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Medizinische Forscherarbeiten in den Kolonien

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Der Ruf nach kolonialem Lebensraum gehört zum eisernen Bestand politischer Schlagworte. Die breite Öffentlichkeit denkt daher an die kolonialen Gebiete nicht, wie sie wirklich sind, an ungünstiges Klima, harte Arbeit, jegliches Fehlen geistiger Anregung, Heimweh. Man sieht nur reich Ernten, große Viehherden mit prachtvollen Zuchttieren, unerschöpfliche Bodenschätze und leichten Verdienst. Wer weiß von den unzähligen Schattenseiten des kolonialen Lebens? Wer denkt, um nur eine davon zu nennen, an die unzähligen Opfer, die alljährlich in Mittelafrika der Stich der Tsetsefliege (Glossina) unter den Menschen und Viehbeständen des schwarzen Erdteils fordert? Diese Schlafkrankheit und die Nagana- seuche bei den Tieren wirken sich auf einem Gebiet, das vier Millionen Quadratkilometer umfaßt, also fast halb so groß wie die Vereinigten Staaten ist, verheerend aus.

Wäre die Glossina nur der Überträger ‘der menschlichen Schlafkrankheit, müßte sie schon als die furchtbarste Geißel Afrikas bezeichnet werden. Aber fast noch mehr Unheil stiftet der Befall der Viehherden, weil durch ihn weitgedehnte Gebiete veröden, die einheimische Bevölkerung verarmt und Länder, die ganz Europa ernähren könnten, wertlos werden.

Schon, als Ostafrika noch unter deutscher Verwaltung stand, wurden tatkräftige Versuche unternommen, um den Seuchen bei- rukommen. Das Germanin (Antrypol) erwies sich besonders bei Kamelen wirksam. Die Injektion mit Pentamidin schützt Menschen ungefähr neun Monate lang vor einer Ansteckung. Der erste Weltkrieg verursachte aber einen Stillstand in der Krankheitsbekämpfung, und in der Nachkriegszeit wuchs die Anzahl der infizierten Menschen und Tiere erschreckend rasch.

Eine Wendung zum Besseren brachte erst der Wechsel in der Auffassung von den Pflichten, die eine Großmacht ihren Kolonien gegenüber zu erfüllen hat. Der britische Development and Welfare Act des Jahres 1940 War der gesetzgeberische Ausdruck dieses Stimmungsumschwungs. Ein Jahresbeitrag von 500.000 Pfund wurde für die Forschungsarbeit in den Kolonien ausgeworfen und die Leitung dieser wissenschaftlichen Erkundung einem eigenen Ausschuß, dem Colonial Research Committee, übertragen. 1945 wurde die Jahressumme verdoppelt, und zwei Jahre später wurde der Ausschuß in den Colonial Research Council als Teil des neuen Colonial Economic and Development Council verwandelt.

Die eigentliche Arbeit der Gelehrten vollzieht sich in einigen Sonderkomitees, deren wichtigste jene für die medizinische, veterinäre, die landwirtschaftliche und die schädlingsbekämpfende Forschung sind. Die Verantwortung für die Forschungstätigkeit liegt bei den Verwaltungen der einzelnen Kolonien.

Die im Februar 1949 in London veranstaltete Tagung des Internationalen Komitees für die Trypanosomiases-Forscbung lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit besonders auf die Erfolge in der Bekämpfung der Tsetsefliege. Erfreulicherweise konnte von britischer Seite bei diesem Anlaß über ein neues Mittel, das Antrycid, berichtet werden, das endlich mit dem Schrecken der Glossinagefahr aufzuräumen beginnt.

Selbstverständlich wurde dieses Kampfmittel gegen den Erbfeind nicht gleich auf den ersten Anhieb gefunden. Vorerst wurden verschiedene Wege beschritten, die wohl nicht unwirksam, aber doch noch nicht geeignet waren, des Übels endgültig Herr zu werden.

