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Nicht „betreuen” bis zum Überdruß

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Aus dem Referat des Amtsführenden Stadtrates für das Gesundheitswesen, Vizebürgermeister Weinberger, anläßlich der Beratungen des Wiener Gemeinderates über den Voranschlag 1959.

Die Zahl der Ansuchen um Aufnahme in ein Altersheim der Stadt Wien zeigte 195 8 ein leichtes Absinken. In den ersten neun Monaten des Jahres 1957 lagen 3977, im gleichen Zeitraum 195 8 dagegen 3 806 genehmigte Anträge vor. Die Zahl der wirklich aufgenommenen Pfleglinge sank jedoch von 3326 Aufnahmen in diesem Zeitraum des Jahres 1957 lediglich auf 3319 im Jahre 195 8. Trotzdem ist der Bettenmangel in den Altersheimen weiterhin gestiegen, was darin begründet ist, daß die Abgänge in den ersten neun Monaten des Jahres 1957 3410 Pfleglinge bei 2350 Todesfällen betrugen, im Jahre 195 8 aber nur 3230 Pfleglinge, wovon 2254 Todesfälle waren.

487 genehmigte Aufnahmeanträge korinteil mangels freier Betten in den städtischen Altersheimen nicht durchgeführt werden. Zum überwiegenden Teil liegen diese Pfleglinge in den städtischen Krankenhäusern und verschlimmern den dortigen Bettenmangel.

Hier muß also eine Lösung gefunden werden. Durch die Widmungsänderung des Sankt- Rochus-Spitales in Penzing wird es möglich sein, hoffentlich schon in naher Zeit 130 Betten zu gewinnen. Wenn es schließlich gelingt, das Anstaltenhauptlager aus Baumgarten, wo es nur den Heimbetrieb stört, in eine stillgelegte Schule oder in ein sonstiges städtisches Gebäude ganz oder teilweise zu verlegen, so könnten weitere 100 bis 300 Betten gewonnen werden. Das wäre verhältnismäßig billig, denn bei einem Neubau würde ein Bett zirka 200.000 bis 250.000 S kosten. Diese 300 bis 500 freiwerdenden Altersheimbetten würden auch die Spitalsbettennot fühlbar lindern.

Der systemisierte Bettenstand in den Altersheimen beträgt- derzeit 623 5, für das Budget präliminiert 6125 mit 2,250.225 Verpflegstagen bei einer Verpflegsgebühr von 25 S pro Kopf und Tag. Somit ergeben sich Einnahmen von 57,5 Millionen Schilling, denen jedoch Ausgaben in der Höhe von 117,5 Millionen Schilling gegenüberstehen.

In den Altersheimen Lainz, Baumgarten und Liesing sind überwiegend alte, besonders aber pflegebedürftige und fast dauernd ans Bett gebundene Pfleglinge untergebracht. Die Führung dieser Anstalten mit ihren vielfältigen medizinischen, chirurgischen und Fachabteilungen, insbesondere im Altersheim Lainz, unterscheidet sich nur noch unwesentlich von der eines Krankenhauses. Dadurch ist aber auch der ständig steigende Verbrauch an Pflegeerfordernissen aller Art, an Bett- und Leibwäsche, der erhöhte Aufwand für die Wäschereinigung sowie der weiterhin steigende Bedarf an Medikamenten bedingt. Lediglich das Altersheim St. Andrä an der Traisen kann noch als echtes Altersheim bezeichnet werden.

Wie in den vergangenen Jahren wurde auch im Jahre 1958 die Ausgestaltung der Krankenabteilungen der Altersheime • in Lainz, Baumgarten, Liesing und St. Andrä mit beträchtlichem finanziellem Aufwand fortgeführt.

