanzigjähriger zum erstenmal auf der Bühne gestanden war, das er zum Schauplatz von Festspielen machte. Heute, nach 48 Jahren, hallen immer noch die Jedermann-Rufe über den Domplatz, und unverändert läuft das Spiel vom Sterben des reichen Mannes auf dem schmucklosen Brettergerüst ab. Unvergessen bleiben die Aufführungen des Mysterienspiels „Das Salzburger Große Welttheater“, in der Reinhardt tiefes Verständnis und leidenschaftliche Verbundenheit mit dem Barock offenbarte, und des „Faust“ in der Felsenreitschule, wo diese Weltdichtung zu einmaliger Schönheit aufblühte.

Zuerst war das Repertoire der Reinhardt-Bühne in der Josefstadt ebenso wie vor dem ersten Weltkrieg an seinen Berliner Bühnen rein literarisch erstellt, ohne Zugeständnisse an den Publikumsgeschmack. Doch dann mußten Kriminal- und Unterhaltungsstücke, auch Operetten, diese künstlerische Linie unterbrechen. Die privat geführten Geschäftstheater konnten sich den Luxus reiner Kunst nicht leisten, und Serienerfolge, wie etwa „Leinen aus Irland“, retteten aus schweren Krisen.

. Als mit der Annexion Österreichs durch Hitler-Deutschland Rein- , hardt die Rückkehr aus den USA, i wo er Gastinszenierungen durch- i geführt hatte, nicht mehr möglich war, versuchte er, in Amerika ein i Ensembletheater europäischer Prä-gung zu begründen. Der Versuch miß- . lang in diesem Land, in dem die theatralische Kunstproduktion zur Entertainement-Industry gerechnet wird. Ein Work-Shop, eine Schauspielschule, die Reinhardt zunächst in Hollywood errichtete, später dann nach New York verlegte, War die letzte Etappe seines künstlerischen Wirkens. Diese Schule sollte die Basis für Ensembletheater sein, für den Aufbau von Festspielen und Tourneen, für ein Repertoiretheater in New York.

Anfang 1943 wurde die finanzielle Situation für Reinhardt immer schwieriger. Er dürfte sich aber über die katastrophale Lage kaum im klaren gewesen sein. Ein letzter Lichtblick war ihm zu seinerp 70. Geburtstag am 9. September 1943 beschieden. Seine Frau, Helene Thimig, die mit kleinen Filmrollen den Lebensunterhalt bestritt, kam aus Hollywood, Franz Werfel, Alfred Kerr, Max Osborn, Julius Bab und andere Freunde waren gekommen, um diesen Tag fern von der Heimat zu feiern. Man beschwor die Vergangenheit, die unvergessen in ihnen lebte. Wenige Tage darauf erlitt Reinhardt einen Schlaganfall. Sieben Tage litt er unsägliche Qualen, am 31. Oktober tat er Atemzug.

Heute sehen wir sein Werk als eine und historische Größe. Als solche steht er nur zur Erfassung seiner künstlerischen Eigenschaft da, jenseits aller kleinlichen Vorwürfe und Anwürfe.

Reinhardt schuf nicht so sehr das Theater seiner Zeit, sondern nur eines der möglichen Theater seiner Zeit. Als Genie von seinem Rang hätte er auch einen völlig anderen Bühnenstil produzieren können. Doch sein Theater, das den Impressionismus und das Barock umfaßte, war bezeichnend für das seinen letzten Reinhardt und abgeschlossene erste Drittel unseres Jahrhunderts.

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