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Merkwürdiges von Büchern

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Papier ist die apriorische Form jedes Gedankens, der zur dauerhaften Mitteilung bestimmt ist! Denken wir uns das Papier fort, so würde unser Wissen und unser Geistesleben — vernichtet!

Im alten Rom umfaßte ein Buch nicht mehr als 16 Druckseiten, man würde es heute als ein Heft bezeichnen. Der Preis für einen „Martial“ (340 Epigramme) war nicht hoch, man bezahlte den Ladenpreis von etwa einem Schilling, während Luxusschriften immerhin das Fünffache kosteten. Im Mittelalter dagegen, vor der Erfindung der Buchdruckerkunst, erzielten viele Manuskripte sehr hohe Preise. So mußte man zu Kaiser Barbarossas Zeit (um 1180) für die Werke des Livius 120 Goldkronen bezahlen. Ein Betrag, für den man sich zu jener Zeit schon ein schönes Landgut erstehen konnte! — Auch auf die Bucheinbände wurde vor Gutenberg Zeit großer Wert gelegt. Zumal die heiligen

Schriften wurden kostbar ausgestattet. Schon zur Zeit Konstantins des Großen gab es Bibeln, deren Seiten aus feinstem Elfenbein bestanden, während die Einbände aus seltenstem Leder, mit Edelsteinen inkrustiert, hergestellt wurden. Ein Kirchenvater schalt deshalb: „Eure Bücher sind mit Kostbarkeiten besetzt, während Christus nackt vor den Toren des Tempels starb." Eine handschriftliche Übertragung des Korans, die der Emir von Afghanistan dem Schah von Persien verehrte, bestand aus sechs Millimeter dünnen Goldplatten und der Einband kostete 600.000 Mark, da er mit 398 Edelsteinen, 167 Perlen, 132 Rubinen und 100 Diamanten reinsten Wassers, die zu Arabesken zusammengesetzt waren, geschmückt war. Der persische Dichter Saadi bemerkt hiezu: „Der Koran ist von Gott gegeben, um die Menschen zu bessern, doch diese sind nur bestrebt, seine Seiten zu verschönern.“

Der „Codex Argenteus", jene berühmte Bibel im Tresor der Universitätsbibliothek in Upsala, besteht aus Purpurpergament und ist mit silbernen Buchstaben geschrieben.

Honorare für Schriftsteller hat das Altertum ebensowenig gekannt wie ein Autorenoder Verlegerrecht; man weiß nur, daß Plinius für Auszüge aus älteren Manuskripten 100.000 Mark angeboten wurden, und diese Verhältnisse haben sich, von Ausnahmen abgesehen, erst in der neuen Zeit geändert. Der große Immanuel Kant erhielt für seine „Kritik der reinen Vernunft“ von seinem Verleger Hartknoch ein Honorar von 220 Talern, für die „Kritik der Urteilskraft" schon 700 Taler. Außerdem verehrte ihm der Verleger noch zwei Pfund Schnupftabak und 16 Göttinger Würste!

Als Klopstocks Freunde vom Verleger des „Messias" eine besondere Beihilfe für den bedürftigen Dichter forderten, ließ der Verlagsinhaber einen „neuen tressengeschmückten Frack und Hut“ dem Dichter anfertigen!

Goethe brauchte keine Würste und Kleider anzunehmen, denn er war von Hause aus wohlhabend und wurde mit 30 Jahren Staatsminister mit rund 3000 Talern Jahresgehalt (Kant erhielt als preußischer Universitätsprofessor genau 747 Taler, 23 Groschen und 10 Pfennige, in die die professoralen Ansprüche von 44 Scheffel Roggen und fünf Achtel Holz schon einberechnet waren!). Goethe war nur „im Nebenberuf" Dichter, aber gleichzeitig auch ein ausgezeichneter Geschäftsmann. Alles in allem hat er aus seinen Werken 200.000 Taler erhalten, eine Summe, die nach heutigem Kauf wert immerhin eine halbe Million Dollar übersteigen würde! Gerhart Hauptmann hat 100 Jahre später schon das Sechsfache an Honoraren Vereinnehmen können!

Um die Herausgabe von „Goethes sämtlichen Werken“ wetteiferten seinerzeit alle führenden Verleger. Cotta bot 60.000 Taler, Brockhaus 70.000 Taler, Goethe selbst verlangte 100.000 Taler; da schaltete sich die „Hahnsche Buchhandlung" in Hannover ein und bot 150.000 Taler. Und im nahen Gotha wollten sogar Kaufleute eine Gesellschaft gründen, um diese Ausgabe letzter Hand zu drucken. Ihr Gebot an den Dichter belief sich auf 200.000 Taler! Dieser Rekord wurde nur noch einmal in späteren Jahren übertroffen, wobei es sich aber, wie es nur in angelsächsischen Ländern möglich ist, nicht um einen Autor von irgendeinem Rang handelte, sondern um den Verfasser eines recht phantastischen Kriegsromans, der 1905 in der „Daily Mail“ erschienen war. Dadurch hatte diese Zeitung einen ungeheuren Zuwachs an Lesern erhalten und sie zahlte dem Autor für den Vorabdruck einen Satz von 50.000 Pfund! Auch nur in England konnte eine „Dichtungsgesellschaft m. b. H." gegründet werden, und zwar für die Posse von „Charleys Tante“, die seit 1888 nicht mehr aus den Spielplänen verschwunden ist. Noch 1908 brachte sie dem Autor Tageseinnahmen von 100.000 Mark!