Ich hatte heuer Gelegenheit, einige moderne Altersheime in den Städten München, Augsburg und Stuttgart zu besichtigen, Eigene Alterskrankenhäuser gibt e%auch dort nicht. Was dort gelegentlich so genannt wird, ist meist wertiger als das, was wir schon seit längerer Zeit in einigen unserer Altersheime an Krankenabteilungen besitzen. Wir können aber von den genannten Städten anderes lernen. Es ist das erstens die bessere und modernere Art der Betreuung alter Mitbürger, die sich auf verschiedene Weise ausdrückt. Zunächst durch die kleineren Zimmer. Es gibt dort nur Einbett- undZweibett-, und in einer Stadt nur Ein- und Dreibettzimmer. Dann durch die Einrichtung. Sie wird von den alten Leuten meist persönlich beigestellt. Das bewirkt, daß ein Stückchen des lieben, alten Heimes auch in das Altersheim mitkommt und so das Heimgefühl, das heimatliche Gefühl, auch dort erhält. Ich habe weiter gesehen, daß es in diesem Heim viele Räume zur geselligen Zusammenkunft gibt. In München sogar ein eigenes Bierstüberl. Anderswo und fast überall einen netten Gesellschaftsraum, einen Raum für Fernsehvorführungen„ Veranstaltungen usw. Es hat mich auch sehr angesprochen, daß die Bewohner dieser Heime praktisch frei aus und ein gehen können. Daß sie zu jeder Zeit des Tages, bis zu bestimmten Abendstunden, natürlich auch Besuche empfangen und auf Besuch gehen können. Es ist vielfach auch so, daß die alten Leute in den Heimen von ihren früheren Aerzten betreut werden können und auch auf diese Weise die Verbindung mit ihrem früheren Leben aufrechterhalten. Ich halte die Verbindung zwischen Krankenhaus, Altersheim und Alterskrankenhaus für eine sehr glückliche, und könnte mir vorstellen, daß auch wir einmal zu einer derartigen Dreieinheit kommen könnten.

Was mich aber ganz besonders berührt hat, das war die, wie ich glaube, sehr vernünftige und glückliche Zusammenarbeit zwischen der sogenannten öffentlichen und der freien Fürsorge. Die Städte haben dort keineswegs den Ehrgeiz, alles von sich aus zu befürsorgen und zu betreuen. Im Gegenteil 1 Sie haben in manchen Fällen gar keine eigenen Altersheime, sondern überlassen die Betreuung ihrer alten Mitbürger den verschiedensten freien Organisationen. Sie geben Baukostenzuschüsse, vereinbaren bestimmte Plätze für von der Stadt befürsorgte Mitbürger und helfen den Heimen und ihren Verwaltungen bei ihrer Aufgabe. ?ie kontrollieren diese Aufgabe, führen sie aber nicht selbst durch. Das ist viel billiger und im Effekt ergiebiger. Ich würde es sehr wünschen, daß wir auch in Wien bald zu einer ähnlichen Kooperation kämen. Erfreulicherweise wurde ja erst kürzlich das sehr schöne Altersheim der Wiener Kaufleute zur Benützung übergeben. Es ist vorbildlich.

Auch andere kleinere Altersheime sind entstanden oder in Gründung. Die Stadt hat aber nichts dazu beigetragen, obzwar jedes Bett eine größere Entlastung für sie bedeutet. Ich hoffe sehr, daß noch viele andere, ähnliche Altersheime in unserer Stadt erstehen werden, und würde es besonders begrüßen, wenn freie Räume, die da und dort besonders in Stiften und Klöstern zur Verfügung stehen, ebenfalls für die Unterbringung und Betreuung alter Mitbürger adaptiert würden. Dazu sollte auch unsere Stadt etwas leisten. Ich bin der Meinung, daß es nicht darauf ankommt, wer etwas tut, sondern daß es getan wird und daß es gut geschieht. Alle unsere Mitbürger sollten das Gefühl haben, daß sie auch als krank, alt oder müde gewordene Menschen noch als Persönlichkeiten gewertet und entsprechend behandelt, nicht aber als bloße Nummern registriert oder gar auf das Aussterbeetat gesetzt werden.

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