Napoleon erwacht zur Unsterblichkeit - © Foto: Getty Images / Universal Images Group / Christophel Fine Art

Napoleon und die Religion: „Ich bin gesalbt, Sie können mir beichten“

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Bis zu seinem Tod auf St. Helena am 5. Mai 1821 hatte Napoleon Muße, über Gott und Kirche nachzudenken. Seine Kirchenpolitik wirkt bis heute nach.

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Bis zu seinem Tod auf St. Helena am 5. Mai 1821 hatte Napoleon Muße, über Gott und Kirche nachzudenken. Seine Kirchenpolitik wirkt bis heute nach.

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Von den Alliierten des Wiener Kongresses 1815 wurde Napoleon als „Störer der Ruhe der Welt“ auf die fernste Felsen­insel im Atlantik verbannt, für seine Bewunderer aber wurde der Franzosenkaiser zum gefesselten Prometheus und zum Messias der Völkerfreiheit. Goethe sprach vom „Schreiten eines Halb­gottes von Schlacht zu Schlacht und von Sieg zu Sieg“. Heinrich Heine vollendete diese „Vergötterung“, vor der ihn Ludwig Börne warnte. St. Helena sei „das heilige Grab, wohin die Völker des Orients und Okzidents wallfahren und ihr Herz stärken durch große Erinnerung an die Taten des weltlichen Heilands“.

In Napoleons Gedanken, die um sein Schicksal, um Grandeur und Gloire kreisten, blitzt nur selten Heiterkeit auf, im vertrauten Gespräch mit Gaspard Gourgaud (1783–1852). Der junge General hatte seit 1805 alle wichtigen Schlachten bis Waterloo mitgemacht, 1812 leitete er als Ordonnanzoffizier den Brückenschlag über die Beresina. „Tapfer, aber kindisch“ nannte ihn sein Kriegsherr und machte sich lustig über den Kirchenglauben von Gorgo(tto), wie er ihn nannte, und den er am Ohrläppchen zupfte. So sagte er am 18. Juni 1817: „Sie gehen zur Beichte! Nun, ich bin gesalbt, Sie können mir beichten.“ Der Kaiser meinte die Würde, die ihm vom Papst im Sacre bei der Selbstkrönung vom 2. Dezember 1804 verliehen worden war.

Bekennender Materialist

Dem großen Mathematiker Pierre-Simon Laplace, der ihn zu Beginn seiner militärischen Lehrzeit 1785 geprüft hatte, stellte Napoleon die Gottesfrage: Er habe Gott, der in Newtons System noch genannt wurde, in der Himmelsmechanik nicht gefunden. „Ich bedarf dieser Hypothese nicht, Sire“, erwiderte der Gelehrte, der Newtons fortwährendes Eingreifen Gottes in die Naturgesetze eliminierte. Napoleon verstand dies – nicht korrekt – als Atheismus: „Bah, Sie glauben also, das geistige Wesen, das den Lauf der Gestirne lenkt, dieses geistige Wesen lenke und beurteile auch die Handlungen der Menschen! Gourgaud: Sire, ich glaube an Gott, und ich wäre sehr unglücklich, wenn ich Atheist wäre. Napoleon: Bah! Sehen Sie Monge und Laplace.“

Als Schüler der naturwissenschaftlichen Aufklärung bekannte sich Napoleon zum Materialismus: „Man sage was man will, aber es ist alles mehr oder weniger vollkommen organisierte Materie“ – Elektrizität, Galvanismus, Magnetismus –, „nach meiner Meinung belebt die Materie sich von selber“. Andererseits hatte General Bonaparte auf der Ägyptenexpedition den mitreisenden Wissenschaftern unter dem Sternenhimmel die Frage gestellt: „Wer hat dies alles gemacht?“

Als Staatsmann hielt Napoleon Religion für eine politische und soziale Notwendigkeit: „Jesu Moral ist die platonische. Eine Religion ist notwendig für die Vereinigung der Menschen zur Gesellschaft.“ Das eigenhändige Verzeichnis der nach Ägypten mitgenommenen Handbibliothek umfasste Bibel, Koran, Veden, antike Mythologie, Montesquieu, Voltaire und Goethes „Werther“: „Eroberer müssen duldsam sein und alle Religionen beschützen. In Ägypten hatte ich Erfolg, weil ich mich gegenüber den Anhängern des Propheten als Muselmann benahm.“

Mit Gaspard Gourgaud, der 1840 bei der pompösen Überführung des Toten in den Pariser Invalidendom die Ehre hatte, den Hut auf den Sarg zu legen, verband Napoleon die Erinnerung an Brienne-le-Châ­teau­­. Hier hatte der verschlossene korsische Knabe 1779/84 in der vom Orden der Minimen (Paulaner) streng geleiteten Schule seine Ausbildung erhalten. Auf der Reise zur italienischen Königskrönung in Mailand 1805 machte er hier mit großem Gefolge Station. Johann Peter Hebel machte aus dieser Jugenderinnerung die Kalendergeschichte von der alten Obstfrau. Am 29. Jänner 1814 errang Napoleon hier noch einen Abwehrerfolg gegen den auf Paris vordrängenden Generalfeldmarschall Blücher – Gourgaud rühmte sich, den Lanzenangriff eines Kosaken gegen den Kaiser abgewehrt zu haben.

„In Wahrheit“ Theist

Als Napoleon im April 1815 dem Marquis de Montholon todkrank sein Testament diktierte, bekannte er: „Ich sterbe in der apostolischen und römischen Religion, in der ich vor über 50 Jahren geboren wurde“, und setzte hinzu: „In Wahrheit sterbe ich als Theist. Ich glaube an einen gnädigen Gott, der der Ursprung aller Dinge ist. Aber ich erkläre, dass ich als Katholik sterbe, weil das für die öffentliche Moral angemessener ist.“ Der korsische Abbate Vignali hatte die Aufgabe, nach altem Brauch im Nebenraum des Sterbezimmers das Sakrament inmitten brennender Kerzen aufzustellen.

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