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Metternich und die Staatskanzlei

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„Ich mache nichts, was auch andere machen können“, mit diesen Worten hat Fürst Metternich selbst einmal nicht nur seine Arbeitsweise treffend gezeichnet, sondern auch das Geheimnis seiner erstaunlichen Leistungsfähigkeit zu erklären versucht. Aber diese Erklärung war keineswegs vollständig oder restlos befriedigend. Wohl machte er tatsächlich nichts, was auch andere an seiner Stelle machen konnten, — aber das, was nach Abzug all dieser von anderen erledigten Geschäfte noch für ihn selbst zu tun übrig blieb, war so unvorstellbar viel, daß man heute noch, angesichts des doch bei weitem nicht mehr vollständigen, schriftlichen Niederschlags seiner Amtstätigkeit nur immer aufs neue staunen kann. Was allein das Haus-, Hof- und Staatsarchiv an eigenhändig von Metternich geschriebenen Stücken verwahrt, geht in die hunderte von Faszikeln, bildet eine Sdiriften-reihe, deren physische Arbeitsleistung allein schon Bewunderung erregt, auch wenn man berücksichtigt, daß sie sich über ein langes Leben und über eine mehr als dreißigjährige Dienstzeit verteilt.

Der Kanzler arbeitete mit einer, wie bezeugt wird, unwahrscheinlichen Leiditigkeit und Schnelligkeit, schrieb in zwei Stunden nieder, wozu die Abschreiber einen ganzen Tag brauchten. Sein übrigens noch erhaltener Schreibtisch in der Staatskanzlei hatte einen hohen, mit einer beweglichen Klappe versehenen Aufbau, durch die die fertig beschriebenen Bogen jeweils sofort dem jenseits sitzenden Sekretär zur Abschrift übermittelt wurden. Metternich selbst hat Varn-hagen erzählt, daß die geistige Arbeit bei dieser Konzepttätigkeit in ihm wie von selbst, fast ohne sein Zutun, vor sich gehe. Hatte er die Erledigung eines Gegenstandes ins Auge gefaßt, so arbeitete sich der einfach in ihm weiter, auch während er äußerlich ganz anderen Dingen obliege:

„Die nötigen Ergebnisse reifen dann sdtnell unter allen scheinbaren Zerstreuungen; beim Essen, im gewöhnlichen Gespräch, im Fahren, bieten sich mir die klarsten Aufschlüsse, die wichtigsten Einfälle und, sobald der Gegenstand in mir ganz klar und reif geworden, mein Sinn und Geist davon saturiert ist, dann schreibe ich frisch darauf los. um die Anordnung und Folgestellung unbekümmert, die ergeben sich dann von selbst.“ Und was war der Inhalt dieser Konzepte? Gemäß1 der Doppelstellung, die Metternich als Minister des kaiserlichen Hauses und als Minister des Äußeren einnahm, im wesentlichen ebenfalls ein zweifacher: Familienangelegenheiten des Kaiserhauses im weitesten Sinn und auswärtige Politik. Um nur einiges anzuführen: Vorträge, Denkschriften und Tagesberichte an den Kaiser, Konzepte für Familienbriefe und Courtoisiesdireiben, unendlich viele politische Depeschen und Weisungen an die österreichisdien diplomatischen Vertreter im Ausland, Briefe im eigenen Namen wie im Namen des Kaisers an Herrscher und Diplomaten und vieles, vieles andere. In politicis wird man kaum eine Depesche von Wichtigkeit finden, deren Konzept Metternich nicht eigenhändig entworfen hätte! Dabei erledigte er, da Audienzen und Empfänge, Konferenzen, Beratungen und Vorträge die Stunden des Tages fast völlig in Anspruch nahmen, die Aktenarbeit zumeist erst in den späten Abendstunden, oft bis Mitternacht und darüber hinaus am Schreibtisch verweilend, — eine schwere Last für seine Sekretäre und Mitarbeiter. Seine übliche Tageseinteilung wird uns etwa so geschildert: Zwischen acht und neun Uhr Frühstück im Familienkreise, dann Arbeit im Kabinett, Audienzen, Empfänge, Vorträge, die nur gegen ein Uhr durch einen kleinen Spazierritt oder eine Ausfahrt unterbrochen werden. Sodann neuerliche Arbeit bis zur Tafel um halb fünf Uhr. Nachher folgt die eigentliche Aktenarbeit im Kabinett, unterbrochen gewohnlich um sieben Uhr durch einen Vortrag beim Kaiser und beendet gegen Mitternach* durch ein Erholungsstündchen in seinem Salon oder einen Besuch bei Freunden.

