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Moses’ Gesprächspartner

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Es ist verständlich, daß die Israeliten versuchten, der Sklaverei zu entkommen. Nach dem Bericht der Bibel gelang dies dank der Hilfe Gottes unter Moses, der vom „Pharao der Bedrückung“ wiederholt die Freigabe Israels, das heißt, die Zustimmung zur Rückkehr der Israeliten nach Kanaan verlangte. Höchstwahrscheinlich war Ramses II. (1290—1224 v. Chr.) der Gesprächspartner des Moses; der nach 67jähriger Regierung im Alter von 90 Jahren verstorbene bedeutendste Pharao unter den Ramessiden wurde so hervorragend einbalsamiert, daß man seine Gesichtszüge auch heute, nach mehr als 3000 Jahren, noch deutlich erkennen kann (vgl. Bild Nr. 2) Dieser Pharao setzte den von seinem Vater, Sethos I., begonnenen Wiederaufbau der seinerzeit zerstörten Hyksos- Hauptstadt Avaris fort und baute auf dem Schutt eine zweite Stadt, die nun seinen Namen trug: „Das Haus des Ramses“ (in der Bibel „Ramesses“, später Tanis, heute

San-el-Hagar). Auch ägyptische Urkunden berichten, daß ..Apiru“ (Hebräer) dabei als Staatssklaven verwendet wurden: „Sie schleppten Steine herbei für die große Stadt des Ramses.“

Moses war am Hof des Pharao aufgewachsen und hatte neben der Weisheit des gebildetsten Volkes der Antike auch dessen im Gegensatz dazu recht primitive Religion kennengelernt; die Priester der verschiedenen Heiligtümer Altägyptens versuchten ohne Erfolg, die verwirrende Fülle von Göttergestalten in ein System zu bringen. Das religiöse Brauchtum war mit Zauberei vermischt, und ein genau einzuhaltendes Totenritual, das zum Beispiel in den Königsgräbern bei Luxor oft dargestellt ist, sollte ein glückliches Leben im Jenseits verbürgen. Deswegen hatte schon Echnaton (1370 bis 1352) die Vielgötterei abzuschaffen und die Anbetung der Sonnenscheibe als einzige Gottheit durchzusetzen versucht; es hatte ihm aber nichts genützt, daß er, um in diesem

Vorhaben von den Priestern des polytechnischen Zentralheiligtums in Karnak nicht gestört zu werden, seine Hauptstadt nach Tel-el- Amarna in Mittelägypten verlegte. Unter seinem Schwiegersohn und Nachfolger Tut-anch-Amun wurde wieder Theben Hauptstadt und Karnak in seine alten Vorrechte eingesetzt.

Aus einer ganz anderen Welt kommt die Religion des Alten Testamentes, deren einziger höchster Herr sich dem Moses auf dem Sinai mit den Worten offenbart: „Ich bin, der Ich bin!“, das heißt, „Ich bin der Seiende, der immer schon gewesen ist“ (Jahwe). Die antiken Kulturen Mesopotamiens und Ägyptens waren trotz ihrer so hohen weltlichen Zivilisation auf religiösem Gebiet in Vielgötterei, Dämonenkult und Zauberei versunken, während das kulturell bedeutungslose Volk der Israeliten sich zum einen und ewigen Gott und zum Herrn der Zehn Gebote bekannte; diese Gegenüberstellung läßt uns klar den Offenbarungscharakter des Alten Testamentes erkennen: mit bloß menschlicher Weisheit wären weder Moses noch die Israeliten imstande gewesen, die so hochstehende Religion des Alten Bundes zu „erfinden“, sonst hätte das den alten Ägyptern schon viel früher gelingen müssen.

Die Pyramiden von Gizeh sind

Zeugen der außerordentlichen technischen Begabung und zugleich der organisatorischen Fähigkeiten dieser alten Ägypter; allein die Cheopspyramide hat einen Rauminhalt von zweieinhalb Millionen Kubikmeter und ist aus Steinblök- ken von 2X3X1,5 m bis zur Höhe von 146 m auf geschichtet worden; vergleichsweise wurden in Kaprun insgesamt nur etwa eine Million Kubikmeter Beton verbaut. Zur Zeit des Auszuges standen die Pyramiden von Gizeh schon 1300 Jahre. Unter der Führung des Moses zogen Gruppen der Israeliten, wohl mehrere tausend Männer, Frauen und Kinder, durch das Schilfmeer (heute „Kleiner Bittersee“) auf die Sinai-Halbinsel und später vorbei am Gold von Akaba (damals „Ezeon Geber“, heute Eilathl bis zum Berg Nebo (am Toten Meer, etwa 15 km Luftlinie östlich von Jericho).

