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Mann wider seine Zeit

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Die österreichische Kulturvereinigung hat Wien in einer Lesung das Becket-Spiel des bedeutenden englischen Didners T. S. Eliot unter dem Titel: „Mord in der Kathedrale“ zum erstenmal vorgeführt. Das 1934 für die Festspiele von Canter-bury verfaßte Stück hat in den letzten Jahren auch auf dem Kontinent starken Eindruck in Freilichtaufführungen erzielt, sc„in^Frankrekh- .und-.. Ita letzten- Jahr-, auch in Deutschland (und zwar in der Übertragung durdi Ida Friederike Görres unter dem Titel: „Mord im Münster“, der passender ist als die von Werner Riemerschmid gewählte wörtliche Übersetzung, da das Wort „Münster“ eher die beklemmende Schwere und Wucht einer rpmanisdien Gottesburg wiederzugeben vermag, als „Kathedrale“ — ein Wort, das immer die hellschimmernden gotischen Kathedralen Frankreichs in der Erinnerung wachruft), -

Eliot, ,der Dichter formsdiöner und gedankentiefer Gedidite, der Verfasser von Essays über die geistige, religiöse und kulturelle Situation unseres Zeitalters, fühlt sich Österreich innerlich verbunden und hat dies auch in einem Begrüßungstelegramm an das Wiener Publikum seiner Erstaufführung zürn Ausdruck gebracht: Es ist der „Jedermann“ Hugo von Hofmannsthals, der bei seinem Becket-Spiel Pate stand.

Wir haben also mehrfadien Anlaß, uns mit dem Thema auseinanderzusetzen: einmal, da es Anlaß zum Werk eines Dichters von europäischem Format wurde, zum andern, da der Stoff (jan sich einer zeitgemäßen Betraditung wert ist.

Am 29. Dezember 1170 wird in der Kathedrale von Canterbury der Primas von England, Thomas Becket, ermordet. Kurze Zeit vorher hatte Heinrich IL, König von England, in einem seiner üblichen Wutanfälle seiner Umgebung gegenüber geäußert: „Was habe idi für erbärmliche Diener, daß keiner da ist, mich von diesem Pfaffen zu befreien.“ Sein Gefolge pflegte vor seinen Zornausbrüchen zu zittern, wenn er eine schlechte Nachricht bekam, warf er sich zu Boden und biß in den Teppich; so berichten die zeitgenössischen Chronisten...' Sofort fanden sich auch hier die Vollzieher des indirekten Befehls.; der Erzbischof wird .iso von vier Rittern, nicht ohne Mitwirkung eines Klerikers, an den Stufen des Hochaltars in gräßlicher Weise ermordet. 1173 wi d er heiliggesprochen, 1178 wird, ihm bereits in Salzburg ein Altar geweiht: im Zentrum d?s südostdeutschen Widerstandes gegen die absolute Herrschaft des deutschen Kaisers über die Reichskirche!

So eindeutig da? äußere Ende des Kirchenfürsten, so umstritten ist bis auf den heutigen Tage seine Persönlichkeit, vor allem aber auch der geschichtliche Erfolg seines Märtyrertodes: mochten manche Historiker behaupten, daß er die englische Kirche aus der Knechtschaft des Königs befreit habe, so kommt bereits wenige Jahrzehnte nach der Tragödie ein Geschichtsschreiber des t großeif Innozenz*JH. zudem Urteil: Thomas habe sein Blut umsonst vergossen, weil die englische Kirche in tiefer Knechtschaft verstrickt blieb . ..

Die Tragödie Beckets ist die Geschichte des titanischen Ringens eines Mannes wider fast alle Mächte seiner Zeit. Der 1162 zum Erzbischof von Canterbury und damit Primas der engüsdien Kirche Gewählte trat ein sdiwerbelastetes Erbe an. .Die Kirchen und Klöster des Landes litten schwer unter dem. Druck der feudalen Herren; diese normannischen Barone pflegten das ihnen anvertraute Kirchengut, wie es auch sonst vielfach üblich war, für sich zu verwenden. Die geistliche Disziplin war aufs tiefste gesunken. Trunksucht, Derbheit, Unbildung und Aussdiweifung des englischen Klerus waren weithin berühmt. Wir wissen darüber nicht nur Besdieid aus den zahlreichen Satiren der Zeit, sondern vor allem aus den Werken und Briefen eines Kronzeugen der Becket-Tragödie: von Johannes von Salis-bury. Dieser war bereits Sekretär des Erz-bisdiofs Theobald von Canterbury gewesen, eines alten Mannes, der zu schwach war, sich gegen König, weltlichen und geistlichen Hochadel und Niederklerus zugleich durchzusetzen. Kein Geringerer als Bernhard von Clairvaux hatte den jungen, mittellosen Kleriker, der in Paris und Chartres studiert hatte, dem englischen Erzbischof empfohlen.' Johannes wurde der Sekretär Theobalds und dann des Becket selbst und zudem einer der feinsinnigsten und gebildetsten Geister seines Jahrhunderts. 1180 stirbt er als Bischof von Chartres, nachdem er die entscheidenden Jahre seines Lebens in der Verbannung in Frankreich verbracht hat. Sein ganz Europa umfassender Briefwechsel beleuchtet scharf das in dunklen und schweren Farben prangende Gemälde der Zeit. Da sind in England die hohen Feudalherren; sie führen fast ständig Fehde, plündern Kirche, Kloster, Volk und Land aus. Da sind die hohen geistlichen Herren, zum großen Teil noch befangen im frühmittelalterlichen Lebensstil des feudalen Kirchenadels: diese Bischöfe lieben Pracht und Prunk, glänzende Paläste, ihr Tafel- und Kleiderluxus ist sprichwörtlich bekannt. Mit großem Gefolge ziehen sie über Land, in Fehde und Schlacht führen sie selbst in schimmernder Wehr das Treffen an. Wir kennen ähnliche Verhältnisse aus dem „Heiligen Reich“, wo Rainald von Dassel, erwählter Erzbischof von Köln und Kanzler des römischen Reiches, ebenso wie der Mainzer Christian von Buch Führer der kaiserlichen Heere und der kaiserlichen Politik sind.

