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Nadi Schönbrunn gehen…

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Es mag sein, daß diejenigen, denen die besondere persönliche Bindung an den weiträumigen Park von Schönbrunn und an das gelbe Schloß mit den grünen Fensterläden fehlt, die Atmosphäre dieses wienerischesten aller Prunkbauten weniger stark spüren und daß ihnen der reale Vergleich der kunstvoll angelegten Alleen, der weißen Standbilder und der strengen Fassaden mit anderen Schlössern und anderen Ländern leichter fällt. Eines aber ist sicher: daß der Begriff des alten Kaiserschlosses mit dem der Menagerie, von bunten Kinderträumen umwoben und stets ein Symbol für geheimnisvolle Fernen, untrennbar verbunden ist. Das „Nach-Schön- brunn-Gehen” ist vielleicht für die Heutigen zu einer räumlich leichter zu bewältigenden kleinen Exkursion geworden, wo es früher aufregende Angelegenheit eines Halbtagsausfluges war, der bereits weit aus der Stadtmitte hinaus und hart an die Peripherie der Hauptstadt führte. Aber der zauberhafte Klang des Namens ist geblieben, wie auch der Glanz blieb, der heute noch auf Wegen und Rabatten liegt, wenn die Nachmittagssonne sie übergoldet. Und so wie wir einst, obgleich damals die ehrfurchtgebietende Nähe der kaiserlichen Residenz noch schwer wog und im Hietzinger „Kaiserstöckl” noch der Außenminister Österreich-Ungarns ‘ seinen Amtssitz hatte, alles vergaßen und uns nur dem märchenhaften Erlebnis der hier versammelten abenteuerlichen Tierwelt hingaben, so ist auch den Kindern, die wir heute selbst auf die hohen, schwarzen Gitterpforten der Menagerie zuführen, alles, was rechts oder links dieses Weges liegt, höchst gleichgültig, wenn heisere Vogelschreie oder gar dumpfes Brüllen das so erstrebenswerte Ziel dieser Fahrt zu den Merkwürdigkeiten bereits ahnen läßt.

Die eigentliche Anlage der Schönbrunner Menagerie geht auf das Jahr 1752 zurück, und das große Interesse, das ihr Gründer Franz I., der Gatte Maria Theresias, ihr zuwandte, ist verständlich, wenn man weiß, daß das Sammeln von Naturalien zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gehörte. Es ist heute ein wenig in Vergessenheit geraten, daß er es war, der eine der ersten österreichischen wissenschaftlichen Expeditionen finanzierte, die unter der Leitung des später so berühmt gewordenen Botanikers Nikolaus J a c q u i n stand und Westindien durchforschte. Im Jahre 1756 kam der Hofgärtner Richard van der Schot, der ebenfalls an dieser Expedition teilnahm, mit einer reichhaltigen Pflanzensendung nach Schönbrunn zurück, wo indessen im Westen der Menagerie der sogenannte „Holländische Garten”, den wir heute als „Botanischen Garten ’ kennen, angelegt worden war. Die Tradition naturwissenschaftlicher Entdeckungsreisen wurde auch unter Joseph II. fortgesetzt, der einen Professor Marter mit der Leitung einer Expedition nach Amerika betraute, die 1785 nach Wien zurückkam. Einer der Teilnehmer an dieser Reise, der Hofgärtner Boos, wurde gleich darauf mit der Leitung eines neuen Unternehmens betraut, das in erster Linie neue Insassen für die Menagerie liefern sollte. Der jetzige Direktor des Schönbrunner Tiergartens, Dr. Julius Brachetka, der hier eine alte und verpflichtende Tradition fortzusetzen hat, freilich im Sommer 1945 ein trauriges Erbe antreten mußte, berichtet über den Auftrag, den Boos für seine Afrikaexpedition mitbekommen hatte, in seinem neuen Buch über die Schönbrunner Menagerie : „… wird sich Herr Boos bemühen, auch seltene und merkwürdige vierfüßige Tiere zu erwerben, jedoch die reißenden Tiere ausgenommen, als Löwen, Tiger und dergleichen. Es wird gut sein, womöglich von jeder Gattung mehrere beiderlei Geschlechts zu bekommen.”

Selbst als unter Kaiser -Franz II. Österreich bereits in die Wirrnisse der napoleonischen Kriege verwickelt war, stellte der Kaiser immer noch beträchtliche Summen aus seinen Privatfinanzen zur Verfügung, um die Menagerie in Schönbrunn zu bereichern. Als später eine österreichische Erzherzogin, Leopoldine, als Gattin Don Pedros Kaiserin von Brasilien wurde, brachte eine in den Jahren 1818 bis 1821 unternommene Forschungsreise nach Südamerika ebenfalls wieder eine reiche Ausbeute an Tieren und Pflanzen mit.