Nach der Schätzung der deutschen Buchproduktion durch den Börsenverein der deutschen Buchhändler sind im Jahre 1939 insgesamt 20.378 Bücher mit einer Gesamtauflage von 189 Millionen erschienen, die einen Gesamtverkaufswert von 829 Millionen ergaben, während der Produktionswert auf eine halbe Milliarde Mark zu schätzen war. Im Vergleich hiezu ist es interessant, die seit der Erfindung der Buchdruckerkunst lawinenartig anschwellende Buchproduktion zu verfolgen: während von 1450 bis 1500 die ersten sogenannten Frühdrucke in einer Anzahl von 40.000 erschienen, brachte das ganze 16. Jahrhundert an 57.000 Neudrucke heraus. Im folgenden Jahrhundert wurden 1,250.000 Neuerscheinungen gedruckt, bis 1800 zwei Millionen und' im 19. Jahrhundert steigerte sich die Herausgabe neuer Bücher auf 8V4 Millionen, um im ersten Viertel unseres Jahrhunderts auf 5 Millionen anzuwachsen. Es wird vielleicht mit Recht behauptet, daß von diesen 17 s Millionen veröffentlichten Druckwerken nur 5000 höheren Wert besitzen!

Aus der gigantischen Menge der Bücher- schätze (die durch den Krieg 1939 bis 1945 allerdings die Verluste von 200 Millionen Bibliotheksbüchern und rund 2 Milliarden Privatbänden erlitten haben — Deutschland allein verlor 35 Millionen), welche die Regale der Bibliotheken füllen, seien einige Kuriosa ihrer Seltenheit oder Beschaffenheit wegen erwähnt. Im Jahre 1930 wurde eine 42zeilige Gutenberg-Bibel für 1,300.000 Mark verauktioniert sowie eine erste Folioausgabe von Shakespeare, die mit 100.000 Mark bezahlt wurde. Ein Bändchen der Lafontaine-Fabeln, die Fragonard im 18. Jahrhundert mit Bildchen aus seiner

Meisterhand versehen hatte, und das zu seiner Zeit mit nur sechs Franken verkauft wurde, hatte 1936 den Liebhaberwert von zwei Millionen Franken erreicht! Da sich etwa 90 Prozent der kostbaren Bücher in fester Hand befinden und, wie bei staatlichem Eigentum, fast nie mehr ihre Plätze verlassen, also unbezahlbar sind, erklären sich die Höchstpreise für im Handel befindliche Raritäten aus dieser ihrer Seltenheit. Zu jenen nicht auf dem Markte erscheinenden Buchraritäten gehören auch ganz ausgefallene wie ein 1935 von dem italienischen Dichter Marinetti für einen Blechbüchsenfabrikanten hergestelltes Buch. Es besteht aus dünnsten Bleichseiten, die mit farbigen Texten und Bildern versehen sind. Dem Gewicht nach, nicht dem Inhalt, gilt als schwerstes Buch die von einem Erzherzog veröffentlichte „Geschichte von Ithaka", es wiegt 96 Pfund. Als das umfangreichste je gedruckte Buch kann man wohl das aus 5000 Bänden bestehende chinesische Wörterbuch betrachten, das Anno 1600 auf kaiserlichen Befehl entstanden ist. Das größte Buch hingegen wurde 1825 bis 1830 hergestellt, es ist der „Anatomische Atlas" in der Wiener Staatsgewerbeschule, der eine Höhe von 1,90 Meter und eine Breite von 90 Zentimeter hat. Das zweitkleinste Buch der Welt wurde 1897 in Padua gedruckt, es ist nur 10 X 6 Millimeter groß, umfaßt 208 Seiten und enthält unter anderem einen bisher noch unveröffentlichten Brief Galileis aus dem Jahre 1615. Der Engländer Gümmer verfaßte eine „Geschichte des Schlosses von Windsor" auf zehn Seiten, das 6’Zs X 4, r Millimeter groß ist und vom englischen König erworben wurde.

Das verbreitetste Buch ist bekanntlich die Bibel — das Jahr 1949 erwartet die in chinesische Sprache übertragene Vulgata! In 600 Sprachen gedruckt, in zirka einer halben Milliarde verbreitet, müßte jeder vierte Erdenbürger im Besitze einer Bibel sein! Nach der Bibel ist die „Imitatio Christi" von Gerit Grote, die lange Thomas a Kem p i j zugeschrieben wurde, das gelesenste Buch.

Über die Verbreitung des Korans und der Bücher des Konfutse ist nichts Näheres bekannt.

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