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Österreich und die Frage der Nordostpassage

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Die Epoche der großen neuzeitlichen Entdeckungsfahrten wurde durch den portugiesischen Prinzen Heinrich den Seefahrer eingeleitet. In ihrem Verlauf entdeckte bekanntlich Kolumbus 1492 Amerika und Vasco da Gama 1498 um das Kap der Guten Hoffnung herum den Seeweg nach Indien.

Die Portugiesen scheinen jedoch bereits vor Kolumbus einen nördlichen Seeweg nach Indien gesucht zu haben, denn als Dänemark 1472 die Admirale Pining und Pothorst nach Grönland sandte, nahmen auch zwei Portugiesen — der ‘eine war Corte-Real — an dieser Fahrt teil. Diese dänisch-portugiesische Expedition segelte von Grönland nach Labrador und wahrscheinlich auch nach Neufundland und hat somit bereits 20 Jahre vor Kolumbus Amerika entdeckt.

Im Jahre 1497 entdeckte aber auch der Genuese Giovanni Cabotto (später John Cabot) unter dem Schutze des englischen Königs Labrador oder Neufundland und wahrscheinlich auch Neuschottland. Seine Reise leitete die lange Reihe aller jener Expeditionen ein, die eine nördliche und in diesem Falle nordwestliche Durchfahrt nach Indien suchten.

In erster Linie war England um die Auffindung eines neuen Seeweges bemüht, da die wirtschaftlichen Vorteile, welche der Besitz der neuen Länder bot, ausschließlich Spanien und Portugal zugute kamen.

Völlig neue Ausblicke eröffneten sich jedoch, als das Werk des österreichischen Diplomaten und Gelehrten, Siegmund von Herbersteins „Rerum mosoovitarum com- mentarii”, 1549 in Wien erschien. Herberstein weilte 1517 und 1526 als Gesandter Maximilians I. und Karls V. in Moskau und brachte zum erstenmal einige Klarheit in die bisher reichlich phantastischen Vorstellungen vom geographischen Bild des Nordteiles der Alten Welt. Die sagenhaften Rhi- päischen Alpen, die als Heimat des Nordwinds galten, verschwanden auf den Karten und machten dem Ural Platz, und ähnlich erging es den Amazonen, hundsköpfigen Menschen, menschenfressenden Einfüßern und den jenseits des Nordwinds wohnenden glücklichen Hyperboräem, mit denen die Antike und das frühere Mittelalter das nördliche Land der Kälte bevölkert hatten.

Da aber Herberstein die Eismeerküste bis zum Ob in eine vielversprechende Nahe zu China rückte, setzte sich die Ansicht fest, daß Ostasien auf diesem Wege leicht zu erreichen sei. Somit hat Herberstein von Wien aus den ersten Impuls zur Auffindung einer Nordostpassage gegeben.

Der Sohn John Cabots, Sebastian, griff diese Gedanken auf und gründete in London eine Handelsgesellschaft zur Entdeckung neuer Länder auf diesem Wege. Eine Reihe von Expeditionen, zuerst der Engländer, dann aber auch der Holländer, war die Folge. Nowaja Semlja, das der Küstenbevölkerung des Eismeeres schon seit langem bekannt war, erschien bereits 1569 auf den Karten von Mercator als Nowa Zemla, und 1596 entdeckten die Holländer Svalbard (Spitzbergen und Inseln), das sicherlich schon den alten Norwegern bekannt war und als „kalter Rand” Grönlands gegolten hatte.

Die Holländer begnügten sich bald mit dem Walfang auf Spitzbergen und auch die Engländer zogen sich, seitdem Wood nach seiner 1676 nahe Nowaja Semlja gescheiterten Expedition als entschiedener Gegner der Nordostpassage aufgetreten war, aus dem No- waja-Semlja-Meer zurück, dieses den Walfängern der Eismeerküste überlassend.

Zweihundert Jahre später griff die österreichisch-ungarische Nordpolexpedition 1872 bis 1874 unter Karl Weyprecht und Julius Payer die alte Frage der Nordostpassage um das nördliche Eurasien wieder auf. Sie verfolgte jedoch keine merkantilen, sondern nur rein wissenschaftliche Interessen. Ihre ursprüngliche Absicht war, auf Kap Tscheljuskin, den Neusibirischen Inseln oder auf neu zu entdeckenden Ländern zu überwintern und den Rückweg über die Beringstraße zu nehmen, die jedoch Payer selbst für kaum erreichbar hielt.

