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Neue Bucher uber Napoleon und seine Zeit

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Das Zeitalter Napoleons und die Erhebung der Völker. Von Willy Andreas. Quelle &. Meyer, Heidelberg. 684 Seiten.

Geist besiegt die Macht. Das Leben der Germaine de Stael. Von Carmen Kahn-Wallerstein. Francke-Verlag, Bern. 208 Seiten. Preis 13.80 sfr.

Napoleon, wie er wirklich war. Von Jean S a-v a n t. Aus dem Französischen. Alfred-Scherz-Verlag, Bern. 296 Seiten.

Napoleon et Josephine. Von Jean S a v a n t. Club du meilleur livre. 392 Seiten.

Wie jedes Jahr, stellten sich auch heuer zahlreiche Historiker und Schriftsteller mit neuen Werken über Napoleon und seine Zeit ein. An erster Stelle anzuführen ist der durch seine Arbeiten über das Spätmittelalter, das Weiwar Karl Augusts und das Groß-herzogttim Baden zur Zeit des ersten Kaiserreichs bekannte Forscher Willy Andreas mit der grundlegenden Schilderung des Ablaufs der Auseinandersetzungen der europäischen Mächte mit der Französischen Revolution, welche die Prämissen zum meteorhaften Aufstieg des anfangs wenig beachteten Generals Bonaparte zum mächtigsten Souverän Euro-' pas schuf, ihm gleichzeitig eine undurchführbare Politik aufbürdete, an der jedes noch so große Genie scheitern mußte. Es handelte sich in diesem Kampf um die Suprematie in Europa nicht wie in den früheren Kabinetts- und Erbfolgekriegen um territoriale Gewinne, sondern anfänglich um die Abwehr der konservativen Mächte gegen die sozialen Umschichtungen, die sich von Frankreich aus über die Nachbarländer auszubreiten drohten. Daran schloß sich ein erst zu enträtselndes Problem: der Widerstand der zum Bewußtsein ihrer Eigenwesenheit gelangten Nationen. Doch nicht so sehr diese Auswirkungen der Revolution und der Gewaltherrschaft Napoleons brachten ihn zu Fall, als der unabänderliche Grundsatz der englischen Politik, wegen der Aufrechterhaltung der Vorherrschaft des Inselreiches zur See Belgien und Holland niemals einer Kontinentalmacht zu überlassen. Nach der Vernichtung der französischen Flotte bei Trafalgar und dem Scheitern seines Landungsprojekts in England, blieb Napoleon kein anderer Ausweg, als die Sperre über englische Waren zu verfügen, eine Maßnahme, die England mit der Blockade der europäischen Häfen gegen französische und neutrale Schiffe beantwortete. „So stießen englische Blockade und französische Kontinentalsperre, beide' auf die Aushungerung des Gegners abzielend, in einem ungeheuren Krieg der Wirtschaftswaffen aufeinander. Er störte das ökonomische Gleichgewicht der ganzen Welt. Aber dieser Kampf war nicht ohne Größe. Napoleon zog darin den kürzeren, über Teilerfolge brachte er es nicht hinaus“ Von dieser Konstatierung rückt Willy Andreas allerdings (S. 663) etwas ab, indem er die Stichhaltigkeit der Hauptthese einiger (wir meinen: der meisten) französischen Forscher „yon der zwangsläufigen Bindung Napoleons an den überkommenen Weltgegensatz“ bezweifelt. Hat doch die Nichterfüllung des Vertrags von Amiens durch England, als Frankreich in Frieden mit den anderen Staaten lebte und leben wollte, das Ende dieser erfolgversprechenden Epoche und die abermalige Verschärfung der Gegensätze herbeigeführt. Am 28. März