Man vernichtete die Brutstätten der Tsetsefliege, den Busch und das Dickicht an den Ufern der Flüsse und Seen. Man schoß das wildlebende Getier, besonders die Pavians, als die bevorzugten Opfer der Glossina, ab. Um Anchau in Britisch-Westafrika wurden 700 Quadratmeilen Busch gerodet. In Tanganyika wurden auf weiten Flächen alle Pflanzen, die der Tsetsefliege Unterschlupf bieten, entfernt. In Südrhodesien vertrieb man auf 300 Farmen mit je 3000 Hektar Land alle in freier Wildbahn lebenden Tiere. Daß die Tierärzte dabei mit den Jagd- und Forstbehörden in Streit gerieten, ist verständlich. Man versuchte es auch mit dem berühmten DDT-Pulver, aber es tötete auch jene Insekten, die für die Landwirtschaft nützlich sind. Keine dieser Vorbeugungsmaßnahmen war biologisch einwandfrei.

Schließlich erwies sich als die wirkungsvollste Art, den Trypanosomen auf den Leib zu rücken, die Behandlung der Befallenen durch bakterientötende Mittel. Unter den verwendeten chemischen Verbindungen bewährte sich am besten das Antrycid, ein ICI-Erzeugnis. Dr. F. H. S.C u r d, der Entdecket dieses weißen, talkumähnlichen Präparats, starb bei einem Bahnunfall, aber auf Grund der chemischen Formeln, die in der Aktentasche des Verunglückten gefunden wurden, konnte das Antrycid in zwei Formen weiterentwickelt werden: als Antrycid- sulfat, ein lösliches Pulver, und als Antry- cidchlorid, eine Flüssigkeit.

Das Antrycid wird dem Vieh subkutan injiziert, wobei das Sulfat, das vom Blute schneller aufgenommen wird, zu Heilungszwecken, das langsamer wirkende Chlorid aber als Vorbeugungsmittel dient. Doktor D a v e y, Curds Mitarbeiter, leitete die entsprechenden Erprobungen. Sie waren keineswegs ungefährlich; Löwenjäger aus dem Stamme der Massai mußten das behandelt Vieh vor Raubtieren schützen; in Kenya konnte sich ein Wissenschaftler einem angriffslustigen Rhinozeros nur durch schleunigste Flucht auf einen Baum entziehen.

Im Jahre 1948 wurden schon zwei Tonnen dieses Heilmittels erzeugt. Immerhin müssen aber die Erfahrungen beim Gebrauch des Antrycid noch über einen längeren Zeitraum hin fortgesetzt und vervollständigt werden. Aber schon jetzt steht fest, daß der Kampf gegen den Erreger der Schlafkrankheit und der Naganaseüch zum Siege führen wird. Da die meisten einheimischen Viehbesitzer imstande sind, ihren Haustieren die Injektionen selbst zu verabreichen, dürften sich zumindest für Britisch-Ostafrika, wo 14 Millionen Menschen 15 Millionen Rindvieh ihr Eigen nennen, keine neuen agrarischen Schwierigkeiten mehr ergeben. Denn ein gesunder und zahlenmäßig entsprechender Viehstand bedeutet, daß die Weideflächen erhalten bleiben und genügend Dünger für die Landwirtschaft anfällt. Darüber hinaus aber kann soviel Fleisch erzeugt werden, daß nunmehr eine großzügige Planwirtschaft für die Gewinnung, Konservierung und Ausfuhr des Fleischüberschusses einzusetzen vermag. Allerdings wird es gleichzeitig auch notwendig sein, dem Vieh über das Regenwasser hinaus noch ständige Wasserquellen zu erschließen. Das ist jedoch nicht mehr Sache der Bakteriologen und Tierärzte. Sie haben ihre Pflicht schon erfüllt und mit ihrer Forschungsarbeit einen Koloniallebensraum geschaffen, ohne daß di Welt zu den Waffen greifen mußte.

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