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Nahdat-el-Arab

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Witzblätter karikieren den Araber heute gern als etwas verunglückte Zirkusfigur. Wie alle asiatischen Völker, sind auch die Araber durch Literatur und Journalistik des 19. Jahrhunderts gern der Lächerlichkeit oder dem ethnologischen Wohlwollen preisgegeben worden. Der Reisende ärgert sich über die backschischheischenden Kinder der verarmten arabischen . Städte. Eine tiefere Erkenntnis der orientalischen Völker blieb der Esoterik des Philologen überlassen. Politisch waren die arabischsprechenden Länder bis zum ersten Weltkriege einflußlos, und das Arabische spielte in der Diplomatie bei weitem nicht die Rolle des osmanischen Türkisch oder des Persischen. Heute nun sieht mancher Zeitungsleser mit Erstaunen selbstbewußt auftretende Deputierte arabischer Staaten. Der Orientalistik waren tiefgreifende Umwälzungen freilich wohlbekannt, und sie wurden vor - allem auch an der Wiener Universität mit größtem Interesse verfolgt. In unseren Tagen stößt der Reisende wie der Leser arabischer Zeitungen immer wieder auf den Ausdruck Nahdat- el-Arab, „Aufschwung der Araber“. Damit war ursprünglich eine sprachliche Erscheinung gemeint, die in der Postkutschen zeit Europas begann und heute ein weltgeschichtliches Phänomen darstellt. Es handelt sich um eine wirkliche Renaissance im Gebiet der arabischsprechenden Völker. Einst war mit dem Koran die Sprache der arabischen Halbinsel das offizielle Idiom des islamischen Imperiums vom Indus bis zum Ebro ge- wesm. Fast alie semitischen Länder ließen ihre Dialekte zugunsten der „Königin aus dem Hidschas“ verkümmern. Die Kopten des Nillandes, die Lateiner Nordafrikas und große Massen der Berber eigneten sich das

