6556602-1948_25_07.jpg
Digital In Arbeit

Maximilians Hofburgkapelle

Werbung
Werbung
Werbung

Unbewußt erfaßt man drei Begriffe in dem einen Wort: Hofburgkapelle; niemand ist aber jeweils im Zweifel, welcher denn gemeint sei. Den selbstverständlichen Namen Hofburgkapelle trägt das Gotteshaus innerhalb des gewaltigen Bautenblockes der einstigen kaiserlichen Burg; die Hofburgkapelle ist indes auch jahrhundertealter Besitz und Begriff unserer Musikkultur; in ihr vereinigt, wissen wir die hohen Werke sakraler Musik und die berühmtesten, gefeiertsten Künstler als ihre Ausführenden; dem Wiener Sprachgebrauch, der es mit der Logik nicht genau nimmt, schwebt, überdies eine künstlerisch- kulturelle Besonderheit der Burgkapelle, die Sängerknaben, vor. Aus den historischen „Singerknaben”, Vertretern besonderen kirchlichen Gesangsstiles, wurden im Kampfe um die Erhaltung der berühmten Musikstätte Wiens nach dem Erlöschen einer kaiserlichen Hofhaltung, die „Wiener Sängerknaben”, heute wieder welterobernde Künder und Werber österreichischer Musikkultur. Wenn die Hofburgkapelle nun ihren 450jährigen Bestand begeht, schließt man sich dankbaren Gefühles für die Errettung dieses hohen Heiligtumes Und heimischen Kunstgutes an; zum Jubilieren seiner „Gründung” hat der getreue Historiker ein wenig Richtigstellendes beizufügen. Es wird nicht die Bedeutung des 7. Juni 1498 mindern, wohl den Glanz Kaiser Maximilians I. und seiner „Singerknaben” eher noch erhöhen.

In Kürze: Was wir von dem Gotteshaus der Kaiser, Könige, Herzoge, Fürsten, die je unter dem Burgdache wohnten, noch sehen, ist recht unauffällig, bedeutsamst etwa der spätgotische Chorabschluß in dem kleinen Hof zwischen dem Josefsplatz und dem Schweizerhof. Der Bau ist ein Werk des Niederländers Nikolaus Lerch, des Baumeisters Herzogs Friedrich, späteren Kaisers Friedrich III., des Kunstfreudigen. Er erhebt sich über dem Grund einer von dem siebzehnjährigen Herzog Rudolf, nachmals der Stifter genannt, über seinem Geburtszimmer zu Ehren aller Heiligen errichteten Kapelle. Der ehrwürdige Raum, fast unverändert auf die Gegenwart gekommen, wurde am 29. April 1449 vom Gurker Bischof, Johannes Schallermann, „in die Ehr der heiligen Dreifaltigkeit, der glorreichsten Jungfrau, aller Engel, des heiligen Johannes B., aller Apostel, Märtyrer, Bekenner, Jungfrauen, Witwen, kurz aller Heiligen” konsekriert.

Friedrich III. war schon als Herzog von Steiermark trotz aller politischen und kriegerischen Bedrängnisse, ein freudiger Bauherr; sein Motto ward ihm zum historisdien Symbol: „A E I O U”; wie alle mächtigen Herren seiner Zeit, hatte auch er seine „Hofmusik”, die ihn ständig begleitete. Weißkunigs Sohn, der junge Erzherzog Maximilian, genoß von Jugend die Freuden der Musik. Musik gepflegt wurde zu Wien bei Sankt Stephan, an der Universität, auch am Hofe, wgnn er in Wien weilte. Am Hofe Karls des Kühnen lernten Friedrich und Prinz Max die bųrgun- dische Musikkultur kennen; es war höfische Ehrensache, ihr nachzustreben und wohl auch künstlerisches Verständnis, der Musik neue Bahnen zu erschließen; diesen Eindrücken und Einflüssen ist wohl die Zweiteilung der maximilianischen Hofmusik in eine niederländische und eine oberdeutsche Richtung zuzuschreiben, die nach Kaiser Friedrichs Tod zu gemeinsamen Wirken vereinigt wurden. Ganz besondere musikalische Eindrücke mag der junge Maximilian am Innsbrucker Hofe seines kinderlosen Vetters, Sigmund von Tirol, empfangen haben; er hielt sich die vielleicht glanzvollste Hofkapelle, bestehend aus den berühmtesten Sängern, Organisten, Lautensgielern, Trompetern jener Zeit. In Innsbruck begegnete Maximilian dem führenden Meister der Niederländer, Heinrich Isaac, den er im Jahre 1494 an seine oberdeutsche Kapelle ,verpflichtete. Isaac wurde demnach der erste große musikalische Wahlösterreicher, dem nicht wenige — bis in unsere Tage! — folgen. Isaacs deutsches Lied, „Innsbruck, ich muß dich lassen” mag bei Maximilians tiefer Liebe zu Tirol, seelische Beziehungen zwischen Kaiser und Künstler geknüpft haben. Am Hofe Sigmunds lernte Maximilian auch seinen nachmals so geliebten Organisten, den aus dem salzburgischen Radstadt stammenden Meister des Orgelspieles und bedeutenden Musiktheoretiker, Paul Hochhaimer, kennen. Maximilianischer Geist, eine fast übersinn- lidre Erfüllung der Hoheit und des Adels der Kunst, erschließt sich in dem Ritterschlag des Künstlers durch den Kaiser.

Am 7. Juni 1498 setzte Kaiser Maximilian I. sein Signum unter eine Urkunde, die die Einrichtung des Wiener Hofdienstes regelte, für die Burgkapelle einen ständigen musikalischen Kirchendienst einsetzte. Diese Organisation, dieses Statut — sagen wir heute — bestellte auch sechs, in ständige Obsorge zu übernehmende „Singerknaben”. Dem gewissenhaften Geschichtsschreiber der Hofburgkapelle, Univ.-Professor Doktor Cölestin Wolfsgrube r, blieb dieses Dokument unbekannt; er betont die auffällig geringe landesväterliche Huld und Beachtung der Hofkapelle als das von seinen Ahnen ganz besonders mit Stiftungen und Zuwendungen reichbedachte Gotteshaus. Der Historiker gedenkt der Jugendeindrücke Maximilians, als die rebellierenden Wiener unter ihrem Bürgermeister Wolfgang Holzer, Kaiser Friedrich, seine Gemahlin Eleonora, den kleinen Prinzen Max, Kanzler und Hofstaat, zwei harte Wintermonate lang in der Burg belagerten. In einer einzigen Stube, hart hinter der Burgkapejle, geschützt vom Turm an deren Ecken, fanden sie Schutz vor einer Beschießung mit „einem Getös, als ob der Himmel einfallen wolle. Eh einer ein Ei geschält, konnte man wohl hundert Schüsse hören”. Einstmals, an einem Sonntagmorgen, waren Kaiser, Kaiserin und Kindlein kaum in die Kapelle eingetreten, als eine große Kugel nahe bei ihnen einkhlug. Michael Behaim, der landfahrende Chronist, erzählt im „Buch von den Wienern” als Miterlebender:

„Kaiser, kaisrin, vnd daz kindlin, in der kirchen kummkamen hin mit einer kugel grassen wart da zu in geschassen.”

Als junger Herzog seiner Erblande mußte sich Maximilian vor dem Ungarnkönig Matthias Corvinus in sein allzeit getreues Wiener-Neustadt zurückziehen. Die hochsinnige, freimütige Persönlichkeit Maximilians grollte Wien nicht — es stand ihm aber nicht nahe, nicht wie die „Neustadt”, Innsbruck, Wels, Villach oder gar Augsburg. Der politische Großgedanke von Habsburgs Hausmacht, gebot Maximilian, über persönliche Empfindungen hinweg, Wien, die Stadt am Donauweg, zum Mittelpunkt des Reiches zu machen; in die Wiener Hofburg das symbolische Herz Österreichs zu verlagern; wenn er selbst auch ruhlos landfahrend, lebenslang sein Reich eigentlich - vom Sattel herab, regierte. Deutlich verankerte Maximilian in Wien alle wissenschaftlichen, künstlerischen Bestrebungen seiner Zeit. Nach Wien gravitierte der Genius des Maximilianischen Humanismus. Die Festlegung der Hofmusik in die Kapelle der Burg ist ein Epochenwerk gewesen. In vielleicht bewußtem Zusammenhang mit der Einrichtung seiner Hofkapelle berief Maximilian 1497 den „Erzhumanisten” und gelehrten Dichter, Konrad Celtis, an die Wiener Universität. Seit diesen Tagen ist dieses musikalische Kunstinstitut ein hoher Wert österreichischer Kultur. So eng und schmal das Gotteshaus ist, so unermeßlich, unbegrenzt sind die Weiten der Genialität derer, die darin Musik schufen, erklingen ließen. An dieser Stelle hat Rudolf von Habsburg gebetet, hat sein Urenkel, Rudolf IV., der erste geniale Habsburger, dem Maximilian schier dämonisch menschlich und schidksalsmäßig ähnlich, die Jünglingssdiwingen eines romantischpolitischen Ehrgeizes entfaltet; auf dem Marmorestrich standen, nach dem Gebot des Zeremoniels, alle Särge Österreichs, bis zu Franz Joseph. Wahrhaft hier, wie aus Himmelshöhen, drang vom hochgeordneten Musikempore, was der Menschengeist an Musik ersann und in vollendetster Meisterschaft wiedergeben kann. Und heute gilt wieder, was Ludwig Köchel einst schrieb: „Eine Kunstanstalt, welche in ihrer Blüte von ganz Europa angestacjnt wurde und nach dem Zeugnisse der Zeitgenossen nirgends ihresgleichen hatte, war die kaiserliche Hof- musikkapelle in Wien.”

Maximilians Hofmusik zu Wien war von Anfang an ein musikerzieherischer Faktor. Im wesentlichen übernahm Maximilian nach dem Tode Sigmunds von Tirol dessen Hofmusik. Die ersten Knabensänger wurden aus Flandern und Burgund nach Wien gebracht, heimische mögen wohl erst herangezogen worden sein. Unter diesen befand sich derjenige erste Sängerknabe, der neben Isaac und Hochhaimer der dritte Klassiker der maximilianischen Musikkultur werden sollte. Es war der aus der Schweiz stammende Isaac- Schüler, Ludwig S e n f 1, später sein Nachfolger als Hofkapellmeister. 1513 wurde aus Laibach von Maximilian der Kleriker Ludwig von Slatkonia zum Leiter bestellt. Ein gelehrter Humanist, schon als ihr einstiger Schüler der neugeistig-gewor- denen Wiener Universität nahestehend, der, ganz im Sinne des Kaisers, die Hofkapelle als künstlerische Ergänzung zur humanistischen Hohen Schule führte. Slatkonia wurde Bischof von Wien, starb 1522.

Über die innere Organisation der Hofkapelle, namentlich über die schon damals in einer konviktähnlichen Lebenshaltung geführten Sängerknaben, gibt das Bestellungsdekret des „Capellenmeisters” Arnold von Pruckh unter Kaiser Ferdinand I., Aufschluß; er erhielt für seine Person dreißig Gulden Besoldung; ferner „sollen Ime auf Unterhaltung sein selbst person, auch aines praecep- tors zu der Grammaticen, aines schaffers, aines Hausknechts, ainer Köchin vnd ihrer Gehilfin, aines praeceptors zum Vorsingen vnd 24 Singerknaben für essen vnd trinckhen, Herberg, petgelt, Wesch vnd für allen Hausrat wöchentlich fünf vnd dreißig Gulden Rheinisch in Müntz gereicht werden. Davon solle er auch alle abbemelte personen außer seins vnd der Knaben zu besolden schuldig sein”.

