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„Noch nie habe ich ein so brutales Elend erlebt"

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Langsam hebt sich in China der Bambusvorhang, der das Land fast 50 Jahre von der westlichen Welt abgeschirmt hat. Sichtbar werden große wirtschaftliche Chancen, aber auch unvorstellbares menschliches Elend. Unbarmherzige Verurteilungen von Bürgerrechtlern und Berichte von Waisenheimen, die in Wirklichkeit Todeslager sein sollen, haben die Weltöffentlichkeit aufgeschreckt. Menschenrechte scheinen auch im China von heute wenig Chancen zu haben. Die Leprakranken werden wie im Mittelalter verbannt und in unwegsamen Bergregionen ausgesetzt. Allein in der südchinesischen Provinz Yunnan sollen es über 10.000 Leprakranke sein. Doch anders als bei den Waisenkindern und Menschenrechtskämpfern ist seit der politischen Öffnung Chinas für die Leprakranken humanitäre Hilfe vom Ausland her möglich.

Dem Kamillianerbruder David L. Giordan ist das „Reich der Mitte" nicht unbekannt. Bereits vor 50 Jahren arbeitete er als Missionar und Lepraspezialist in der Provinz Yunnan, bis er sechs Jahre später wie alle anderen ausländischen Missionare aus China vertrieben wurde. Seitdem lebt er auf Taiwan. Jetzt konnte der mittlerweile 71jährige Ordensbruder wieder an seinen früheren Wirkungsort zurückkehren und erste Hilfsmöglichkeiten für diese Ärmsten der Armen Chinas auskundschaften. Bisher hat Bruder David einige Lepradörfer im an Laos und Vietnam angrenzenden Yunnan besucht, so das Leprosorium der Hauptstadt Kunming, das früher von Kamil-lianern betreut wurde. Heute liegt es 90 Kilometer von der Stadt entfernt und ist nur über schlechteste Straßen erreichbar. Der Besuch war für den Ordensbruder ein Schock: „Ein so brutales Elend habe ich in meiner 50jähri-gen Tätigkeit als Missionar noch nicht erlebt... Die Verantwortlichen haben mir zu verstehen gegeben, daß die Leprosen unnütze Menschen sind, eine Gefahr und Belastung für die Gesellschaft. Je eher sie zugrunde gingen, desto besser sei es für alle."

Die Einsamkeit und Trostlosigkeit, in der die Kranken inmitten einer unbewohnten und schlangenverseuchten Berggegend hausen, ist erschütternd. Die armseligen Hütten verfügen weder über sauberes Trinkwasser, noch stehen ausreichend Nahrungsmittel zur Verfügung, geschweige denn regelmäßige ärztliche Betreuung. Manche Kranke werden wie Tiere angekettet, weil sie neben der Lepra angeblich auch noch geisteskrank sind.

Die Kranken leben völlig isoliert. Die einzige Brücke zur Außenwelt bilden einige Kinder aus der Umgebung, die sie wie tröstende Engel in ihrer Einsamkeit besuchen. Ein Verantwortlicher der Gesundheitsbehörde, der den Ordensbruder auf seiner Reise begleitet hatte, hält die Lebensbedingungen in diesem Lepradorf noch für günstig: „Die hier haben noch eine Lebenschance, aber in den abgelegenen Gegenden werden die Leprakranken auch heute wie eh und je in der kommunistischen Ära besei-tigt."

Nicht viel anders sah es in dem zweiten, früher von Kamillianern geleiteten Leprosorium von Chaotang aus, das Bruder David besuchen konnte. Überall löste sein Kommen große Freude und noch größere Hoffnungen aus, und die Behörden zeigten sich mit jeder Form von Hilfe durch die Kamillianer einverstanden.

Die chinesische Südwestprovinz Yunnan ist eine der ärmsten Provinzen Chinas. 39 Millionen Menschen leben auf rund 390.000 Quadratkilometern, das ist etwa fünfmal so groß wie Österreich. In den 110 Lepradörfern sind 10.000 Kranke registriert. Mindestens 2.000 von ihnen haben die ansteckende Form der Lepra und müßten unbedingt isoliert werden. Doch es gibt weder eine Lepravorsorge noch eine Leprabetreuung. So ist der Krankheitsverlauf der jährlich 500 bis 600 neuentdeckten Fälle meist auch schon so sehr fortgeschritten, daß die fürchterlichen Wunden und Verstümmelungen nicht mehr geheimgehalten werden können. Dabei ist die Leprakrankheit, eine Infektionskrankheit ähnlich der Tuberkulose, in ihrem Anfangsstadium dank moderner Medikamente nahezu vollständig heilbar, wobei Verlust oder Beschädigung von Gliedmaßen nicht rückgängig gemacht werden können. Begünstigt wird die Leprainfektion durch Hunger, unsauberes Trinkwasser und mangelnde Hygiene - alles Faktoren, die auf die Lepradörfer im Yunnan erschreckend zutreffen. Lepra ist eine Krankheit der Armut, und die Armen sind ihre Opfer, überall auf der Welt.

Notwendig ist neben der Akutbehandlung der Lepra eine Präventivmedizin, auf die die rund 100 Gesundheitszentren in Yunnan kaum vorbereitet sind. So fehlen zum Beispiel fast überall die für eine sichere Lepradiagnose unbedingt notwendigen Mikroskope. Die Anschaffung einer genügenden Anzahl von Mikroskopen ist deshalb ein erstes Ziel unserer Leprahilfe. Aber ebenso geht es um menschlichen Kontakt, Annahme der Kranken und Ermutigung aus dem Evangelium, um die schreckliche Isolation der Leprakranken zu überwinden.

Vor 50 Jahren wurde der Kranken-pflegeorden der Kamillianer zum erstenmal zu den Leprakranken Chinas gerufen. Jetzt rufen die Behörden des Landes die Kamillianer erneut - eine einmalige historische Chance, die wir nützen müssen, auch wenn es große Opfer erfordert. Für unsere auch von anderen Ordensgemeinschaften mitgetragene Leprahilfe in China erbitten wir:

■ Medikamente und Verbandmaterial. Die Heilung eines Leprakranken kostet bis zu 2.000 Schilling. Jeder Schilling trägt hier zur Heilung vieler bei.

■ Prothesen ermöglichen Arbeit und neue Lebenschancen und können von den Behinderten selbst hergestellt werden. Eine Prothese kostet zirka 500 Schilling.

■ Nahrungshilfe: Unterstützung der bedürftigsten Leprakranken durch monatlich einige zusätzliche Schalen Beis.

■ Laboreinrichtungen und Mikroskope zur Früherkennung der Lepra. Immenses Leid läßt sich durch eine rechtzeitige Diagnose der Lepra verhindern. Eine einfache Laboreinrichtung kann bis zu 12.000 Schilling kosten.

Der Kamillianerorden steht im Kampf gegen die Lepra weltweit an vorderster Front: in Thailand, Laos und Vietnam und jetzt auch in China. Auf zwölf bis 15 Millionen wird weltweit die Zahl der Leprakranken geschätzt, mehrere Hunderttausend warten allein in China auf Hilfe. Wir bitten Sie anläßlich des Weltlepratages: Bitte, unterstützen Sie das Hilfsprogramm unserer Leprahilfe und geben Sie mit Ihrer Spende den Leprakranken Chinas eine Chance.

Der Autor ist

Leiter des Gesundheitsdienstes, der Kamillianer Österreichs. Dieser Ausgabe der furche liegt ein Zahlschein für die Unterstützung dieses Projektes bei Wir danken unseren Lesern im voraus für ihre Spende.

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