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Österreicherin als Kaiserin der Franzosen

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MARIE-LOUISE UND NAPOLEON (1813 bis 1815). Die unveröffentlichten Briefe der Kaiserin mit den Briefen Napoleons zusammengestellt und kommentiert von C. F. P a 1 m s t i e r n a. C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung, München. 274 Seiten.

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MARIE-LOUISE UND NAPOLEON (1813 bis 1815). Die unveröffentlichten Briefe der Kaiserin mit den Briefen Napoleons zusammengestellt und kommentiert von C. F. P a 1 m s t i e r n a. C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung, München. 274 Seiten.

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Zu den auf das mutwilligste und verständnisloseste verleumdeten Gestalten der Napoleonische Ära gehört unstreitig die österreichische Kaisertochter Marie-Louise, von ihren in Mythologie und Antike versierten Zeitgenossen zutreffend die „moderne Iphigenie“ genannt. Die noch vor dem Tod Napoleons einsetzende Legende, die seine Anhänger in aller Welt verbreiteten, hat nur allzu oft die Geschichte auf das willkürlichste umgefälscht, indem sie den von ihrem Idol selbst herbeigeführten Sturz auf Verrat oder Unfähigkeit seiner Umgebung zurückzuführen versuchte.

Noch bevor seine Lieblingstochter das elfte Lebensjahr vollendet, hat Kaiser Franz ganz ernsthaft seiner Schwiegermutter, Marie-Karoline von Neapel, versichert, er wäre bereit, seine „Louise!“ dem Ersten Konsul Bonaparte zur Frau zu geben. Sieben Jahre später, nach zwei verlustreichen Kriegen, durch die Österreich zur Machtlosigkeit verurteilt, von allen bisherigen Alliierten verlassen und nachdem aas Terrain in Wien sondiert worden war, wurde die Werbung.—was immer die französische Historik behaupten mag — angenommen. Um jedwede Bedenken des Kaisers Franz zu zerstreuen, leugnete Metternich das Bestehen der Ehe Napoleons mit Josephine, die der durch Kaiser Napoleon unter Druck gesetzte Pariser Offizialat am 9. Jänner 1810 eigenmächtig für ungültig erklärt hatte, wodurch anderseits auch der Erzbischof von Wien, Hohenwart, beruhigt war. In dieser Sachlage wird die Vermählung per procurationem in Wien auf den 11., die Abreise nach Frankreich auf den 13. März festgesetzt. Wie Marie-Louise nach Jahren ihrer Tochter San-Vitale eingestand, war sie damals gleichzeitig in ihres Vaters Bruder Ludwig und in den Herzog Francesco von Modena verliebt. Dennoch unterwarf sie sich schweren Herzens dem Willen ihres Vaters.

Wie immer die erst achtzehnjährige, weltfremder als ihre Altersgenossinnen in anderen Kreisen herangewachsene Kaiserin in den nach Hause gesandten Briefen alles und jedes loben und preisen mochte, so schenkte diesen Beteuerungen niemand in ihrer auf anderen Wegen informierten Familie« irgendwie Glauben. Im damals,«geführten . Tagebuch beklagt sie' sich , wegen des Lebens/ das sie inmitten, der Familie Bonaparte und den Gästen dės Tuilerien- hofes führen muß. Obgleich šie die französische Sprache vollkommen beherrscht, vermag sie aus Schüchternheit geraume Zeit nicht, mit Personen Kontakt zu finden, welche ihr außerhalb des für den Alltag bestimmten Rahmens vorgestellt werden.

Neben Napoleon, der die oberste Leitung aller Zweige der Regierung in seiner Hand behielt, war für Marie-Louise nicht einmal auf karitativem Gebiet ein Betätigungsfeld frei. Wie an jedem Hof, war der erste Platz an der Seite des Souveräns der Souveränin vorbehalten. Als solche hat Marie-Louise durch ihre vornehme Haltung und natürliche Würde, mit der sie in den Jahren 1812—1814 als Regentin zum Beispiel den Vorsitz im Ministerrat führte oder in der Öffentlichkeit erschien, allen in sie gesetzten Erwartungen entsprochen.