Das volle Verständnis des Renaissancegeistes für schöpferische Gaben und schöpferisches Schaffen spricht auch aus dem Organisationsplan, der den Hofkomponisten und Hofkapellmeister gleichstellte, wohl aber unterschied von den ausübenden Kapell- sängern und Kapellmusikem. Hierin lag der Keim und der Weg, daß tatsächlich nur musikalische Persönlichkeiten von europäischem Format an die Spitze der Wiener Hofkapelle traten.

Die Wiener Hofkapelle muß sehr rasch hohes Ansehen erworben haben. Slatkonia muß eine ausstrahlende Persönlichkeit des Wiener Humanistenkreises gewesen sein, schon durch den geistlichen Stand dieHofkapelle hervorhebend, durch seine persönlichen organisatorischen Gaben ein Fundament schaffend. Die frühe Blüte wurde von Bischof Slatkonia selbst in einigen Versen vermerkt: „Nach rechter Art und Concordantz . auch Simphoney und Ordinantz.

Junctur und mancher Melodey hab ich gelerth die Cantorey, doch nicht allein aus mein bedacht; der Kaiser mich dartzu hat bracht.” Philosophie, Poeterei und Musik waren unter Maximilian der Kirche wohlgefällige Kinder. Kantoren von Sankt Stephan hatten akademische Würden. Musizieren diente gleichermaßen dem Unterricht in der Metrik, wie künstlerisch wirkender Pädagogik durch Einbau in das Schuldrama. Wien errang in der maximilianischen Epoche, wie Erich Schenk sagt: die „Führung und gab in diesen Tagen entschieden mehr ab, als es empfing”. Der nun gefestigte Musikkörper der Hofburgkapelle war bildende Sammlung und schöpferische Kraftquelle. Der Zustrom nach Wien setzte schon 1492 mit Heinrich Fink ein; Peter Tritonius, ein Freund Celtis, weilte von 1501 bis 1508 in Wien; es bestanden sichere Beziehungen zur aufkommenden Polyphonie, zu John Dunstaple, Binchois und Dufay. Wie sehr der Kaiser, wenn auch selten in der Burg seiner Ahnen weilend, die Wiener Hofkapelle schätzte, beweist die Aufnahme in Burgkmaiers „Triumphzug”; verewigen Keß MaximiUan seinen Paul Hochhaimer, seinen Lautenisten Albrecht Morhanns, den Posaunisten der Burgkapelle Neyschl — und die „Singerknaben” geschart um ihren Kapellmeister Slatkonia.

Die Hofburgkapelle erscheint besonders lieb und wert als eines der wenigen Wiener Kunstdenkmäler des hochsinnigen, musischen Maximilian, nicht nur des „letzten Ritters”, sondern des ersten Geistes der humanistischartistischer Renaissance. Oberflächlich betrachtete ein Österreicher der berühmten „halben Mitteln auf halben Wegen”, ein Anherr des österreichischen Menschen: oberflächlich betrachtet, ganz und gar als Erdenmensch erscheinend, in Wahrheit besessen vom Drang nach Schaffen, Werken, Werden — der Erde tief verbunden durch Erz und Wald und Feld; in Wahrheit den Blick gen Himmel gerichtet; geschlagen von harten Losen, verkannt von Menschen und Schicksalen — doch herausgehoben aus dem alltäglich Menschlichen. Eine Zeit, wie die unsere, müßte für einen tragischen Halbheroen, einen schönheitstrunkenen Künstler- menschep wie Maximilian, besonders Verständnis fühlen, in seinem Werke ein verpflichtendes Erbe lieben. In unserer Burgkapelle schlägt ein altes Henz Österreichs …

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung