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„Papa Giovanni“

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I. durch die verrammelte Tür. Ihnen trat der Kardinaldekan Eugene Tisserant entgegen und schrie erregt:

„Hinaus mit euch! Hinaus!“

„Hier befiehlt nur der Papst!“ wagte einer der Prälaten zu antworten. Der bärtige Dekan des Heiligen Kollegiums und einstige französische Offizier packte zwei der Uebeltäter am Arm und war dabei, sie zur Tür hinauszudrängen:

„Ihr seid alle exkommuniziert!“

„Schon absolviert!“ hörte man hinter seiner Schulter sagen. Es war Johannes XXIII., der die Szene belustigt beobachtet hatte. „Ihr seid alle Monsignori!“ rief er dann in die festlich gestimmte Schar, so guter Laune wie weiland Kaiser Karl, V., als er 1541, in der sardinischen Stadt Alghero vom Balkon aus der ihm huldigenden Menge zurief:

„Estode todos caballeros! Ihr seid alle Ritter!“

Hier allerdings handelte es sich um keine Rangerhöhung, sondern um eine Wiederbestätigung. Jeder Beamte geistlichen Standes an der Kurie trägt den Titel „Monsignore“; aber mit dem Tode jedes Papstes “erlischt Auftrag und Titel, rein theoretisch natürlich, denn der neue Papst pflegt sie alle zu bestätigen, schon um das

HB

Räderwerk der kirchlichen Verwaltung nicht zum Stillstand zu bringen. Die Veränderungen kommen erst nachher, langsam, auf leisen Sohlen. Unter den ihm Huldigenden gab es manche alte Freunde, sein Weihbischof in Venedig etwa, Monsignor Olivotti. Er sank dem Papst zu Füßen, aber dieser zog ihn empor und sagte:

„Komm, mein Sohn, steh auf und gib mir lieber einen Kuß; ich bin an solches noch nicht gewöhnt; ach, ich werde-mich auch daran gewöhnen!“

IV.

Papst Roncalli hat sich an manches noch nicht gewöhnt, er sagt immer noch „ich“ statt „Wir“, er durchwandert die Vatikanstadt und den Apostolischen Palast voll Neugierde, ohn“ Begleitung anzufordern, seinen , Spaziergang durch die vatikanischen Gärten macht er, ohne durch die päpstlichen Gendarmen vorher Gärtner und Besucher wegweisen zu lassen, in der vatikanischen Rundfunkstation tauchte er auf, ohne daß ihn der Direktor hätte empfangen können, und unterhielt sich lange mit Journalisten und Technikern. Es ist möglich, dem Papst irgendwo im Vatikan auf seinen Wegen zu begegnen, und wäre seine Kleidung nicht, so könnte man ihn für einen beliebigen Prälaten halten, der aus der Provinz gekommen ist, um hier seine Angelegenheiten zu regeln.

Und Angelo Roncalli, der seine Spaziergänge künftig nicht in Dokumenten versunken allein machen will, sondern in Begleitung und diskutierend, fühlt sich nicht nur als Souverän dieses winzigen Staates, sondern auch als sein Pfarrer und möchte jeden Winkel und jeden Einwohner kennen. Alles das ist hier ungewöhnlich, es setzt manchen alten Höfling in Verlegenheit, der sich für die Sicherheit, den Abstand und die Erhabenheit des Papstes verantwortlich glaubt. Die drei letzten Päpste, Pius XII., Pius XL, und Benedikt XV.. hatten an den kleinen Dingen der Vatikanstadt niemals besonderes Interesse gezeigt, und man muß bis auf den anderen Patriarchen von Venedig, auf Papst Pius X., zurückgehen, um ähnliche gutmütige Gefühlsnähe zu finden.

• V.

Der fast 77jqh.rige Papst Roncalli ist von bester Gesundheit und steht mit seinem venezianischen Arzt, Professor t Paolo Vecchierutti, auf dem besten Fuße, auch weil ihm dieser noch niemals eine Medizin verschrieben hat.

Johannes XXIII. glaubt, keinen Leibarzt, Archia-tra, nötig zu haben, wenn ihn Vecchierutti hin und wieder aus Venedig besuchen kommt. Es ist verbürgt, daß der Patriarch von Venedig seinen Arzt einmal mit den Worten empfing:

„Sie sehen' abgemagert aus, mein Lieber, was ist Ihnen widerfahren? Sie sollten einmal zum Doktor gehen!“

Damit war die „ärztliche Visite“ zu Ende.

Die gute Gesundheit und die stetig gute Laune gestatten Johannes XXIII. einen intensiven Arbeitstag. Die Bürde hat ihn freilich zunächst erschrecken lassen. Aus seinem Arbeitszimmer in die Anticamera herausblickend und die Menge der wartenden Besucher erstaunt sehend, rief er aus:

„Dio benedetto! Wieviel Leute! Laßt mir doch Zeit, den Beruf zu erlernen, laßt doch, daß ich etwas Praxis gewinne!“

Er sagte es in seinem so sympathischen Berga-masker Akzent, daß die Wartenden lächelten und sich in neue Geduld faßten.

Papst Roncalli hat sofort nach der Wahl bekanntgegeben, daß er die Visiten „a tabella“ wieder einführen wolle. Er kehrt damit zu einer alten Tradition zurück. Die zeitlich vorherbestimmten Besuche der Kurienkardinäle beim Papste im gewissen Turnus sind von Pius XII. in den letzten Jahren seines Pontifikats aufgelassen worden. Die letzte Tabella reicht vom 16. Oktober 1952 bis zum 13. August 1953. Nachher ist es den Kardinälen nur ausnahmsweise und in ganz dringlichen Fällen möglich gewesen, von Eugenio Pacelli in Audienz empfangen zu werden. Als daher Johannes XXIII. an einem einzigen Tage die Kardinäle Gerlier von Lyon, Lienart von Lille, Goncalves Cere-jeira von Lissabon und Van Roey von Mechelen empfing, war man an der Kurie starr vor Erstaunen.

VI.

In mehrfacher Weise hat Angelo Roncalli zu erkennen gegeben, daß er zu alten Gewohnheiten und Traditionen zurückkehren will, wenn sie ihm gut erscheinen. Er hat dem Sekretär des Konklaves, Monsignore Alberto Di Jorio, sofort nach seiner Wahl das eigene „Zucchetto“ aufs Haupt gesetzt und ihn damit zum Kardinal erhoben; das Heilige Kollegium umfaßt daher wieder 54 Mitglieder wie vor dem Tode des Erz-bischofs von Detroit, Edward Mooney. Er hat die Stelle des Majordomus des Apostolischen Palastes wiederbesetzt, und wenn sich bewahrheiten sollte, daß der Graf dalla Torre Gouverneur der Vatikanstadt wird, ein Posten, den Eugenio Pacelli vakant gelassen hat, so ist auch hier Wandel eingetreten. Es würde dies aller-d.ngs eine „diminutio capitis“ für den bisherigen Beauftragten für die Vatikanstadt, Fürsten Carlo Pacelli, bedeuten.

Das einfache römische Volk spricht mit großer Unbekümmertheit von „Papa Giovanni“, ohne die Ziffer hinzuzufügen, die so lange ist, daß ein neuer Atemzug notwendig wäre. Die Aussprache der Ordnungszahl von 23 stößt im Italienischen auf Schwierigkeiten selbst für die zungengewandten Römer, sie haben also schließlich ganz auf sie verzichtet. Psychologisch bemerkenswert ist diese Tatsache, weil sich in der Vergangenheit niemand unterfangen hätte, kurzweg „Papa Pio“ zu sagen; es hätte Unbehagen hervorgerufen, wäre fehl am Platze erschienen. Papst Johannes XXIII. umweht eine andere Luft als Pius XII. Der Unterschied ist sinnfällig, er springt geradezu ins Auge: tausende Photos zeigten Eugenio Pacellis ernste, asketische Gestalt, die beinahe nicht mehr von dieser Erde schien, inmitten einer bis zu Tränen bewegten, erschütterten Menge; den Papst Roncalli sehen wir von Besuchern umringt, die aus vollem Herzen lachen, denn dem Munde des Oberhirten ist eben ein gutmütiges Scherzwort entflohen, in seinen eigenen Augen blitzt noch der Nachgenuß der Ironie.