Amtssitz und zugleich Wohnsitz Metternichs war das Gebäude der Staatskanzlei neben der Burg auf dem heutigen Ballhausplatz, das unter Kaiser Karl VI. in den Jahren 1717 bis 1719 nach den Plänen von Lukas von Hildebrand errichtet, 1768 durch Maria Theresias Hofarchitekten Nicolo Pacassi, dem ja auch Schönbrunn seine heutige Gestalt verdankt, umgebaut worden war. Hier waren im Erdgeschoß die fürstliche Küche mit der Zuckerbädcerei, die Stallungen für dreißig Pferde und die Wagenschuppen, die Wohnungen der fürstlichen Dienersdiaft, der Hausoffiziere usw. untergebracht. Das erste Stockwerk, heute als „Hochparterre“ bezeidinet, war für das Amt, die „Staatskanzlei“ reserviert, und zwar der linke Flügel für das politische Expedit, für das in jener Zeit außerordentlich wichtige Chiffrekabinett und für die politische Registratur, der rechte Flügel für das administrative Expedit, die administrative Registratur, das Einreichungsprotokoll und . andere Stellen. Auf beiden Flügeln standen außerdem Aktenlesezimmer für die ins Ausland abgehenden Diplomaten, Sprechzimmer für den Parteienverkehr usw. zur Verfügung. Doch war der Raummangel groß in diesen Ämtern, und niemals verstummten die Klagen über die „drangvoll fürchterliche Enge“, in der hier wichtigste Arbeiten geleistet werden mußten. Dafür herrrschten in der Beletage darüber Licht und Luft. Hier lagen die heute noch zum Teil erhaltenen großen Repräsentationsräume, deren Mittelpunkt der prachtvolle, weißstuckierte „Säulensaal“ bildete, sowie der berühmte „Kongreßsaal“, in dem 1814/15 der Wiener Kongreß tagte, das Arbeitszimmer und die Bibliothek des Staatskanzlers, die Schlafzimmer und hauptsächlichsten Wohnzimmer des fürstlichen Paares. Diese weiten Räume, stets reich geschmückt mit Blumen und Pflanzen aus den Hofgärten und den fürstlichen Gewächshäusern, dünkten Metternich „über die Maßen schön“, zumal wenn die Mittagssonne sie durchflutete. Er liebte den Aufenthalt in großen Sälen; kleine Zimmer waren ihm verhaßt: „Im engen Raum“, pflegte er zu sagen, „schrumpft der Geist zusammen, die Gedanken verschließen sich und sogar das Herz welkt ab.“ — Auch das zweite Stockwerk war für den fürstlichen Haushalt reserviert. Man sieht also, das Amt war sozusagen in diesen Haushalt eingebaut, und dementsprechend herrschten auch in der Tat höchst patriarchalische Verhältnisse zwischen Staatskanzler und Staatskanzlei. Fürst Metternich war ein sehr sorgsamer Hausvater, in der F'amilie wie im Amt; in diesem besonders die niedrigeren Angestellten, bis zum letzten herunter, nach Möglichkeit beschirmend und fördernd.

Organisatorisch hatte sich der Staatskanzler sein Amt, seit er 1809 den Posten eines Ministers des kaiserlichen Hauses und des Äußeren übernommen, zu einem erstklassigen, ganz auf ihn und seine Arbeitsweise abgestimmten Instrument ausgestaltet, das, wie man klagte, etwas gemächlich und langsam, aber doch vorzüglich und präzis arbeitete. So dringend war ihm damals im Jahre 1809 der Umbau des Amtes in modernem Sinne erschienen, daß er noch während der Friedensverhandlungen im Hauptquartier zu Totis in Ungarn dem Kaiser den ersten Organisationsentwurf für die neue Staatskanzlei vorlegte. Aber erst nach mehreren Versuchen und Umgruppierungen ergab sich die endgültige Form, die dann allerdings im wesentlichen bis zum Ende der Monarchie, also durch rund hundert Jahre, in Geltung geblieben ist. Gewiß für eine Behörde, und noch dazu eine so wichtige und bedeutungsvolle, ein nicht alltägliches Zeidien der Bewährung. Der Grundgedanke dieser Organisation war der bereits • angedeutete: die Zweiteilung in eine „politische“ oder „auswärtige“ und eine „administrative“ oder „inländische' Abteilung, wozu noch verschiedene „Sonderreferate“, wie Polizei, Zensur, Presse, sowie ein ungarisches Referat kamen. Dieses letztere diente allerdings nur mehr informativen Zwecken und hatte also mit den sogenannten „f r e m d n a t i o-nalen“ Abteilungen, die vordem der Staatskanzlei eingebaut, aber, nun restlos verschwunden waren, nichts mehr gemein.

