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Österreich und Deutschland

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Noch bevor der Nationalsozialismus im Gefolge der Jännerwahlen 1933 die Herrschaft über Deutschland gewann, waren an den Gegensätzlichkeiten österreichischer und deutscher Politik alte Freundschaften zerbrochen. Bis in die Zeit des großen Zen-trums-führers Windthorst und des Bismarck-schen Kulturkampfes der siebziger Jahre reichten die, wenn auch losen Beziehungen zwischen den Konservativen Altösterreichs und dem deutschen Zentrum zurück. Durch alle Welt ging damals das ' Ruhmeswort Leos XIII. „Germania docet“; die soziale Gesetzgebung Deutschlands, seine wissenschaftlichen Leistungen, seine organisatorische Kraft und Ordnung flößten nicht nur in Österreich Bewunderung ein und gälten der Nachahmung würdig. Zwischen dem politischen Lager der Katholiken Deutschlands und den Christlichsozialen Luegers und später Seipels verengerte sich die Fühlung; wenn sie auch mehr auf persönlichen Verbindungen, denn auf praktischer Zusammenarbeit beruhte, so konnte man doch von einem brüderlichen Verhältnis grundsätzlich einander nahestehender und sich gegenseitig befruchtender politischer Gemeinschaften sprechen. Bis dann die Jahre nationalen Taumel, kamen und der Riß begann, der von Jahr zu Jahr tiefer wurde. Er drückte sich öffentlich in dem polemischen Verhalten führender Zentrumsblätter gegen die Anschlußgegnerschaft der österreichischen Christlichsozialen aus. Wie tief sich die gegenseitige Entfremdung ein-fraß, offenbarte sich, als der größte Verband katholischer Jung- und Altakademiker des ganzen deutschen Sprachgebiets nach fast siebzigjährigem Bestand gesprengt wurde, weil die Österreicher es ablehnten, ;ür die Erhaltung der Gemeinschaft das Eigenrecht Österreichs preiszugeben. Was dann nach dem März 1938 an praktischem Anschauungsunterricht amtlich und durch eine Masseninvasion unerfreulicher Elemente geschah — die siebenjährige Haft unter einem Herrschaftssystem, das nicht nur so war, weil es ein nationalsozialistisches, sondern ein völlig fremdartiges und dem Österreicher geschmackswidriges war, ist für unser Volk zu einem erschütternden Erleben geworden. Dieses geschichtliche Kapitel ist durch einen zornigen Abschied zwischen Österreich und Deutschland abgeschlossen worden, einen Abschied voll der Bitternisse. Aber es mußte wohl so kommen, um ein für allemal' einzuprägen, wie widersinnig und gefährlich es ist, tief in die Wesensart der Menschen und die Staatengeschichte eingekerbte Grenzen aufheben zu wollen.

Nun melden sich Stimmen einer auch in Deutschland sich vollziehenden Revision der nationalen' Vorstellungswelt, deren verhängnisvolle Ideologien das einstige stolze Reich aus Macht, Reichtum und Glanz in Armut, Fremdbesatzung und politische und seelische Zerrissenheit stürzten und ün-abwägbare Werte, Beziehungen von Volk zu Volk, verdarben. Die „Frankfurter Hefte“, diese hochstehende Zeitschrift für Kultur und Politik, veröffentlichten kürzlich zum Thema einen Aufsatz, der mit erfrischendem Freimut die Vergangenheit durchschürft und zu Erkenntnissen vordringt, die auszusprechen selbst vor der Hitler-Ära in Deutschland ein Wagnis gewesen wäre. Wie hätte es in dem damaligen Lande der Femgerichte und der blutigen '„Saalschlachten“ gegen Andersgesinnte jemand, ohne gesteinigt zu werden, unternehmen können, den „Anschluß“ der „Torheit eines von Machtstreben erfüllten, mechanistischen deutschen Staatsdenkens“ zuzuschreiben und herauszusagen: „Die Österreicher waren und sind wohl Deutsche, aber weder Klein- noch Großdeutsche, und ihr Staat deutschen Ursprungs war so wenig svfs die deutsche Schweiz als Reichsteil denkbar, zu vergleichen etwa mit Westfalen oder Württemberg. Die Meinung, jemals diesen Rest der alten Monarchie mit seinem wie auf einer Insel bewahrten Lebensstil in einen von Berlin aus gelenkten Einheitsstaat einschmelzen zu können, war Selbstbetrug und Täuschung der Umwelt *.“ Damit rührt der Autor der „Frankfurter Hefte“ an eine-Grundursache, warum der Angriff des deutschen Zentralstaates auf Österreich mißlingen mußte: er versuchte die politische Lebensform Österreichs auszulöschen, die föderalistische Natur, die geschichtlich gewachsen, viel älter ist als der Titel „Bundesstaat“, begründet in der altösterreichischen Länderverfassung, einem maßvoll geübten, aber mit Zähigkeit gehüteten Staatsrecht, . das sich auch inmitten des liberalen zentralistischen Staates behauptete, weil es in der Denkungsart jedes Österreichers verwurzelt ist. Wahrscheinlich wäre der Versuch, das österreichische Wesen zu zermalmen, im Ablauf der Zeit auch dann gescheitert, wenn Hitler “den Krieg gewonnen hätte.

