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Mission mit Chirurgenmesser

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Mutter Dr. Anna Dengei, die Gründerin der Genossenschaft der Missionsärztlichen Schwestern, weilte auf Einladung der katholischen Ärzte im Oktober in Österreich. Sie hielt in den einzelnen Bundesländern Vorträge über die ärztliche Tätigkeit in der Weltmission, ln ihrer gewinnenden Schlichtheit und großen Bescheidenheit erwähnte sie aber mit keinem Wort ihre eigenen bedeutenden Taten. Sie leistete Pionierarbeit auf dem Gebiet der ärztlichen Weltmission. Darum bezeichnete sie Bischof Fulton J. Sheen anläßlich einer Feier ihrer Genossenschaft als „one of the truly great woman of the world” und stellte fest: „Mother Dengei has done more for the missions than any woman alive.”

Spital der Heiligen Familie

Als Älteste von neun Kindern Wurde Mutter Dr. Dengei 1892 in Steeg im Lechtal, Tirol, geboren. Schon in frühester Kindheit erwachte in ihr das Interesse für die Mission, und sie hatte den Wunsch, dort einmal wirken zu dürfen. Als sie als junges Mädchen erfuhr, daß die Frauen Indiens bei Erkrankungen ohne ärztliche Hilfe sind, weil sie sich einem fremden Manne nicht zeigen dürfen, und daß sie dadurch unermeßlichen Leiden ausgesetzt sind, entschloß sie sich, Ärztin zu werden. Sie besuchte die Volks- und Mittelschule in Hall in Tirol und in Innsbruck, maturierte jedoch und studierte Medizin in Cork, Irland, weil für eine ärztliche Tätigkeit in Indien das Doktorat einer englischen Universität am günstigsten war. Nach einer praktischen Ausbildung in London übernahm sie 1920 ein kleines Spital für Frauen und Kinder in Rawalpindi, das damals noch zu Indien gehörte. Sie erkannte, daß für die katholische missionsärztliche Tätigkeit ein ungeheures Arbeitsfeld vorhanden war und daß zur Bewältigung dieser großen Aufgaben gut ausgebildete Kräfte und eine großzügig organisierte Hilfe nötig wären. Zu dieser Zeit hatte sich Österreich von den Schäden des ersten Weltkrieges noch nicht erholt, und darum reiste Dr. Dengei in die Vereinigten Staaten, um dort die Katholiken auf die große Notlage der Frauen Indiens aufmerksam zu machen und Hilfe zu erhalten. Sie fand volles Verständnis und vor allem die tatkräftige Unterstützung von seiten der Hierarchie. Eine Ärztin und zwei Krankenschwestern, die von gleichen Idealen erfüllt waren, schlossen sich ihr an. Da es seit dem 12. Jahrhundert Klosterschwestern verboten war, Medizin zu studieren und eine ärztliche Praxis auszuüben, bildeten diese vier jungen, für die Mission begeisterten Frauen im Jahre 1925 eine pia socictas.

Als Namen wählte Dr. Dengei Society of Catholic Medical Missionaries, Genossenschaft der Missionsärztlichen Schwestern. Aufgabe dieser Gemeinschaft sollte sein: anzukämpfen gegen Krankheit und Not in den Missionsländern ohne Unterschied von Rasse, Farbe und Religion, die Gründung von Krankenhäusern und durch diese Tätigkeiten das Apostolat auszuüben und die Heiligung des eigenen Lebens anzustreben.

Die Entwicklung der neuen Gemeinschaft erfolgte ungemein rasch und ist reich an höchst interessanten Begebenheiten. Der knappe Rahmen eines kurzen Berichtes erlaubt aber nicht mehr, als einige Einzelheiten herauszugreifen. /

Pius XI. sagte anläßlich einer Audienz, welche er den Missionsärzt- liehen Schwestern erteilte, wörtlich: „Ihre Gemeinschaft entspringt Meinen Gedanken und Wünschen. In vielen Fällen können die Seelen nur über den Körper erreicht werden.” Die kirchlichen Stellen sahen immer mehr die Notwendigkeit der ärztlichen Mis sion ein und hatten an der Gründung Mutter Dr. Dengels ein Beispiel dafür, daß sich die ärztliche Tätigkeit mit einem intensiven religiösen Leben vereinen läßt. Im Jahre 1936 erschien dann das päpstliche Dekret, welches für Klosterfrauen nicht nur die Erlaubnis enthielt, Medizin zu studieren und als Ärztinnen und Hebammen tätig sein zu dürfen, sondern darüber hinaus die Aufforderung, daß sich Kongregationen diesen Arbeitsgebieten zuwenden mögen. Als Folge davon wurde den Schwestern die bischöfliche Bestätigung als Kongregation erteilt und 1959 des Decretum laudis vom Papst. Damit hat Mutter Doktor Dengei das Verdienst, die erste Kongregation gegründet zu haben, die sich ganz dem missionsärztlichen Apostolat weiht.

1926 kam die erste Ärztin der Gemeinschaft nach Indien. Sie wurde mit dem Bau eines großen Krankenhauses beauftragt. Trotz größter Schwierigkeiten konnte sie diese Aufgabe lösen. Es war das erste Krankenhaus, welches die Schwestern selbst errichteten, und erhielt den Namen „Holy Family Hospital”. Bald zeigte sich, daß dieser Name sehr zutreffend war, und so nannten die Schwestern in der Folge jedes ihrer Spitäler ebenso.

Das heilige Experiment der Tirolerin

Kaum hatte Mutter Pr. Dengei mit ihren Schwestern in Indien Fuß gefaßt, begann sich ihr Wirkungskreis beträchtlich zu vergrößern. Es kamen Berufungen nach Daca, Patna, Mandar, New Delhi, Poona, Bombay und so weiter. Um den Weg von den USA» nach Indien abzukürzen, gründete Mutter Dr. Dengei 1931 ein Studienhaus in Osterley in England und 1939 eines in Holland. Während des Weltkrieges war es nicht möglich, Arbeitsgebiete in Asien und Afrika zu übernehmen, deshalb gingen die Schwestern in die Südstaaten der USA und nach Südamerika, wo sie Spitäler für Farbige betreuen.

Je größer die Genossenschaft der Missionsärztlichen Schwestern und je bekannter sie wird, um so mehr Ansuchen erhält Mutter Dr. Dengei, neue Stationen zu übernehmen. Die Anzahl der Hilferufe aus den Missionsländern ist aber so groß, daß nur einem kleinen Teil davon Folge geleistet werden kann. Darum ist es der dringende Wunsch von Mutter Dr. Dengei, daß sich Frauen und Mädchen finden mögen, die sich berufen fühlen, in der Mission den Ärmsten und den am meisten von Krankheiten heimgesuchten Mitmenschen zu dienen.

Die Genossenschaft zählt derzeit mehr als 700 Mitglieder. Die Schwestern haben 47 Niederlassungen in 18 Ländern. Sie haben Häuser in den Vereinigten Staaten, in Venezuela und Brasilien; in England, Holland, Deutschland und Italien. Die meisten Niederlassungen haben sie in Indien und Pakistan, sind aber auch in Burma, Indonesien, Jordanien, auf den Philippinen und in Vietnam; in Afrika in Ghana, im Kongo, im Njassaland und in der Südafrikanischen Union. Sie führen in den Missionsländern ein Lepraheim und 29 Krankenhäuser, von welchen 22 ihr Eigentum sind. Jedem dieser Spitäler sind große Ambulanzen angeschlossen und jedem größere Schulen zur Heranbildung von einheimischen Krankenschwestern, Hebammen und Krankenpflegern. Die großen Aufgaben, die sich da ergeben, können die Schwestern nur erfüllen, weil sie überall gute Mitarbeiter und Angestellte haben.

Die Arbeit, die da in aller Stille zum Wohle der Menschheit geleistet wird, ist ungemein groß. Im Jahr« 1960 führten die Schwestern in ihrer Krankenhäusern 23.034 Operationer aus und leiteten 15.318 Geburten. Sie hatten 93.140 Kranke zur stationärer Behandlung aufgenommen und ungefähr 500.000 ambulant behandelt Mehr als 400 Einheimische besuchter ihre Schulen.