Bis zum Abschied am Morgen des 25. Jänner 1814, als Napoleon Gattin und Kind zum letztenmal umarmte, hatte Marie-Louise insgesamt nur zwei Jahre und zehn Monate unmittelbar an seiner Seite verbracht.

Unter dem Schutz ihres mit Ausnahme des getreuen Sekretärs Mėneval wenig vertrauenerweckenden Hofstaates verließ die Kaiserin mit ihrem Sohn wegen des bevorstehenden Einmarsches der Alliierten die Tuilerien, um sich in Blois niederzu- lassen, von. wo sie mit ihrem Gatten zu-

sammenzutreffen entschlossen war. Am 9. April wird sie jedoch durch den russischen General Schuwaloff nicht, wie er es versicherte, zu Napoleon nach Fontainebleau, sondern über Orleans nach Rambouillet gebracht. Durch Kaiser Franz, der sie dort besucht, erfährt sie die Abdankung ihres Gatten und daß im Vertrag von Fontainebleau (11. April) ihr die kommen beruhigte. Doch allmählich wurde in ganz Parma, nur der Mutter nicht, bekannt, wie ernst der Zustand des Prinzen war. Marėschall sieht sich schließlich gezwungen, Metternich den Ernst der Situation klarzulegen. Der Staatskanzler nahm jedoch diesen Bericht bloß zur Kenntnis und wartete einen ganzen Monat, um Kaiser Franz zu ersuchen, seine Tochter an das Krankenlager ihres Sohnes zu rufen. Endlich, am 11. Juni 1832, verließ sie Parma, in hellster Aufregung darüber, daß sie ihre Kinder zurücklassen mußte. Am 24. Juni langte sie in Schönbrunn an: „Als der Prinz seine Mutter eintreten sah, richtete er sich im Bett auf; sie fielen einander um den Hals, und die Erzherzogin soll mit Emotion gesagt haben, daß sie da sei. um während seiner Krankheit die Stelle der Krankenwärterin zu versehen.“ Einen vollen Monat hat Marie-Louise, die seit langer Zeit das Gefühl nicht unterdrücken konnte, für den Wiener Hof eine Verlegenheit zu bedeuten, das qualvolle Hinscheiden ihres Sohnes mitansehen müssen.

Die letzten Jahre ihres freudlosen Daseins hat Marie-Louise, seit 1834, mit ihrem dritten Gemahl, Graf Bombelles, in Parma verlebt. Als im Dezember 1847, inmitten des die Revolution des folgenden Jahres ankündigenden Wetterleuchtens, die Nachricht von ihrem Tod in Wien eintraf, stellte Melanie Metternich, die gefürchtete dritte Gattin des Staatskanzlers, Marie-Louise ein ihr zur Ehre gereichendes Zeugnis aus: „Am 21. kam die Nachricht vom Tod Marie-Louisens. Ich betrachte dies Ereignis als ein großes Unglück und eine Quelle neuer Verwicklungen für Italien.“ So hat die Kaisertochter, allerdings anders, als Metternich es 1810 gedacht hatte, nicht umsonst sich der Dynastie geopfert.

Die im vorstehenden gebrachten Feststellungen haben den hier fehlenden Rahmen für den Briefwechsel zu ersetzen gehabt. Durch diesen Mangel, der behoben werden sollte, ergibt sich im Charakterbild der Kaiserin eine Ungereimtheit zwischen den ihr zur Ehre gereichenden Briefen mit der sie herabsetzenden Legende, von welcher sich der Herausgeber nicht völlig zu emanzipieren vermocht hat, obgleich er an der Hand der zahlreichen, in der erwiesenermaßen benützten Biographie der Kaiserin des hier nicht erwähnten Unterzeichneten Dokumente so manches zu ergänzen und richtigzustellen gehabt hätte.

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