Diese „Einbauten“ waren eine sehr merkwürdige Sache. Sie gingen auf die spanische Erbschaft der Habsburger, ako auf den Beginn des 18. Jahrhunderts zurück und teilten sich entsprechend der räumlichen Trennung dieser weitläufigen Erbmasse ebenfalls in zwei Ratskollegien oder Ämter, ein spanisch-italienisches und ein niederländisches. Die spanischitalienische Behörde war der „Consejo de Espana“, der „Spanische Rat“, den sich Erzherzog Karl als König Karl III. von Spanien noch in Barcelona eingerichtet und 1712, bei seiner Ubersiedlung nach Wien,hieher verpflanzt hatte. Über den Umfang dieser spanisch-italienischen Einwanderung, die sich damals im Gefolge des Kaisers, oder besser Königs, nach Österreich, besonders nach Wien, ergoß, macht man sich heute kaum mehr eine richtige Vorstellung. Diese Einwanderungswelle ist merkwürdigerweise im Lauf von wenigen Jahrzehnten so gut wie restlos, nicht nur aus dem Gesicht, sondern auch aus dem Gedächtnis der Stadt verschwunden. Und doch waren es mehr als 20.000 Personen, die damals ihrem .König von der Pyrenäenhalbinsel nach dem Donaustrand folgten. Nur der „Rosenkavalier“ von Richard Strauß erinnert noch an jene Tage, denn auch der „Marquese Rofrano“ ist damals nach Wien gekommen und hat sich in der Josefstadt jenes entzückende Palais gebaut, das wir heute als „Palais Auersperg“ bewundern. Die meisten der anderen, so klangvollen Namen sind heute gänzlich verschollen. Wer außer den Archivaren oder Historikern, die sich mit den Akten des „Spanischen Rates“ beschäftigen, weiß heute noch etwas von dem dereinst fast dreißig Jahre in Wien und bei Hofe allmächtigen Don Ramon de Vilana Perlas Marques de Rialp, dem Präsidenten des „Spanischen Rates“ und des Spanischen Staatssekretariats? Wer kennt noch alle die S o r i a, C a n o, P e d r o s a, Erendazu, Vermeda, Villasor, Ucada und wie sie alle hießen? Nur zwei spanisch-portugiesische Geschlechter haben sich, dank ihrer raschen Einheirat in österreichische Familien, bis heute erhalten: die spanischen Hoyos, die aber bereits 1520 mit Karl V. nach Österreich gekommen sind, und die ursprünglich aus Portugal stammenden Sylva-Tarouca.

Der Marques de Rialp hat den Consejo de Espaila, der sich nach dem Friedensschluß von 1714 natürlich nur mehr mit den inItalien angefallenen, vielfach wechselnden und sdiließlich auf das Herzogtum Mailand zusammengeschrumpften spanischen Besitzungen zu befassen hatte, bis zu seinem Tod im Jahre 1737 geleitet. Dann nannte man die Behörde, besser passend, „Consiglio d'Italia“, um sie zwanzig Jahre später im Zuge der Kaunitzschen Reformen, als „Dipartimento d'Italia“ vollends der Staatskanzlei, wenn auch nicht räumlich, einzugliedern. Dieses „Dipartimento“ bestand bis . zur Metternichschen Neuorganisierung.

Für die Leitung der Niederländischen Angelegenheiten hatte man in Wien im Jahre 1717 den „Rat aus Flander n“, gewöhnlich genannt „Conseil supreme des Pays-Bas“ errichtet, der auf der Bastei im Gebäude der heutigen „Albertina“ seinen Sitz hatte. Auch dieser „Conseil supreme“ oder „Höchster Rath derer österreichischer Niederlanden“ wurde 1757 durch Kaunitz in ein Departement der Staatskanzlei umgewandelt und räumlich mit dem „Dipartimento d'Italia“ vereinigt. Diese beiden Abteilungen wurden 1764 in dem damals vom Hof käuflich erworbenen Palais Trautson in der Herrengasse, also in der nächsten Nachbarschaft der Staatskanzlei, vereinigt, denn dieses Palais Trautson stand dort, wo sich heute die niederösterreichische Landesregierung befindet, das ist Herrengasse 11—Minoritenplatz 8.

Die Umwälzungen durch die Napoleonischen Kriege bedeuteten für beide Departements, das italienische sowohl als das nieder-ländisdie, das Ende. Aus den italienischen Besitzungen ging ja nun im Wiener Kongreß das „Lombardo-venetianische Königreich“ hervor, das der Hofkanzlei, also dem Ministerium des Inneren, unterstand, die ehemals österreidiischen Niederlande (Belgien) aber wurden mit dem neugeschaffenen „Königreich der Niederlande“ vereinigt und schieden daher aus dem österreichisdien Staatsverband aus. Geblieben aber sind als Denkmal einstiger österreichischer Größe und, darf man mit Fug und Recht hinzufügen, österreichischen Verwaltungstalentes die unendlichen Aktenreihen des Spanischen Rates und des Niederländischen Rates in der Abteilung „Staatskanzlei“ des heutigen „österreichischen Staatsarchivs“.

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