Die Missionsspitäler haben immei zu den besten gezählt. Sie dienen »oi allem den Armen und Ärmsten irr Lande; daher erfolgt die Behandlung unentgeltlich. Die Errichtung und Erhaltung der Krankenhäuser, Ambulanzen und Schulen erfordert ungeheure Geldmittel, und das um s mehr, als die Schwestern bestrebt sind ihre Anstalten immer den Erfordernissen der modernen Medizin anzupassen. Während die Krankenhäuser die in staatlicher Verwaltung stehen im Rahmen der Entwicklungshelfer von der Weltgesundheitsorganisatior oder von verschiedenen Fonds, wie Rockefeller, Ford u. a. unterstiitzi werden, sind die Betreuer der Missionsspitäler gezwungen, die finan ziellen Mittel selbst aufzutreiben. Da; kostet große Bemühungen, und es erscheint, wie Mutter Dr. Dengei er klärt, oft wie ein Wunder, wenn zun gegebenen Zeitpunkt das nötige Gel« vorhanden ist. So sind die Schwesteri auf die tatkräftige Hilfe der Katholiken angewiesen. Eine Verbindung zi diesen verständnisvollen Helfern stell die Zeitschrift „Medical Missionary’ her, welche die Schwestern alle zwe Monate herausgeben. Sie ist in englischer Sprache geschrieben und enthält sehr interessante Artikel übei das Gesundheitswesen, die sozialer Verhältnisse und die Kultur in den Lande, in welchem die Schwesterr arbeiten. Ausgezeichnete Bilder ergänzen die Berichte.

Die Missionsärztlichen Schwesterr haben das Mutterhaus in Philadelphia das Generalat in Rom. Sie haben fün: Studienhäuser und acht Noviziate von welchen vier in Missionsländerr sind; in Indien ist ein Noviziat füi Schwestern, die im lateinischen Ritu: und eines für Schwestern, welch« dem syrisch-malabrischen Ritus angehören. Aufnahme finden Ärztinnen Pharmazeutinnen, Laborantinnen, Hebammen, Krankenschwestern, Sekretärinnen, Haushälterinnen, somit Angehörige aller Berufe, die man in Sanitätsdienst und zur Führung vor Krankenhäusern benötigt. Es könnet aber auch junge Mädchen eintreten die für einen dieser Berufe Eignung haben. Diese erhalten dann nach derr Noviziat die entsprechende Ausbildung. Ein Teil der jungen Schwesterr befindet sich immer im Studium. Daher war in der Genossenschaft di« erste Schwester, die als Mitglied eine; religiösen Gemeinschaft Medizin studiert und das Doktordiplom erhaltet hatte.

Keine Rassenschranken

Die Missionsärztlichen Schwesterr helfen Elend und Not auf der Weh lindern. Im kranken Menschen, gleich welcher Farbe, welcher Religion, welcher Nation, sehen sie den leidenden Christus, der nach ihrer tatkräftigen Liebe und ihrem mitleidigen Erbarmen ruft. Sie kennen keine Rassenprobleme, keine Rassenschranken und keine weltanschaulichen Begrenzungen. Damit geben sie ein Beispiel für eine wahre Koexistenz der Nationen und Rassen untereinander und dienen so in unvergleichlicher Weise der Verständigung der Völker und dem Frieden auf der Welt.

Dieses weltweite Werk der Nächstenliebe ist eine Gründung der Österreicherin Mutter Dr. Anna Dengei. Ihrer Initiative und ihrer Tatkraft, ihrem Weitblick und ihrem Glaubensmut ist es ,£u verdanken. Die Großtaten dieser bedeutenden Frau wurden im Ausland mehrfach anerkannt. So erhielt sie unter anderem das Ehrendoktorat der Universität Nymwegen in Holland, und als erster Frau wurde ihr die Ehrenmitgliedschaft der Internationalen Chirurgenvereinigung in Chikago zuteil.- Das heilige Experiment, wie die kirchlichen Stellen anfangs die Bestrebungen Mutter Doktor Dengels bezeichneten, ist über alle Erwartungen hinaus gelungen, und so hat Papst Johannes XXIIL, als Mutter Dr. Dengei ihm unlängst über die Arbeiten ihrer Genossenschaft berichtete, sie mit den herzlichen Worten verabschiedet: „Opera di carita; bene- dizione speciale.”

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