Obwohl eine wissenschaftliche Vorexpedition Weyprechts und Payers im Jahre 1871 im Barentsmeer günstige Eisverhältnisse angetroffen hatte, wurde der „Tegetthoff” im Jahre 1872 schon an der Nordwestküste Nowaja Semljas vom Eise eingeschlossen und nach Norden entführt.

Nach einer mehr als einjährigen Drift sichtete die Besatzung am 30. August 1873 ein großes unbekanntes Land. Payer Schilden die Entdeckung folgendermaßen: „Jahrtausende waren dahingegangen, ohne Kunde von dem Dasein dieses Landes zu den Menschen zu bringen. Und jetzt fiel einer geringen Schar fast Aufgegebener seine Entdeckung in den Schoß — als Preis ausdauernder Hoffnung und standhaft überwundener Leiden, und diese geringe Schar, welche die Heimat bereits zu den Verschollenen zählte, war so glücklich, ihrem fernen Monarchen dadurch ein Zeichen ihrer Huldigung zu bringen, daß sie dem neuentdeckten Lande den Namen Kaiser-Fnanz-Josefs- Land gab.”

Wegen widriger Wetter- und Eisverhältnisse konnte das Land selbst erst am 1. November desselben Jahres betreten werden. Julius Payer unternahm drei längere Schlittenreisen, die ihn bis 82® 05’ nördlicher Breite führten. Hier blickte er am 11. April 1874 über das weite nördliche Land: „Von erhabener Schönheit war diese ferne Welt. Von einer Anhöhe aus übersah man die dunkle Wake (eisfreie Rinne im Meer) mit den Perlen ihrer Eisberge; schwarze Wolken lagen darüber, durch welche die glühenden Strahlen der Sonne drangen, herab auf die glitzernden Wasser… Aus anscheinend ungeheurer Höhe traten die Eisgebirge von Kronprinz-Rudolfs-Land in rosiger Klarheit durch die wallenden Dünste, und Vogelscharen durchzogen das stille Reich.”

Im Mai 1874 verließ die Expedition das Schiff und erreichte über das Eis und später in Booten Nowaja Semlja, wo die Besatzung schließlich von russischen Fangschiffen aufgenommen wurde.

Der österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition folgten weitere Unternehmungen in diesem Raum. Schon 1874 erreichte auf Grund der Bemühungen der sibirischen Großkaufleute Sidorow und Sibirjakow ein Handelsdampfer unter Kapitän Wiggins die Mündung des Ob und im nächsten Jahre drang die Expedition Nordenskjölds bis zur Mündung des Jenissei vor. In den Jahren 1878 und 1879 führte dann Nordenskjöld mit Unterstützungen seitens des schwedischen Königs und Sibirjakows mit einer Überwinterung die erste Durchfahrt nach Jokohama erfolgreich durch.

Inzwischen ist es Sowjetrußland gelungen, die alte Frage der Nordostpassage dauernd und endgültig zu lösen. Mehr als 50 Stationen und Observatorien stehen im Dienste dieses Schiffahrtsweges und zahlreiche Expeditionen erforschten die russische Arktis. Allerdings ist diesen Bestrebungen die seit 1920 beobachtete Erwärmung der Atmo- und Hydrosphäre der Arktis zugute gekommen. Heute hält diese Erwärmung noch an. Eventuellen Rückfällen in frühere schlechte Eisverhältnisse kann jedoch in Zukunft mit einer Verstärkung des Flugverkehrs begegnet werden.

Sowjetrußland hat im Jahre 1926 das Franz-Josefs-Land, das bis dahin als „terra nullius” (Niemandsland) galt, in seinen Arktissektor einbezogen und dort ein Observatorium und einen Flughafen mit Wetter- und Funkstation eingerichtet. Von der Teplitzbucht auf der (Kronprinz-) Rudolfs- Insel starteten im Jahre 1937 vier viermotorige Flugzeuge aus Moskau zum Pol, um dort Papanin und seine drei Gefährten auf driftender Eisscholle auszusetzen.

Semlja Franza Josifą und Ostrow Rudolfą bilden für Sowjetrußland das Sprungbrett zum Pol.

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