Die - zitierte Frankfurter Untersuchung bestätigt die Endgültigkeit der Wahrheiten, die aus den gewonnenen-Erfahrungstatsachen festzustellen sind — daraus, daß „mehr denn je grundsätzliche Gesichtspunkte Geltung haben, die den Wesensunterschied der beiden Völker betreffen. Zwischen Lindau und Bregen z, Kiefersfelden und Kufstein, Passau und Schärding ist nun wirklich eine Grenz e.“ Ruckartig habe sieb psychologisch 1945 Österreich von Deutschland entfernt, glaubt der Frankfurter Beobachter mit feiner Bitterkeit im Tone sagen zu müssen, wenn er auch entschlossen ist, sein Urteil „nicht von verdrängten Gefühlen leiten zu lassen“. Welche Tatsachen zu dem Auseinanderleben der beiden benachbarten Völker — der deutsche Autor gebraucht bezeichnenderweise immer wieder diesen Ausdruck zur strengen Sonde-run;,' österreichischer und deutscher Individualität — geführt haben? Vor allem die eine, daß auf dem gegenüber Preußen um ein halbes Jahrtausend älteren österreichischen Kulturboden eine ganz andere Entwicklung auch der menschlichen Charakterzüge, noch vertieft durch die Vielvölker-politik der alten Monarchie, sich vollzog als im preußischen Staat und Volk, in dem nachteilig in seinem auf Binnenkraftentfal-tung gerichteten, daher um die Umwelt recht unbekümmerten Streben ein solches Werden fehlte. „Der aberwitzige Haß, den Hitler gegen Wien hegte, gegen die Stadt, die der früchteschwerste Ast der deutschen Kultur war, zeigte so recht, daß sein Reich mit jene? Entwicklung nichts zu tun haben wollte — trotz allen oberflächlichen Beteuerungen.“ In seiner schonungslosen Analyse des preußisch-deutschen Irrtums sagt zusammenfassend der westdeutsche Verfasser:

„Gestehen wir, daß die kritiklose Übertragung des modernsten preußischen Drills auf Österreich — auch im Zivilen und Kulturellen — den deutschen Kandidaten sozusagen schon bei der ersten Prüfungsfrage im europäischen außenpolitischen Examen durchfallen ließ. Österreich ist — wir wollen uns diese Vorstellung angewöhnen. — für die Deutschen eine Brücke zu einer andersartigen Welt. Es wohnt außerhalb unseres etwas begrenzten Gefühls- und Gesichtsfeldes an einem archimedischen Punkt, von dem aus man die Welt wohl nicht aus den Angeln- heben — warum gleich? — aber doch neu begreifen kann.“ Daraus die Folgerung: „Da beide Partner für einander zu alt, zu starke Individualitäten sind, um je nochmals eine Ehe eingehen zu können — gar nach, diesen Erfahrungen —, kommt nur Freundschaft in Frage. Die Westalliierten wissen sehr wohl, was Österreich, dieses Kultur-Clearinghaus in einer verrohenden Welt, bedeuten kann und soll, und sie sind gewillt, seine Existenz zu bewahren zum Segen der Menschheit, die sich eines Tages nach solchen Oasen sehnen wird. Wenn daher wieder Brücken geschlagen werden sollen, dann nur unter Anerkennung der von 1945 an unabänderlichen Tatsache n.“

Diese Sprache würde auch dann aufhorchen machen, wenn nicht ihre Warmherzigkeit sympathisch empfunden würde. Man vernimmt sie aus einem Organ, das als einer der vornehmsten Trager der Geistigkeit des heutigen Deutschlands gilt. Wird diese resolute Schlußfolgerung aus dem zweiten großen tragischen Konflikt Preußen-Deutschland und Österreich dem deutschen Denken einverleibt, so ist für die Zukunft dem Frieden an einer der empfindlichsten Zonen der europäischen Ordnung ein Wall aufgerichtet. Und wenn es hüben und • drüben Wunden gegeben hat, so werden sie gegenseitig leichter vergesse^ und verziehen sein.

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