Diese Auswanderung erfolgte wahrscheinlich unter dem Nachfolger von Ramses II., von dessen 79 Söhnen ausgerechnet der dreizehnte als Pharao Meremptach den Thron Ägyptens bestieg. In einem Siegeslied über die libyschen Stämme erwähnt seine berühmte Israel-Stele um 1220 v. Chr. als erste ägyptische Urkunde ausdrücklich das Volk Israel: „Israel ist verdorben, es hat keinen Samen mehr. Kanaan ist zur Witwe geworden für Ägypten.“ Diese religionsgeschichtlich wertvolle Basaltstele, die sich jetzt im großen ebenerdigen Saal des Museums von Kairo befindet, berichtet vermutlich von einem Teilsieg des Pharao oder eines seiner Satellitenfürsten über die einwandernden Israeliten.

Ebenso wie zur Zeit des ägyptischen Josef wohl nicht alle Stämme der Israeliten aus Kanaan nach Ägypten ausgewandert waren, ebenso dürften nicht alle nach Ägypten ausgewanderten Israeliten unter Moses in das verheißene Land zurückgekehrt sein. Moses stieß auf seinem Zug mit Stadtstaaten zusammen, die es erst im 13. Jahrhundert v. Chr. gegeben hat. Die Gestalt des Moses und das wiederholte Eingreifen Gottes, der wie beim Durchzug durch das Schilfmeer Seiner Heilsgeschichte die Natur dienstbar macht, stehen aber so sehr im Mittelpunkt der gesamten Geschichte Israels, daß ohne die von der Mosesgruppe während der Wüstenwanderung berichteten Ereignisse die weitere Geschichte Israels unverständlich wäre. Auch der Bundesschluß am Sinai paßt in seiner äußeren sprachlichen Formulierung in die Zeit um 1200 v. Chr., da seine Form, sein äußerer Aufbau, einem hethitischen Formular aus dieser Zeit entspricht. Gottes Offenbarung wird in der Bibel ja nicht immer wörtlich, wohl aber dem Sinn nach richtig wiedergegeben; die Inspiration bewirkt die Irrtumslosigkeit, hebt aber die persönliche Eigenart der menschlichen Verfasser, der „Werkzeuge“ Gottes nicht auf; die äußere sprachliche Einkleidung einer Offenbarung ist also ein Hinweis auf die Zeit, in der diese Offenbarung erfolgte. Auch die sprachliche Form, in der uns der Bericht über den Bundesschluß am Sinai überliefert ist, bezeugt also, daß die unter der Führung des historischen Moses ausgewanderte Gruppe das Erlebnis am Sinai hatte. Der Aufenthalt in Ägypten, die Wüstenwanderung, die Ereignisse am Sinai und die schon den Patriarchen verheißene spätere Landn me sind eine Stufenweise Erfüllung des Planes Gottes mit dem auserwählten Volk, das in Ägypten nicht nur am Leben erhalten werden, sondern Kontakt bekommen sollte mit einer hohen Kultur. Während der Wüstenwanderuhg erfuhren sie gemeinsam Gottes Hilfe und wuchsen auch durch die gemeinsam erlittene Not zu einem Volk zusammen, das sich im Verlauf der folgenden Jahrhunderte die seinerzeit vor allem in Sasnaria zurückgebliebenen beziehungsweise schon früher nach Kanaan heimgekehrten Stämme des Nordens wieder einverleibte.

Die Einwanderung in Kanaan um 1200 v. Chr. bezeugen übrigens auch Brandschichten der in den letzten Jahrzehnten ausgegrabenen Orte Debir, Lakisch, Hazor und Bethel: unter der Aschenschichte, die auf eine Zerstörung durch Brand hinweist, fand man Überreste der hochstehenden ägyptischen Zivilisation, über der Brandschiehte entdeckte man hingegen Zeugnisse einer verhältnismäßig primitiven semitischen Kultur. So kann die außerbiblische Forschung Steinchen um Steinchen zu einem immer deutlicher und vollständiger erkennbaren Mosaikbild des Volkes Israel zusammenfügen: die biblische Tradition läßt sich nicht in Frage stellen. Es wäre übrigens ziemlich unwahrscheinlich, daß Israel eine so beschämende Vergangenheit wie die Sklaverei in Ägypten erfunden haben sollte. Gewiß bringt die Bibel in erster Linie Heilsgeschichten, die immer klarer den kommenden Messias verkündet, an dessen Geburt wir uns zu Weihnachten erinnern; die Bibel interpretiert zwar die Geschichte unter emem bestimmten Aspekt, es ist aber nichts erfunden. Das Alte Testament ist eine geschichtliche Religion, und kein Mythus. Gott offenbarte sich in geschichtlichen Persönlichkeiten, wie zum Beispiel dem Moses, und dem Bericht der Bibel liegen reale geschichtliche Ereignisse zugrunde, auf deren Spuren wir bei einer Reise durch Ägypten und Palästina stoßen können, wenn wir die Ausgrabungen, die Tempelinschriften und die vor allem als Grabbeigaben mitgegebenen Texte beachten.

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