Daß Franz Joseph I. Schönbrunn ganz besonders liebte, ist bekannt, weniger bekannt hingegen ist, daß seine Spaziergänge sich nicht auf den unmittelbar an das Schloß anschließenden „Kammergarten beschränkten, sondern fast täglich auch bis in die Menagerie führten, wo er meist zwischen 6 und %7 Uhr früh erschien und sein Kommen durch drei Glockensignale vom Schloß her angezeigt wurde. Erzherzoge wurden durch zwei solcher Signale avisiert. Wie Brachetka berichtet, war es für die Begleiter des Kaisers stets ein besonderes Problem, bei diesen Spaziergängen ungebetene Bittsteller von ihm fernzuhalten, da er peinlichst darauf bedacht war, seine auf Minuten berechnete Tageseinteilung einzuhalten, und diese durch längere Gespräche leicht gestört werden konnte. So geriet er einst beim sogenannten Tiroler Haus, das Erzherzog Johann im Stile eines Tiroler Bauernhauses errichtet hatte, in eine angeregte Unterhaltung .mit einem alten Mann, der ihm mit größter Ausführlichkeit von seinen fünf Kindern und deren Berufstätigkeit erzählte. Der den Kaiser begleitende TiAgartenaufseher wurde kurz darauf zum Obersthofmeister befohlen und erhielt einen strengen Verweis, daß er dieses Gespräch, das sämtliche Termine des Vormittags gestört hatte, nicht verhindert hätte. Erst die Fürsprache der Erzherzogin Valerie konnte den armen Aufseher vor weiteren Folgen bewahren. Als aber der Kaiser das nächstemal mit ihm durch den Tiergarten ging und beim Tiroler Garten anlangte, sagte er lächelnd: „Gehen wir weiter, damit wir nicht wieder einen Anstand haben.”

Man erfährt erst aus dem Buche Brachetkäs, daß auch Alfred Eduard Brehm, der Ver„ fasset des später so berühmt gewordenen ersten populären Tierbuches, in der Geschichte der Menagerie eine gewisse Rolle spielt. Im Jahre 1879 schied nämlich der bisherige Tiergartenverwalter, Inspektor Schön, aus dem Dienst, und bei der Frage nach seinem Nachfolger verfiel man auch auf Brehm, der von Beruf eigentlich Architekt war, ausgedehnte Reisen in Afrika unternommen hatte und eine Zeitlang auch Direktor des Zoologischen Gartens in Hamburg gewesen war. Daß man ihn, der geborener Thüringer war, in Betracht zog, ist wohl darauf rurückzuführen, daß Brehm im Jahre 1878 als Begleiter des Kronprinzen Rudolf an einer Jagdexpedition in die Donauauwälder Südungarns teilnahm. Brehm, dessen später so berühmt gewordenes Werk, das „Tierleben , im Jahre 1865 erschienen war, wollte damals die Frage klären, ob Stein- und Goldadler zwei verschiedene Vogelarten seien, oder aber ob der Goldadler lediglich eine Variation des Steinadlers darstelle. Der Kronprinz, der sich stets besonders für Ornithologie interessierte, wollte Brehm bei dieser wissenschaftlichen Untersuchung behilflich sein und rüstete eine Jagdexpedition aus, die zwei Wochen unterwegs war und 29 Adler erbeutete. Bis zum Jahre 1884 blieb die Stelle des Schönbrunner Tiergarteninspektors unbesetzt, dann aber wurde der erste Anwärter, der Autodidakt Kraus, der als Schiffsjunge an der berühmten Welt- umseglung der Fregatte „Novara” 1875 bis 1859 teilgenommen hatte, mit der Leitung der Menagerie betraut. Er war auch mit dem unglücklichen Maximilian in Mexiko gewesen und errfeute sich stets der besonderen Wertschätzung Kaiser Franz Josephs. Er schied im Jahre 1919 als Ho.frat aus seinem Schönbrunner Amt.

Es ist heute kaum mehr bekannt, daß erst vom Jahre 1902 an ein Eintrittsgeld für den Besuch der Menagerie eingehoben wurde, und zwar stellte man damals in den einzelnen Tierhäusern Kartenautomaten auf, und die sich ergebenden Einnahmen flössen dem Unterstützungsfonds für die Hofdienerschaft zu. Es ist auch verzeichnet, daß die Tierwärter außer ihren an sich recht guten Bezügen noch besondere Belohnungen für das Einfangen von Ratten, Mäusen und Sperlingen erhielten, worüber sie genaue Listen zu führen hatten. Freilich dauerte auch ihr Dienst täglich von 6 Uhr früh bis zum Einbruch der Dunkelheit, und nur alle zwei Wochen hatten sie einmal Ausgang. So wie alle Hofbediensteten, mußten sie in einem der sogenannten „Hofsanitätsbezirke” wohnen, das heißt im 12. oder 13. Bezirk. Als Wärter wurden fast nur gediente Soldaten eingestellt.