Und wenn gesagt wurde, daß die Aura um Angelo Roncalli eine andere ist, so bezieht sich das auch auf die Umgebung, auf die vielen Anticamere, auf den Apostolischen Palast, die Kurie. Selbst der vatikanische „Osservatore Romano“ ist milder gestimmt, er nimmt heute die Journalisten wegen ihrer allzu ungezügelten Phantasien mit väterlicher Güte bei den Ohren, statt Blitz und Donner auf sie herabzubeschwö-ren. Die Meldungen von einer Reise des Papstes nach Lourdes und Venedig dementierend, schreibt er, daß man auf solche Weise schließlich das prophetische Wort des legendären Malachias abwandeln werde müsse: nicht mehr Pastor et Nauta, sondern Pastor et Astronauta.

II.

Johannes XXIII. hat seinen alten Freund, den greisen Chefredakteur des „Osservatore Romano“,- Grafen .Giuseppe dalla Torre. schon am Tage .nach der Wahl zu sehr früher Stunde„ genau um 6,45 Uhr, telephonisch zu sich gebeten. Dalla Torre, der innerhalb der vatikanischen Mauern, seine Wohnung hat, hatte Mühe, sich in den Frack zu zwängen, denn seit vierzehn Jahren war er vom Papst nicht mehr empfangen worden. Aus dem langen Gespräch, das, wie es scheint, einen Wechsel in der Leitung des Blattes und Ernennung dalla Torr es zum Gouverneur der Vatikanstadt zum Gegenstand hatte, ist noch bekanntgeworden, daß Angelo Roncalli den Redakteuren des „Osservatore“ sagen ließ, sie mögen doch in Hinkunft; nicht mehr Phrasen gebrauchen wie „der Auserwählte hat in seiner erleuchteten und gehobensten Ansprache...“, sondern einfach „der Papst hat gesagt...“ schreiben. Desgleichen sollte künftig nicht mehr der einleitende Satz verwendet werden: „Wir bringen nachstehend die Rede des Erhabenen, wie wir sie von seinen Lippen pflücken konnten“, weil er lächerlich ist und auch eine Unwahrheit enthält, denn es ist bekannt genug, daß Pius XII. die Texte seiner Ansprachen druckreif lieferte und zumeist auch noch die Korrekturfahnen las.

Dem Zug zur Einfachheit und Natürlichkeit in Angelo Roncalli werden die Beamten der Kurie nachgeben müssen. Als er einige Dutzende der vorbereiteten Antworttelegramme auf die aus aller Welt eingetroffenen Glückwünsche durchgelesen hatte, seufzte er tief auf und rief:

„Fronzole, fronzole! Firlefanz, Kinkerlitzchen! Laßt doch diese unnützen Schnörkel beiseite. Seid einfacher, seid herzlicher!“

Natürlich braucht alles seine Zeit, und auch die Natürlichkeit muß gelernt sein. Die vom Pressebüro des „Osservatore“ ausgegebenen Nachrichten enthielten gleich eine, man möchte sagen Routinemeldung, in der behauptet wurde, Papst Roncalli pflege außerordentlich frugal zu leben, morgens eine Tasse leichten Kaffees, ein Brötchen, ein Stück Obst.. . Die Wissenden lächeln, denn Angelo Roncalli gehört nicht zu jenen, die eine gute Küche verurteilen, er schreibt ihr im Gegenteil viel von seinen diplomatischen Erfolgen zu, und auch den Genuß eines Gläschen Weines will er sich und niemand anderem mißgönnen.

III.

Die Nachricht von der Wahl Angelo Ron-callis zum Papst hat sich an dem schicksalhaften Dienstag wie Lauffeuer durch den Apostolischen Palast verbreitet. In ihrem Enthusiasmus und in der Meinung, daß das Konklave nunmehr beendet sei, brach eine Gruppe jüngerer Beamter

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