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Michael Kärolyi — der rote Graf

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Anläßlich des Rajk-Prozesses ging durch die ganze Weltpresse die Meldung, daß Michael Kärolyi, der „rote Graf“ und bis vor kurzem Pariser Botschafter der jetzigen kommunistischen Machthaber Ungarns, seiner Regierung ein Protesttelegramm gegen die Verurteilung der inzwischen hingerichteten Rajk und Genossen gesandt habe. Er qualifizierte das gerichtliche Verfahren als einen Justizmord“ und verwahrte sich dagegen. Wie man weiß, hat Kärolyi seine diplomatische Betrauung schon kurz vor dem Prozeß niedergelegt. Er sei zu alt, meinte er, versicherte aber im selben Atemzug die Budapester “Jjkpksregierung seines Vertrauens und semer Ergebenheit. Räkosi honorierte diese Anhänglichkeit mit einem Nationalgeschenk von zwei Millionen Forint.

Karolyis Name gehört zu einer phantastischen Laufbahn und einer interessanten Persönlichkeit. Als Abkömmling einer der ältesten, reichsten, mächtigsten Familien der ungarischen Hocharistokratie trat Kärolyi vor dem ersten Weltkrieg in die Schranken der Politik. Bis zum Zusammenbruch der Doppelmonarchie und auch nachher stand er an der Spitze der linksradikal-bürgerlichen Bewegung. Dann wurde er Sozialist und schließlich: Kommunist.

Einer seiner Ahnen war zu Beginn des 18. Jahrhunderts ein führender Mann im Freiheitskampfe Franz Riköczis des Zweiten. (Absetzung der Habsburger in Ungarn auf dem Reichstag zu Onöd 1707.) Als solcher streckte jener Kärolyi vor den Heeren Josephs I. die Waffen und ließ den siebenbürgischen Fürsten im Stich. Dieses Betragen ist von der ungarischen Geschichtsschreibung und von der öffentlichen Meinung als Verrat empfunden worden. Von dieser Anklage war die Familie Kärolyi stets beschattet.

Im Jahre 1848 standen die Karolyis , wiederum mit an der Spitze der von Kossuth entfachten Unabhängigkeitsbewegung. Sie stellten zur Stärkung des nationalen Widerstandes und der jungen Honvedarmee auf eigene, Kosten ein

ganzes HÜsarenregiment auf und rüsteten es aus. Als der Aufstand zur Katastrophe führte, emigrierten die führenden Glieder der Familie. Sie blieben • auch nach dem Ausgleich des Jahres 1867, der ihnen Amnestie und Rückkehrmöglichkeit

sicherte, in Opposition zu der Dynastie. Die gemäßigter Gesinnten unter ihnen wurden Diplomaten, Botschafter, die anderen verharrten in ihrer Rebellentradition. Kein k. u. k. österreichischer Offizier hätte seinen Fuß auf eines der riesigen Güter oder Schlösser der Großmutter Michael Karolyis gesetzt. Um einen versöhnlichen Akt zu setzen, wollte Franz Joseph einen Alexander Karolyi durch die Verleihung des Gol-

denen Vließes aus der Sphäre des Unfriedens und Hasses herausführen. Dieser Orden wurde sonst fast ausschließlich nur an Mitglieder regierender Häuser verliehen. Der Graf verschmähte es, die Friedenshand zu ergreifen. Solange Kos-suth lebe, ließ er sagen, bleibe er dem Hause Habsburg feind ...

Dieser trotzige Aristokrat war in Ungarn ein Bahnbrecher des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens, der sozialen Hebung der Bauernschaft. Er selbst

war durch und durch konservativ, las aber auch kommunistisch orientierte französische, deutsche, russische und englische Werke und wollte schon damals von einem kommenden Zusammenbruch der bürgerlichen Lebensordnung im Gefolge einer allgemeinen Weltkatastrophe wissen.

Graf Michael Karolyi, ein Neffe Alexanders, hatte aus dem väterlichen Fideikommiß an die 50.000 Joch geeerbt. Der Grundbesitz bestand aus 26.000 Joch Wald und 26.000 Joch landwirtschaftlicher Nutzungsfläche. Dazu gehörte das wunderschöne Bad Parad, eine kleinere Glasfabrik, die herrlichen Quellen von Csevicze, die Weingärten von Gyönör-debrö... Alles, solange es Kdrolyi-Besitz war, befand sich im Zustand denkbar größter Vernachlässigung. Michael Karolyi war Präsident der Reichsvereinigung ungarischer Landwirte, dieser mächtigen Interessenvertretung der Agrarier. Um die eigene Wirtschaft kümmerte er sich nicht. Von früher Jugend bis ins reife Mannesalter kümmerte er sich überhaupt um nichts. Er lebte nur für Pferde, Karten, Jagd, Frauen und seine weltumspannenden Reisen. Er lebte das Leben eines Grandseigneurs wie — mit wenigen Ausnahmen — die ihm gleichaltrigen Männer seines Standes in Ungarn. Aber er übertraf alle an Leichtsinn, Verschwendungssucht, an Gewissenlosigkeit in der Verschleuderung seines Vermögens. Zehn-, zwölftausend Joch gingen bei dieser Lebensweise .drauf.

Als Karolyi Student war beziehungsweise seine Gymnasialstudium beendigt hatte, also im Alter von etwa 18 bis 20 Jahren, betrug sein monatliches Taschengeld 2000 Gulden. Dies war in der guten alten Friendszeit eine sehr ansehnliche Summe. Zusätzlich erhielt er Mittel, sich zwölf Reitpferde und einen Rennstall zu halten. Es stellte sich aber heraus, daß auch dies zur Befriedigung seiner kostspieligen Passionen nicht genügte. Er geriet so tief in Schulden, daß er während eines Jahrzehnts dreimal unter Kuratel gestellt werden mußte.

Ihn durfte man mit Wirtschaftssorgen nicht langweilen. Wenn er monatelang im Ausland weilte, als Gast irgendeines Maharadschas in Indien Tiger jagte, oder in San Franzisko mit amerikanischen Millionären Polo spielte, durfte ihm nicht einmal die Briefpost nachgeschickt werden. Seine Gutsverwalter standen ratlos im Drum und Dran der unangenehmsten finanziellen Transaktionen. Manchmal konnte man am Monatsersten das Gesinde nicht entlohnen. So hatte in solch unhaltbarer Lage einer seiner Verwalter öfter versucht, in* Karolyis Budapester Palais vorzustoßen und seine Klagen vorzubringen. Der Diener wies ihn jedesmal mit dem Bemerken ab, der Graf sei nicht in Budapest. Dabei wußte jedes Kind, daß er zu Hause war. Kurz entschlossen stieß der Mann den Diener beiseite und trat in das Wohngemach. Karolyi saß eben beim Frühstück. Als er den alten Altorjay, einen alten, treuen Angestellten des Hauses, erblickte, sprang er, so wie er war, durch das Fenster in den Garten. Er flüchtete vor dem ungebetenen Gast. Der hätte ihn bloß gelangweilt mit Erzählungen von dumpfigem Getreide in schlechten Speichern, Wildschäden, entlaufenem Gesinde, unbezahlten Rechnungen und dergleichen mehr.

Was war aber nun die Triebfeder seines politischen Ehrgeizes, seiner Füh-

rungsansprüche? Nicht das soziale Gewissen, nicht jene Unruhe, die große Neuerer, Apostel der Revolution über die Ungerechtigkeit, oder die ungleiche Verteilung der Güter in dieser Welt empfinden. Ihn trieben die Kräfte der persönlichen Rachsucht vor allem gegen Ministerpräsident Stephan Tisza und die brennende Wut von Minderwertigkeitsgefühlen.