Die große Bedeutung, die der Schönbrunner Menagerie sehr bald innerhalb der europäischen Tiergärten zukam, verdankte sie nicht zuletzt den weltumspannenden Verbindungen des damaligen Reiches. Die Gesandtschaften und Konsulate, die Kriegsmarine und die Handelsflotte Österreich-Ungarns waren stets bemüht, die Bestände der Menagerie zu vermehren und den ihnen von der Tiergartendirektion übersandten Wunschlisten nach Möglichkeit zu entsprechen. Den Privatmännern, aber auch den fremden Herrschern oder Prinzen, die sich um die Bereicherung der kaiserlichen Tierbestände verdient machten, wurden meist hohe Orden überreicht, während die am Transport der oft recht heiklen Neuerwerbungen Beteiligten durch Schmuckgeschenke belohnt wurden. So manche goldene Uhr mit dem Doppeladler wurde damals an Matrosen des österreichischen Lloyd übersandt, der fast stets den Transport der lebendigen Raritäten über die Welt- meere bis nach Triest besorgte.

Aus dem Buche Brachetkas erfährt man ‘auch, daß der erste Vorläufer der in Schönbrunn stets so besonders beliebten Elefanten bereits im Jahre 1552 nach Wien kam, um im Festzug bei der Krönung Maximilians zum König von Böhmen mitgeführt zu werden. Dieser erste lebende Elefant, den Wien zu sehen bekam, war im Schloßneugebäude untergebracht worden. Eine ganze Reihe von Hausnamen und Geschäftsbezeichnungen ist auf diese Sensation der damaligen Zeit zurückzuführen. Das erste Rüsseltier, das in Schönbrunn seinen Einzug halten konnte, Wurde im Jahre 1770 von Indien nach Wien gebracht. Besondere Be- •rühmtheit erlangte Wien durch seine Steinbockzucht, die vermutlich auf die Bestände der salzburgischen Erzbischöfe zurückgeht, in deren Revieren ja bekanntlich die letzten frei lebenden Vertreter dieses edelsten Alpenwildes vorkamen. Als dann schließlich auch in Schönbrunn die letzten reinrassigen Steinböcke ausgestorben waren, war es der König von Italien, der mit einer Spende aus seinem Hofrevier in Savoyen die Schönbrunner Steinbockzucht neu begründen half. Diese reinrassigen Steinböcke, die freilich nur mit vieler Mühe erhalten und weitergezüchtet werden konnten, bildeten stets eines der kostbarsten Besitzgüter der Schönbrunner Menagerie und waren das wertvollste, Tauschmaterial. Für ein Paar Steinböcke konnte zum Beispiel im Jahre 1925 der Elefant „Pepi II” erworben werden.

Man kann es verstehen, daß die Fülle dieser Erinnerungen und Ereignisse, die der jetzige Leiter der Schönbrunner Menagerie aus den durch einen Zufall ans Tageslicht gekommenen alten Akten im wahrsten Sinne des Wortes „ausgegraben” hat, ihm sein bester Trost und seine stärkste Stütze für die wahrlich nicht leichte Aufgabe sein können, diesen so schwer mitgenommenen Teil Schönbrunns wieder zu neuem Glanz und neuem Ansehen auch in der Welt zu verhelfen. Gerade die Geschichte Schönbrunns beweist, daß solche Sammlungen lebender Tiere, die sich in der Vergangenheit bis auf die bereits zwei Jahrtausende vor Christi bestehenden „Gärten der Intelligenz” im alten China zurückführen lassen, weit mehr sind als eine bloße Spielerei oder eine Liebhaberei einzelner Monarchen. Daß die Wiener selbst aber in den nun hinter uns liegenden Zeiten schwerster Bedrängnis und ärgster Not, auch dann, wenn sie hart um ihre eigene Existenz zu ringen hatten, immer wieder mit ihren Gedanken auch in der Schönbrunner Menagerie waren und um ihren Weiterbestand nicht weniger bangten, als um die Erhaltung so mancher baulichen Kostbarkeit unserer Stadt, wirft ein bezeichnendes und wie wir meinen möchten, nicht allzu schlechtes Licht auf ihren Charakter.

1 Dr. Julius Brachetkia: „Schönbrunn und sein Tiergarten.” 212 Seiten mit 19 Abbildungen und einem Plan. .Verlag Kuno Hoynigg, Wien,

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