1814, zwei Tage vor der Einnahme von Paris, stellte Napoleon Großbritannien dem österreichischen Gesandten Wessenberg als seinen hauptsächlichen Gegner hin. Er habe sich den Alliierten gegenüber erbötig gemacht, auf alle Eroberungen zu verzichten. „Ich drang aber auf Antwerpen, denn ohne diesen Hafen kann Frankreich keine Marine besitzen ... Ich wäre tatsächlich stärker, wenn ich auf die Wiederherstellung der Marine verzichten würde.“ Hatte doch der Abstieg Napoleons mit der durch England militärisch geförderten Erhebung Spaniens und durch den Feldzug gegen Rußland begonnen, das sich „für die russisch-französischen Beziehungen als Schicksalsland erwies, indem es die Kontinentalsperre durchbrach“. Abgesehen von dieser einzigen Stelle im Literaturnachweis kommt Willy Andreas nicht mehr auf diese „Hauptthese“ zurück, und es bildet daher seine die jüngsten Forschungsergebnisse erfassende Arbeit durch Vermeidung anderer Thesen und seine lückenlose Objektivität einen überaus aufschlußreichen Beitrag zur Geschichte der Jahre 1792 bis

1815, aus welchen die Gestalt Napoleons klarer als aus früheren Werken hervorgeht, die zumeist mehr auf eo ipso persönliche Empfindungen reflektierende Memoiren als auf erhärteten Tatsachen basieren.

Weit weniger bedeutend, immerhin eine empfehlenswerte Unterhaltungslektüre bietet Carmen Kahn-Wallerstein. Die Autorin bleibt allerdings den Beweis schuldig, inwieferne Frau von Stael zum Sturz Napoleons beigetragen hat, denn weder ihr Kreis noch ihre Schriften haben ihn beschleunigt. Frau Kahn-Wallerstein, die eine zu billigende Auswahl von Büchern über Frau von Stael getroffen hat, trägt leider Zeitgeist und Weltgeschehen zu wenig Rechnung. Zu beanstanden wären auch historische Fehler, wie u. a.: Talleyrand war nicht Bischof von Paris, sondern von Autun. Napoleon hat weder Toulon erobert, noch war er damals erst Leutnant. Das Haus der Ehrenlegion, welches Frau von Stael lange bewohnte, befindet sich nicht in der Rue du Bac, sondern an der Ecke des Quai d'Orsay und der Rue de Solferino. Der 13. Vendemiaire fiel auf den 5. Oktober 1795 und nicht auf den 15. September. Das Wort „rafinesse“ ist in keinem Wörterbuch zu finden; richtig heißt es: „raffinement“. Auch meint die Autorin „amant en titre“ indem sie „amant de titre“ schreibt.

In seinem „Napoleon, wie er wirklich war“, kündigt Jean Savant mit diesem herausfordernden Titel so ziemlich allen Historikern und Memorialisten die Fehde an. In herabsetzendem Ton und häufig wenig gewählten Ausdrücken, deren sich selbst servile Publizisten unmittelbar nach Napoleons Sturz kaum bedient hätten, entwirft der streitbare Autor ein unerquickliches Zerrbild des trotz manchen Schattenseiten in seinem' Charakterbild unleugbar überragenden Genies, das aber laut lean Savant seine Siege und Erfolge auf anderen Gebieten zu allermeist seinen Generälen und Mitarbeitern zu verdanken hätte. Die Quellennachweise wirken nicht überzeugend, da es sich entweder um aus dem Zusammenhang gerissene Stellen oder apokryphe Memoiren oder solcKe Schriften handelt, für die Persönlichkeiten aus der Umgebung Napeoleons, wie Consta, Bourrlenne, die

Herzogin von Abrantes u. a. m., ihren Namen gegen hohe Honorare zur Verfügung stellten.

Die andere Publikation Jean Savants — die Briefe Napoleons an Kaiserin Josephine —, die wohl al Ergebnis emsiger Forschungen zu würdigen ist, wirkt aber wegen der überflüssig krassen Kommentare zu den öfter leidenschaftlichen Briefen des verliebten Gatten unerfreulich.

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