Arabische als neue Muttersprache an. In den iranischen und türkischen Gebieten des Islam blieb es wenigstens Kult- und Gelehrtensprache, genau wie das Lateinische im Abendland. Der Verlust der arabischen Selbständigkeit, die Verarmung des Mittleren Ostens seit dem Aufhören des Karawanenhandels ließen jedoch das Arabische an Bedeutung immer mehr verlieren. Zumal seit dem 15. Jahrhundert setzte ein Abstieg in der literarischen Produktion ein, der das Interesse im öffentlichen Leben erlöschen ließ. Nun schien das Arabische den Weg des Spätlateinischen gehen zu wollen. In den verschiedenen Ländern, die sich auf den weiten Raum von Mossul bis Casablanca oder von Oleppo bis Oman verteilen, nahmen die Landesdialekte wie die romanischen Sprachen in Europa ihre Eigenen twick- lung. Der Briefstil, die Volksdichtung zeigten bereits Einflüsse der verschiedenen Formen des Vulgärarabischen. Nur die Theologie und mit ihr die islamische Jurisprudenz legten noch Wert auf eine gewisse Beherrschung der alten klassischen Sprache. Die Aufspaltung der arabischen Welt in neue Nationen, die ihre eigenen Schriftsprachen und Literaturen entwickeln konnten, stand nahe bevor. Ein Marokkaner kann einen Ägypter nur etwa insoweit verstehen wie ein Italiener den Portugiesen. Die ohnehin geringe Bücherproduktion und der Mangel an diplomatischen Beziehungen ließen die Entwicklung aber nicht weitergehen. Das osmanische Reidi besorgte die auswärtige Vertretung der arabischen Untertanen, Nordwestafrika und die Länder Südarabiens waren einflußlos. So kam keine neue Nationalsprache zur Blüte. Da setzte im „Vormärz“ in Syrien gerade in christlichen Kreisen, die kein Interesse am islamischen Osmanenreich hatten, eine Renaissance ein. El-Jäsidsch(, Esch Sdiidjäq und Bist£n(, alle aus dem Libanon, angeregt durch die Missionstätigkeit und europäischen Wissenschaftsbetrieb, befleißigten sich der klassischen Studien ohne Zusammenhang mit der islamischen Theologie der großen Moscheeuniversitäten. Wollte man es den Europäern an literarischer Produktion und wissenschaftlicher Tätigkeit gleichtun, so bedurfte der Araber einer bereitliegenden ausgebildeten Sprache, und diese besaß er, wenn sie auch nicht im allgemeinen Gebraudie stand. Es war nur notwendig, sie neu zu erlernen und zu gebrauchen, so daß die Übung ihn wieder rum Meister werden ließ. Grammatiken und Lexika, Enzyklopädien entstanden, das unabhängig gewordene Ägypten und Beirut unter europäisch-diplomatischem Binfluß waren die Schauplätze einer größeren Publi- kationstätigkek in Buch und Presse. Das klassische Arabisch hatte wieder den Anschluß an die Weltkultur gefunden. Einmal hatte es diesen Schritt bereits getan, als im Gefolge der islamischen Eroberungen die hellenistische Kultur gezwungen wurde, arabisch zu reden. Damals war die arabische Sprach imstande gewesen, alle Feinheiten griechischer Philosophie und Naturwissenschaft sinngetreu mit eigenem Wortschatz wiederzugeben. Es war nun wieder Aufgabe der neuarabischen Klassiker, moderne Begriffe der Journalistik und vor allem der Wissenschaft aller Gebiete in einwandfreiem Arabisch verständlich zu machen. Dies ist voll und ganz gelungen. Die Sprache der alten Wüstendichter, des Koran, des mittelalterlichen Islam klingt heute im Sender, findet den Weg auf die Bühne, füllt die Spalten der Zeitung und ist Idiom bea den Vorlesungen an durchaus modernen Hochschulen. So ist aber nun ein Band geschaffen worden, das die Welt zwischen persisdiem Golf und Atlantik einigt. Die Jesuitenuniversität Beirut hat durch Hilfsmittel für den Sprachunterricht wie durch Neuausgaben der Klassiker der gesamten „Uruba“ (Arabitas) ausgezeichnete Dienste geleistet, die Karmeliter taten dasselbe in Bagdad und die Universität Kairo neben der altberühmten Theologenschule el-Azhar sind Hauptstätten arabischer Bildung der Neuzeit. Die Neublüte arabischer Dichtung ist vielversprechend. Bezeichnenderweise leben einige neuarabische Dichter in Amerika, wo in den USA wie in Argentinien bereits seit Jahrzehnten eine arabische Presse existiert. Volks- und Mittelschulen verbreiten in aufstrebenden Ländern immer mehr die klassische Sprache, die wie das Hochdeutsche durch Volksbildung die Dialekte überlagert hat. Es ist begreiflich, daß ein solcher kultureller Aufschwung auch auf das politische Leben sich auswirkt. In Kairo arbeitet seit Jahrzehnten der blinde Literat Dr. Hussain Tah. Völlig unabhängig von der Theologie, der er, wiewohl ehemaliger Student der Azhar-Moschee, etwa wie Renan gegenübersteht, bemüht er sich, seinen zahlreichen Schülern den Zugang zum Hellenismus und damit zu einer neuen weltlichen arabischen Kultur zu vermitteln. Der islamischen Hochschule el-Azhar ist eine weltliche Konkurrenz erstanden, die aber nicht weniger wirkungsvoll ist. Die politische „Arabische Liga” ist nur die reife Frucht der „Uruba“, der Arabitas. Nun verstehen wir auch das Interesse an den Ländern des „Maghrib“ von Libyen bis Marokko. Hier war das Arabische als Bildungssprache durch romanische Idiome stark umgeformt worden. Ein Algerier liest eher Französisch als Arabisch. Die klassische Sprache war mangels arabischer Mittelschulen auf den islamischen Klerus beschränkt geblieben. Eine Ausnahme macht nur Spa- nisch-Marokko, das kulturelle Autonomie besitzt und seine Studenten zu Hussain Tah nach Kairo sendet. Daher erklärt sich auch, daß neue Bewegungen vor allem in Marokko auftreten, dem heute noch ein Souverän vorsteht. In einem Manifest der „Unidad marroqui“ heißt es: „Die Bewegung Unidad marroqui betrachtet die arabische Sprache als die einzige offizielle Marokkos seit dem Anschluß der Marokkaner an den Islam, denn diese Sprache ist seit mehr als dreizehn und einem halben Jahrhundert die alleinige Sprache der Religion, der Verwaltung und des Unterrichtes gewesen, die alleinige Literatursprache und das einzige Verständigungsmittel zwischen dem marokkanisdien Staat und den Fremdstaaten.“ Die Versuche zur Hebung des Berberischen, ja die einer Euro- päisierung der Berber müßten das Aufhören des islamischen religiösen Lebens bei der marokkanisdien Landbevölkerung voraussetzen, an das nicht zu denken ist. Vor der westlichen arabischen Welt wird die „Uruba" nicht haltmachen. Sie ist ein Faktor, mit dem jede neuzeitliche Betrachtung der Mittelmeerwelt rechnen muß. Ganz kühn formulierten 1943 die Ichwän-el-Muslirmn (Nachbildung der angelsächsischen YMCA), „die islamischen Brüder“ ihre Forderung: „Jedes Land, das irgendeinmal islamisch war, muß dem Islam zurückgegeben werden. Dies schließt Spanien, Süditalien und Indien mit ein." Hier zeigt sich deutlich die Spitze gegen die Ansprüche des Zionismus. Es liegt klar auf der Hand, daß die Politik um Palästina sich einer neuerwachten arabischen Welt gegenübersieht, und Abd-el-AzIz,

König von Saudarabien, spricht aus, er wolle dasselbe tun wie einst Saladin, der Syrien und Mesopotamien eroberte. Alle diese

Äußerungen werden in ein und derselben Sprache durch Rundfunk und Presse der süd lichen Mittelmeerküste wie dem Mittelost kundgetan, durch die neuerstandene „Uröba“ — die Arabitas. Man wird mit ihr bei allen Entscheidungen, die den arabischen Raum betreffen, in Zukunft zu rechnen haben.

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