Becket kennt diese Verhältnisse — er hat selbst, wie seine Gegner ihm bis zuletzt vorwerfen werden, lange genug mitten in ihnen gestanden. Als Kanzler und Freund Heinrichs II. hat er, der Londoner Bürgersohn, das hochfcudale Leben der Zeit mitgemacht und in vollen Zügen genossen. Hier rühren wir bereits an die persönliche Tragödie; Heinrich II. wird es nie verstehen können, daß der Genosse seiner Freuden, der Gefährte seiner Spiele und Jagden, der intimste Freund seines Lebens, den er selbst in Erwartung engster Zusammenarbeit zum Primas von England gemacht hatte, mit dem neuen Amt ein neuer Mensch werden wird! ' Für den hochbegabten Normannenfürsten, den Urtyp des Machtpolitikers, dem alle Mittel recht sind, führen sie nur zu seinem Ziele, bleibt Thomas bis über seinen Tod hinaus der Verräter! Was will Becket? Mit dem Tag seiner Weihe ist er, nach seiner tiefsten Überzeugung, aus dem Dienst des irdischen in den Dienst des himmlischen Königs übergetreten; für dessen „Ehre“ kämpft er nun mit derselben Zähigkeit für die „Befreiung“ der englischen Kirche aus d'r immer straffer angezogenen Herrschaft des Königs wie ehedem als Kanzler für die Restauration der Jn den Thronwirren der vergangenen Jahrzehnte geschwäditen Königsmacht. Er hat alle gegen sich: die großen Barone, welche das Kirchengut nicht herausgeben wollen, die herrscherlichen Bischöfe, die unter Führung seines Nebenbuhlers Gilbert Foliot, des Bischofs von London, sich sammeln. Papst Alexander III. kann ihm lange genug keine wirksame Unterstützung geben; die weltpolitische Lage zwingt ihn, der selbst Flüditling in Frankreich ist, ein günstiges Einvernehmen mit dem englischen König zu suchen, der den größten Teil Frankreichs beherrscht und ständig mit dem Abfall zu Kaiser Friedrich I. und dessen /Gegenpapst droht! Zudem hat Heinrich II. einen Teil der römischen Kardinäle und der päpstlichen Legaten gekauft...: ganz Frankreich klagt über „Rom“... Von 1165 bis 1170 lebt Becket selbst als Flüchtling in Frankreich, zuerst bei den Zisterziensern in Pontigny, dann in S'eno, wo ihm Ludwig VII. von Frankreich, der Gegner Heinrichs IL, einen Unterschlupf gewährt. Am 22. Juli 1170 kommt es nach jahrelangen Verhandlungen in Freteval zur Aussöhnung des Königs mit seinem früheren Kanzler; ein Scheinfriede. Am 1. Dezember landet Becket in England, freundlich empfangen nur vom niederen Volke, das einen Helfer und Beschirmer gegen die Brutalität der großen Herren in ihm erwartet. Der Adel ist geg-m ihn, ebenso die Bischöfe, ja auch der Klerus seiner eigenen Heimstatt in Canterbury. Thomas ist fest entschlossen, die „alten Rechte“ der Kirche in England wiederherzustellen. Er fordert das entwendete Kirchengut zurück, will mit einer Reformation großen Stils beginnen. Da schlagen seine Gegner zu; am 29. Dezember wird er ermordet.

Was hat Becket erreicht? Äußerlich fast nichts. Der Vertrag von Avrenches, der zwei Jahre nach seinem Tod Heinrich II. mit Alexander III. aussöhnt, beläßt dem englischen König im wesentlichen die Oberherrschaft über' die englische Kirche; selbst die Mörder Thomas' bjeiben so gut wie unbestraft.

Und doch: diese Frage ist im Letzten falsch gestellt: das Zeugnis eines Christen in der Zeit läßt sich niemals in politischer Münze bezahlen; und gerade dann gilt dies Gesetz des Kreuzes, wenn der betreffende Christ den größten Teil seines Lebens dem Gesetz dieser Welt gedient hat. Erst im Scheitern der Macht wird die Gnade sichtbar. Der Kanzler König Heinrichs und der Primas von England hat nur eine zeitbedingte Rolle auf der Bühne der Weltgeschichte gespielt. Hier hat er Anteil an der Größe, der Sdiuld und Tragik seines Zeitalters, hier ist er der Vergänglichkeit geweiht. Sein Werk geht mit seinem Tode unter. Anders der Mensch in der Ordnung des Ewigen, der Christ, der Heilige: ihn ehren die Altäre, die Dichter und das Volk derer, die offenen Geistes und Herzens sind. Die zu begreifen vermögen, was Bewährung des Menschen in der Zeit heißt: ein volles, reiches Leben, hineingehangen in die Wirrnis der Schuld, doch befreit, gel*äutert, weil ergeben in den Dienst eines Höheren.

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