6706843-1964_03_08.jpg
Digital In Arbeit

Niedergang und Aufstieg

Werbung
Werbung
Werbung

Befindet sich dieses seit der Bildung der nationaltürkischen Republik in ständigem Niedergang, so erlebte die griechische Staatskirche einen noch stürmischeren äußeren und in letzter Zeit auch geistigen Aufstieg, der ihr Selbstbewußtsein ungemein stärkte. War sie vor den Balkankriegen 1912/13 auf das unabhängige Süd- und Mittelgrieohen-land beschränkt und von Konstantinopel nach anfänglichem Schisma gerade geduldet, so erweiterte sie im Lauf des letzten halben Jahrhunderts ihren Bereich um mehr als das Doppelte, stieg zur bedeutendsten orthodoxen Kirche auf, was das religiöse Leben und theologische Denken betrifft, worin sie der zwar zahlenmäßig stärkeren russischen und rumänischen Kirche voraus ist, und erfreute sich seit dem glücklichen Ausgang des Bandenkrieges (1946 bis 1949) einer umwälzenden geistigen Erneuerung.

Ebenso wie in Konstantinopel war die alte • Theologengeneration In Deutschland zur Blütezeit der evangelischen liberalen Theologie ausgebildet worden. Humanistische Grandseigneurs wie Louvaris kannten Goethe und Rilke ebenso, wenn nicht besser, wie die Werke der griechischen Väter. Doch heute sind die Vertreter dieser Richtung fast ausgestorben. Eine vom Laien- und Mönchstum ausgehende patriotische Restaurationsbewegung, die Lehre und Leben der Kirche nach Wort und Beispiel der Autoritäten der alten, ungeteilten Kirche des ersten Jahrtausends erneuern will, hat durch den Einfluß der aus ihr hervorgegangenen religiösen Bruderschaften bereits die Lehrkanzeln der theologischen Fakultäten und die Spitzen der Hierarchie erreicht.

Eine wesentliche Stütze fand diese konservative Strömung im Mönchstum, über das die griechische Kirche in ausreichendem Maß verfügt, als einzige der heutigen orthodoxen Kirchen. Liegen zwar einige der alten Großklöster auf dem Athos und den Meteoren in trostloser Agonie, so haben sich neue monastische Zentren herausgebildet,': wie das Longovarda-Kloster auf'Paros oder die apostolisch in der „Welt“ wirkenden und lebenden Bruderschaften „Zoe“ (Leben) und „Soter“ (Erlöser). Die konservativen griechischen Mönche kämpften jahrhundertelang an der Seite des „rechtgläubigen“ Papstes gegen häretische und schismatische Bestrebungen der byzantinischen Kaiser und der diesen ergebenen „Hofpatriarchen“ von Konstantinopel, bis die vom Osten nicht mitvollzogene Entwicklung der scholastischen Theologie und verschiedene liturgische und kanonische Neuerungen der westlichen Christenheit ihnen nunmehr die „Lateiner“ als Verfälscher des Altüberlieferten erscheinen ließen. Als der westliche Bruder gar als Kreuzfahrer und Soldknecht sengend und brennend die orientalischen Klöster heimsuchte, wandten sich die griechischen Mönche mit derselben Festigkeit, mit der sie einst ihr Leben für die Reinheit der christlichen Lehre und deren Verfechter, den Papst, gegeben hatten, gegen den „antichristlichen Papismus“. Am Widerstand der Mönche und des ihnen ergebenen Volkes zerbrach bisher jede von noch so vielen Patriarchen und Bischöfen beschworene Union.

Diese ablehnende Haltung des orthodoxen Mönchtums hat die griechische Kirche der Gegenwart mit anderem konservativen Erbe übernommen. Sie sieht in der katholischen Kirche das ehemals orthodoxe weströmische Patriarchat, das sich durch dogmatische und liturgische Sonderentwicklung von den alten Lehren und Gebräuchen entfernt hat. Für die griechische Kirche und ihr Oberhaupt, Erzbischof Chrysostomos von Athen, kann es keine christliche Gemeinschaft ohne beiderseits anerkannte dogmatische Grundlage geben, und sie ist fest davon überzeugt, daß die von Patriarch Athenagoras I. proklamierte allchristliche Allianz im Zeichen der atheistischen Bedrohung ohne tragfähige dogmatische Grundlage zum Scheitern verurteilt ist, da die Kirche letztlich weder „heilige Liga“, gleich ob gegen Türken oder Kommunisten, noch ein Parlament der Konfessionen, sondern Gemeinschaft der Gläubigen ist.

Die griechische Kirche verlangt nicht mehr und nicht weniger, als daß die katholische Kirche zu ihrer vormaligen „Rechtgläubigkeit“ zurückkehre. Diese Forderung klingt unannehmbar, ist es aber bei näherem Zusehen nicht. Sie besagt nur, die katholische Kirche möge tatsächlich vorhandene, historisch gewordene Mißverhältnisse abstellen und die neuere Dogmenentwicklung dort, wo ihre Kontinuität mit der Väterlehre zwar vorhanden, aber verborgen und verschüttet ist, ergänzen und annehmbar interpretieren.

Ist das nicht das Anliegen der Reformgruppe auf dem Konzil? Und in der Tat decken sich die orthodoxen Forderungen mit dem Anliegen der Kardinäle Frings und König, der Theologen Küng und Rahner, um Bekräftigung der bischöflichen Rechte, regionale, synodale Kirchenverwaltung, Wiedereinführung des Diakonats, Kommunion unter zwei Gestalten, um nur einiges zu nennen.

Statt die sicherlich durch nationale und politische Ressentiments oft zu scharf formulierte Zurückhaltung der griechischen Kirche miß-zuverstehen, muß man die Grundlage dieser Stellungnahme vielmehr in der realistischen Einsicht erkennen und begrüßen, daß nämlich vor jedem weiteren Schritt die Einheit im Glauben erarbeitet und errungen werden muß. Hört man in Rom auf die Stimmen der Erneuerer, so steht einer prinzipiellen Einigung mit den Orthodoxen nichts mehr im Wege. Gelingt es, die katholische Kirche vom Vorwurf der „Neuerung“ und „papistischen Herrschsucht“ zu rechtfertigen, so wird die griechische Kirche, und diesmal auch das griechische Mönchstum, sich treu zur Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri bekennen, nicht aus „Aller-weltskomzilianz“ wie die liberalen Patriarchate, sondern da es in ihm von neuem, wie einst im Monophysi-ten- oder Bilderstreit, den Garanten der Rechtgläubigkeit sieht.

So soll die Freude über den verständnisvollen Patriarchaten nicht durch die Haltung der griechischen Kirche getrübt werden. Erkennen wir sie vielmehr als Warnung vor einer übereilten und illusionistischen Vereinigung und als Ansporn für unser aller Bestreben, daß uns der Heilige Geist durch das Konzil eine Kirche bereite, „strahlend rein, ohne Flecken, ohne Runzel oder dergleichen, sondern heilig und makellos“ (Eph 5, 27).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung