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Mit einem Abenteuer begann es

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Wer in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen in einer der Provinzen des schönen Landes zwischen der Theiß und dem Dnjestr gelebt hat, mag sich vorkommen, wie der Reiter über dem Bodensee, wenn er jetzt die Memoirenwerke der Politiker und Diplomaten liest, die diesen Zeitabschnitt behandeln““. Zwar spürte man von Zeit zu Zeit die Auswirkungen einzelner Krisen wie ein Krachen im Eis auch bis in die entlegensten Gegenden des Landes. Doch machte sich der gewöhnliche Staatsbürger über den Umfang und den Ernst dieser Erschütterungen kaum eine Vorstellung.

Die Geschichte und das Geschick des Landes waren im Positiven — häufiger freilich im Negativen — aufs engste mit seinen Herrschern, mehr noch mit deren Frauen verknüpft, die seit der hochtalentierten und ehrgeizigen Maria von Sachsen-Coburg immer

Joachim von Kürenberg: Carol II. und Madame Lupescu. Athenäum-Verlag, Bonn, 1952. 242 Seiten.

entschiedener in die Entwicklung der Dinge eingriffen. Die Geschichte dieses Herrscherhauses ist wohl eine der abenteuerlichsten. Und mit einem Abenteuer fing sie an.

Bereits die Vereinigung der Fürstentümer Moldau und Walachei wurden mit Hilfe eines Tricks verwirklicht: indem nämlich am gleichen Tag des Jahres 1859 von den beiden Parlamenten Alexander Ion Cuza gewählt wurde. Schon sieben Jahre später zeigte dieser diktatoriale Gelüste und wurde nach einer Militärrevolte gezwungen, abzudanken. Nun verfiel man, um inneren Streitigkeiten auszuweichen und für den jungen Staat einen starken Rückhalt zu schaffen, auf eine salomonische Lösung, indem man beschloß, sich einen Fürsten aus einer angesehenen europäischen Dynastie zu holen. Die Wahl fiel zunächst auf den Bruder des Königs von Belgien und, da dieser ablehnte, schließlich auf Karl von Hohenzollern-Sigmaringen. Die Konjunktur war am Anfang nicht günstig-: der Onkel des Königs, Wilhelm I, fand diese

Berufung unwürdig eines Hohenzollern (Bismarck freilich war anderer Meinung); in der Monarchie hatte man kein Interesse an einer Stärkung Rumäniens; die Türkei trat dem Projekt feindlich gegenüber und die Haltung Rußlands war unklar. Da Karl von Hohenzollern-Sigmaringen als preußischer Offizier nicht riskieren konnte, 1866 durch Oesterreich und Ungarn oder über Rußland zu reisen, mußte sich der neue Souverän gewissermaßen in sein Land einschleichen. Zu Pferd und in einem Schleppkahn kam er über Schloß Benrath und Bonn nach St. Gallen, wo er von dem dortigen Landamtmann einen falschen Paß auf den Namen Karl Hertingen, Kaufmann aus St. Gallen, erhielt. Ueber den Arlberg, Salzburg und Wien gelangte er bis Budapest, immer in Gefahr, entdeckt zu werden. Von hier wählte er den schnelleren, aber gefährlicheren Weg auf der Donau. Ein ungarischer Raddampfer brachte ihn von Bazias bis Turn-Severin. Die Flaggengala am Ufer machte den Kapitän mißtrauisch, und er weigerte sich, die Landungsbrücke niederzulassen. Mit einem kühnen Sprung setzte Karl ans Land. Hier stand, seinen Zylinderhut lüftend, Ion Bratianu, der erste Ministerpräsident, vor ihm, und begrüßte seinen neuen Fürsten.

Was das von Armut, Hunger und Epidemien heimgesuchte Land brauchte, war die Bekämpfung von Korruption und Willkür sowie eine neue Ordnung. Diese gab Karl seinem Land durch unermüdliche soziale Fürsorge und durch eine fortschrittliche Verfassung nach dem Vorbild der belgischen. Die erste Krise brach 1870 aus, als nach einer Revolte in PloeSti die angeklagten Aufrührer freigesprochen und am Tage der deutschen Kaiserproklamation in Versailles die Fensterscheiben im Bukarester Palais eingeworfen wurden — ohne daß die Polizei eingriff (ein Vorgang, der sich in der rumänischen Geschichte noch mehrmals wiederholen sollte). Hierauf reichte Karl seine Demission ein — gleichfalls ein sich mehrmals wiederholender Akt in der Geschichte dieser Dynastie.

Von allem Anfang an stand das Land und seine Außenpolitik im Spannungsfeld der europäischen Machtpolitik zwischen Ost und West. Die Sympathien Karls neigten, woraus er nie ein Hehl machte, der alten Heimat zu. Staatsmännische Ueberlegungen und die Pflicht seinem Land gegenüber, dem er sich angelobt hatte, zwangen ihn, sich mit Rußland zu verständigen, an dessen Seite er 1877 gegen die Türken antrat und vor Plevna seinem Lande die Souveränität erkämpfte. Bald erforderte das Interesse des Landes die Westorientierung und ermöglichte ihm eine Schwenkung, die zu dem geheimen Bündnisvertrag mit dem Deutschen Reich und der Doppelmonarchie führte. 1881 konnte sich Karl als Carol I. zum König proklamieren und 1889 wurde — da die Ehe mit Elisabeth, Prinzessin von Wied, die unter dem Dichternamen Carmen Sylva bekannt ist, kinderlos blieb •» sein Neffe Ferdinand zum Thronerben erklärt.

In den schwersten Gewissenskonflikt wurde Carol I. bei Ausbruch des ersten Weltkrieges gestürzt. Die Parole der mächtigsten Partei des Landes, der Liberalen, hieß: Anschluß an die Entente. Carol sah seine Rettung in der Bewahrung strikter Neutralität. „Solange ich lebe“, erklärte er dem Grafen Czernin, »wird die rumänische Armee nicht gegen Oesterreich-Ungarn kämpfen.“ Nach dieser Unterredung mußte Czernin freilich dem Ballhausplatz melden: „König Carol ist der einzige, der für uns ist. Aber der alte Mann steht ganz allein.“ Im Kronrat vom 3. August 1914 erklärte der Sprecher der Opposition, Take Jonescu, man sei entschlossen, auch ohne den König in den Krieg an der Seite Frankreichs einzutreten, worauf Carol zum zweitenmal seine Demission anbot. Zwei Monate nach diesem Auftritt war Carol tot, und sein Neffe Ferdinand wurde König von Rumänien.

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