Karolyi hatte von Geburt aus einen Sprachfehler. Eine Gaumenoperation er-

löste ihn im zwölften Lebensjahr von der Stummheit, zu der er bis dahin verurteilt gewesen war. Aber auch späterhin war für ihn, aber auch für seine Zuhörer, der Gebrauch des lebenden Wortes eine Pein. Die stockend, ratschend, ja fast röchelnd hervorgebrachten, fürchterlich gewundenen Sätze, die er unter größter physischer und geistiger Anstrengung hervorstieß, erregten bei den Zuhörern Mitleid. Dieses Empfinden wurde durch seine vornehm-aristokratische Erscheinung noch gesteigert. Der durch sein sprachliches Unvermö-

gen verursachte Minderwertigkeitskomplex, sein Ehrgeiz, „es ihnen erst recht zu zeigen“, führte zu jenem berühmt gewordenen Duell mit dem Ministerpräsidenten Stephan Tisza, das für Karolyi tief beschämend ausging. Tisza war nicht nur ein berühmter Reiter, sondern auch ein hervorragender Fechter, ein Meister der Klinge. Die Sekundanten erzählten später, wie Tisza, die Verkörperung männlicher Ruhe und Überlegenheit, mit dem nervös-aufgeregten Gegner gespielt habe, den er eine geschlagene halbe Stunde lang durch wohlgezielte Hiebe mit der flachen Klinge reizte und demütigte. Wie man ein unartiges Kind „durchhaut“, so sprang er mit Karolyi um, bis dieser voll blauer Flecken war. Mit flachen Hieben trieb ihn Tisza zweimal so in die Enge, daß er zu Fall kam.

Von nun an wurde bei Klrolyi die Rache um jeden Preis Triebfeder und Ziel seines politischen Kampfes.

Aber so wie die im Duell mit Tisza erlittene Niederlage den Grafen nicht ernüchterte, so brachte ihn auch jene zweite große Demütigung nicht zur besseren Einsicht, die er als erster republikanischer Staatspräsident Ungarns nach dem ersten Weltkrieg von dem Oberbefehlshaber der Ententestreitkräfte auf dem Balkan, Marschall Franchet d'Espe-rey, einsteckten mußte. Zur Übernahme der Waffenstillstandsbedingungen erschien Karolyi und Genossen in Belgrad vor dem Marschall. Als dieser Karolyi an der Spitze seiner aus kommunistischen

Terroristen und von der Straße zusammengelesenen Leuten bestehenden „Gesandtschaft“ zu Gesicht bekam, verschlug es dem alten Soldaten den Atem. Er traute seinen Augen nichtl

„Unter die Lampe treten!“ befahl er, um sie besser mustern zu können. Nachdem er in gutem Licht diese neuen Regierungsmänner betrachtet hatte, wandte er sich an Karolyi: „Vous etes tombee si bas!“ („So tief sind Sie gefallen!“) sagte er voll Verachtung, teilte ihm die Waffenstillstandsbedingungen mit und wies ihm ostentativ die Tür.

Aus Belgrad zurückgekehrt, versuchte er sich in Budapest als Held der Nation aufzuspielen, der seinem Volk die Freiheit und Unabhängigkeit gebracht habe.

Er benahm sich seinem Lande gegenüber, dessen Schicksal er leichtfertig in die Hand genommen hatte, nicht gewissenhafter als vorher in seiner eigenen Wirtschaft. Als schließlich seine Führerschaft völligen Bankrott erlitt, als äußere Feinde das schutzlos gemachte Land zerrissen und ihm das Dach über dem Kopf in Brand steckten, das die inneren Zerstörer in den Abgrund der sozialen und wirtschaftlichen Anarchie gestoßen hatten, da warf er die Flinte ins Korn und sprang — wie einstmals vor der Rechnungslegung seines Gutsverwalters — aus dem Fenster des brennenden Hauses und überließ die Zügel der Clique Bela Kun und Genossen ...

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