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Metternich und Kolowrat

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DIE ÖSTERREICHISCHE ZENTRALVERWALTUNG. Von Friedrich Walter. II. Abteilung. Von der Vereinigung der österreichischen und böhmischen Hofkanzlei bis zur Einrichtung der Ministerialver-fassung (1749 bis 1848). 1. Band, 2. Halbband, Die Geschichte der österreichischen Zentralverwaltung 1780 bis 1848. teil 2: Die Zeit Franz' II. (I.) und Ferdinands I. (1792 bis 1848). — 5. Band: Die Zeit Franz' II. (I.) und Ferdinands I. (1792 bis 1848). Aktenstücke. Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Oesterreichs 42, 43. Adolf Holzhausens Nfg., Wien. 363 und 64$ Seiten

Das von Fellner-Kretschmayr vor knapp einem halben Jahrhundert begonnene große Werk der Erforschung und Darstellung der Geschichte der österreichischen Zentralverwaltung von der Zeit Maximilians I. an liegt dank der bewundernswerten Energie und selbstlosen Arbeitskraft eines einzigen Mannes heute bereits bis 1848 geschlossen vor. Als Friedrich Walter vor wenig mehr als zwanzig Jahren diese Aufgabe übernahm, war noch nicht einmal die Regierungszeit Maria Theresias bearbeitet. Nunmehr ist bereits die entscheidende Zäsur des Zusammenbruchs des franziszeischen Staates erreicht und selbst der Abschluß des monumentalen Werkes (die fran-zisco-josephinische Epoche bis 1918) kann in absehbarer Zeit erwartet werden. Was das bedeutet, kann nur der wirklich ermessen, der weiß, welche Aktenmassen trotz aller Kriegsverluste im Oesterreichischen Staatsarchiv für diese Periode vorhanden sind. Aus ihnen die für die Entwicklung der staatlichen Verwaltung wesentlichen herauszufinden — noch dazu für eine Zeit, in der ein Reformversuch den anderen ablöste —, erfordert nicht nur einen geradezu unglaublichen Fleiß, sondern auch einen unbeirrbaren Blick für die großen Linien. In welchem Maß Walter zu deren Aufzeigung befähigt und wie sehr er imstande ist. aus einer anscheinend so trockenen Materie gültige Aussagen über die gestaltenden Persönlichkeiten zu schöpfen, beweist seine vorliegende Darstellung der Zeit Franz' II. (I.) und Ferdinands I.

An ihrer Spitze steht eine glänzende und geistreiche Charakterisierung des franziszeischen Staates und des franziszeischen Staatsbegriffes. Durch das enorme Anschwellen der Staatsaufgaben gerade in jener Zeit war es ein unbedingtes Erfordernis, den Verwaltungsapparat so umzugestalten, daß dieser sie auch wirklich bewältigen konnte. Doch führten das Mißtrauen des Kaisers und der daraus erwachsende Wille, alles selbst zu tun oder wenigstens zu überprüfen, einerseits zum Einbau zusätzlicher Sicherungen und Kontrollen, die die Arbeit nur weiter erschwerten. Anderseits aber verhinderten sie eine tirklich großzügige Umgestaltung der Spitze der neren Verwaltung, die nach dem Willen des Kaisers auf Männer wie Erzherzog Carl verzichten mußte. Ein Reformversuch löste den anderen ab. Kabinett, Staatsrat und Konferenz standen jeweils im Zentrum aller derartigen Bestrebungen. Staatsrat und Konferenz wurden organisatorisch miteinander verbunden, dann wieder mit neuen Instruktionen versehen und letztlich zur Handlungsunfähigkeit verurteilt. Dies war um so verhängnisvoller, als die geistige Konstitution des Thronfolgers eine reibungslos funktionierende „Regierungsmaschine“ unbedingt erforderte.

Metternich war sich dieser Notwendigkeit klar bewußt und hat sich in dieser Richtung immer wieder bemüht. Doch wollte ihn, nach Walter, der Kaiser bis an sein Lebensende von der Innenpolitik bewußt fernhalten, und erst das Franz II. in den letzten Lebensstunden abgewonnene politische Testament schien Metternich auch auf diesem Gebiet unbeschränkten Einfluß zu sichern. Aber nun war der Staatskanzler schon zu alt und zu wenig entschlossen, die errungene Chance auch entsprechend zu nützen. Sein Gegenspieler Kolowrat, Metternich an geistigem Format zwar unterlegen, aber ein exzellenter Beherrscher des bürokratischen Apparats und von brennendem Willen zur Macht erfüllt, schaltete sich ein und erzwang deren'Teilung. Die ständigen Reibungen zwischen den beiden maßgebenden Männern, die ihnen gemeinsame „Tatenscheu“, ihr starres Festhalten am alten System, führten schließlich zu jenem Zustand, den Metternich später selbst als „Regni-stitium“ bezeichnet hat.

Weit günstiger lagen die Verhältnisse in der Staatskanzlei, die allein schon durch die Eigenart der ihr anvertrauten Geschäfte eine Sonderstellung innehatte, die ihre Leiter im wesentlichen unangefochten erhalten konnten. Bei der Hofkanzlei und der Hofkammer dagegen waren Reformversuche wieder viel notwendiger und häufiger, doch konnten sich dort zumindest zeitweise immer wieder fähige Männer durchsetzen. Die historische Kontinuität der Obersten Justizstelle wurde, getreu dem Wahlspruch des Kaisers — „Justitia regnorum fundamentum“ — nur einmal kurzfristig unterbrochen, und völlig ungestört blieb die 1793 eingerichtete Polizeihofstelle.

Erschütternd ist die Darstellung des Kampfes, den Erzherzog Carl um die Gestaltung des Hofkriegsrates führte. Nur in der höchsten Not, nach dem Eintreffen seiner düstersten Prognosen, wird ihm dieser 1805 anvertraut. Er reformiert ihn und die

Armee, doch zu früh und noch gegen seinen Willen wird 1809 die abermalige Bewährung gefordert . ... Dann erklärt der Kaiser dem Erzherzog, es sei trotz besten Willens eben doch unmöglich, „allenthalben das Mögliche zu leisten“, worauf ihm Carl das Kommando der Armee „zu Füßen“ legt. Der Kaiser nimmt den Rücktritt an und gibt dem Hofkriegsrat wieder jene Verfassung, die dieser zur Zeit des Grafen Lacy gehabt hatte. So wurde denn nicht regiert, sondern „administriert“, bis die Revolution den ganzen Staat erschütterte und neue Wege beschritten werden mußten.

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Es ist Walters großes Verdienst, alle jene Bestrebungen, die schon vor diesem Zeitpunkt Reformen der Staatsverwaltung zum Ziele hatten, gerecht zu würdigen. Die Kräfte, die die Ausführung solcher Absichten verhinderten, werden von Walter zwar nicht geschont, aber auch nicht mit gehässiger Verzerrung dargestellt, zu der sich andere Historikei bei der Schilderung dieser Zeit hinreißen ließen. So ist Walters eingehende, mit sorgfältigst ausgewählten und edierten Dokumenten ausgestattete Geschichte der österreichischen Zentralverwaltung unter Franz II. und Ferdinand I. auch ein ganz hervorragender und wesentlicher Beitrag zur Erforschung der Geschichte Oesterreichs in einer entscheidenden Epoche geworden.

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