6552462-1948_02_05.jpg
Digital In Arbeit

Radetzky

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist etwas Eigenes um die großen Feldherren Österreichs, sie sind niemals hemmungslose Eroberer gewesen, auch haben sie nie im rein Militärischen ihr Genügen gefunden, vielleicht schon aus der Erkenntnis heraus, daß die Geschichte Österreichs keine Angriffskriege aufweist, weil es hier, im Herzen des christlichen Abendlandes, immer Werte zu verteidigen, Gewordenes zu erhalten galt. Schon Wallenstein, wenn auch nicht frei vom dunklen Ehrgeiz der früheren Condottieri, verfolgte mit seinen kühnen Reformen weltweite Ziele, mochten sie erst „Dominium Maris Baltici“ heißen, später in der Erneuerung des von territorialem Egoismus befreiten Kaisertums liegen. Und Prinz Eugen, dieser selbstloseste Paladin dreier Kaiser, ist Feldherr und Staatsmann zugleich, Organisator und Wissenschaftsförderer, Vater seiner Soldaten ebenso wie Freund Lucas von Hildebrands und G. W. von Leibniz’. Schließlich Radetzky, dessen Kürassierregiment Erzherzog Karl bereits 1798 als „Lehrregiment der Armee" bezeichnet, findet nicht nur als Feldherr sein Genügen, in längerer Friedenszeit wird er zum Erzieher, zum geistigen Förderer seines Offizierskorps, wie er später noch in hohem Alter in Mailand die alte italienische Kultur dem großen Kaiserstaate einzufügen sucht. — Wallenstein, Prinz Eugen, Radetzky — ein gewaltiger Dreiklang, hinter dem die großen Feldherrn des 18. Jahrhunderts doch immer ein wenig Zurückbleiben; dem letzten Gliede dieses vollen Dreiklanges gelten die folgenden Zeilen schlichten Gedenkens.

Vielleicht war es der frühe Anruf zu persönlicher Selbständigkeit, den das Schicksal an den am 2. November 1766 zu Trzebnitz bei Tabor geborenen Josef Grafen Radetzky richtet, daß er sich so schnell im Leben zurechtfindet, daß seine frühe geistige Wendigkeit und Entschlußkraft oft auf ein gewisses unbehagliches Erstaunen seiner Vorgesetzten treffen sollte. Der spätere Feldmarschall und ungekrönte „Herzog von Mailand" verliert bei seiner Geburt die Mutter, sechsjährig seinen Vater, der Großvater, der 1. Reichsgraf Radetzky eines im 17. Jahrhundert aus Oberungarn nach Böhmen eingewanderten Geschlechtes, schickt den ob seiner frühen Lernbegierde etwas unbequemen Enkel auf das Collegium nobilium nach Brünn, von dessen Schulbetrieb dem greisen Feldmarschall in seinen späteren fragmentarischen Aufzeichnungen nur „pedantischer Schlendrian und Oberflächlichkeit in den Studien“ in Erinnerung geblieben ist. Nach seiner Ausmusterung zu den 2er-Kürassieren in Gyöngyös benutzt der junge schneidige Reiter jeden freien Augenblick zum Selbststudium, und diese Bildungsfreude, verbunden mit einem kritischen Blick, läßt ihn in dem unseligen letzten Türkenkrieg die Fehler der obersten Führung früh erkennen. Radetzky muß schon bald die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt haben: als der krank an Leib und Seele aus diesem Feldzug heimkehrende Kaiser Joseph II. den wenig glücklich operierenden Laczy durch den alten Laudon ersetzt, sehen wir den Einundzwanzigjährigen als Ordonnanzoffizier des Siegers von Hochkirch bei der Rückeroberung Belgrads. Bis zum Beginn der Kcalitionskriege füllt der junge Kapitän das ziemlich flache Garnisonsleben durch eifrige taktische Studien aus, einige Beschäftigungen, die er später immer wieder von seinem Offiziersnachwuchs verlangt und zu denen er zeitlebens durch persönliches Vorbild ermuntert. — Dabei bleibt Radetzky aber keinesfalls reiner Theoretiker, das beweist er bereits als Adjutant der Generale Beaulieu und Melas, wo er unter anderem einmal, um dem alten Reichsfeldmarschall Josiąs von Koburg eine schnelle Botschaft zu bringen, die reißende Sambre durchschwimmt, sowie er später mit seinem Re giment einen Distanzritt von 270 Kilometer, vom Tagliamento bis zur Drau, in fünf Tagen vollbringt. Erzherzog Karl, endlich der kongeniale Gegner Bonapartes, hat den Major Radetzky bereits nach Valeggio ob seines „Charakters und militärischer Kenntnisse“ lobend erwähnt, Marengo, dessen falsche Angriffstaktik Radetzky erkannte, ohne sie verhindern zu können, bringt ihm das Ritterkreuz des Maria-Theresien- Ordens, und nach Wagram wird er zum zweiten Inhaber des 5. Kürassierregimentes ernannt, jenes Regiments, das seinen Namen in der Armee mit Stolz behalten soll.

In den entscheidenden Jahren bis zu den Befreiungskriegen ringt Radetzky, wie übrigens auch der in dieser Zeit sehr mißvergnügte Erzherzog Karl, um die Reform der Wehrverfassung; seine notwendigen Forderungen scheitern — eine chronische Erscheinung in der Geschichte der österreichischen Innenpolitik — am Widerstand der Hofkammer, also des Finanzministeriums. So ist er froh, die wenig erfreuliche Stelle des Chefs des Generalfquartier- meisterjstabes mit der eines Divisionärs im böhmischen Operationskorps vertauschen zu können, bis er — auf ausdrückliche Verwendung Metternichs — 1813 den Feldmarschall Fürsten Karl von Schwarzenberg als Generalstabschef beigegeben wird. Damit hat der zielstrebige und dabei so vornehm-verbindliche Oberbefehlshaber den idealen Mitarbeiter gefunden: ihr Zusammenwirken findet im Völkersieg bei Leipzig über den korsischen Imperialismus seine Erfüllung. Diese historische Tatsache — von der kleindeutschen Geschichtsschreibung immer so gut wie verschwiegen — ist bekannt; weniger bekannt aber ist der zähe Kampf Schwarzenbergs und Radetzkys, der den großen Oktobertagen von Leipzig vorausging, die oft mehr als aufreibenden Verhandlungen, in denen es galt, 14 Alliierte für ihren gemeinsamen Operationsplan zu gewinnen. Das war ein ebenso glänzender Erfolg wie die eigentliche Überwindung Napoleons — dieses überzeugende Ringen mit der Eitelkeit Bernado'tes, dem Ungestüm Moreaus, der Starrköpfigkeit Blüchers und der Lethargie Woronzeffs, alle gutgemeinten Vorschläge dem großen Ziele dienstbar zu machen. Dies hat zum Beispiel Blüchers Generalstabschef Gneisenau jederzeit bewundernd anerkannt, das kam auch in dem Dank Schwarzenbergs an seinen treuen Mitarbeiter spontan zum Ausdrude, als er Radetzky am Abend der Völkerschlacht sein eigenes Kommandeurkreuz des Maria-Theresien-Ordens übergab, das vor ihm Laudon getragen. Dazu vermerkt der

Armeebefehl: „Feldmarschalleutnant Radetzky hat durch seinen bekannten Heldenmut und seine mit dem richtigsten coup d’oeil verbundene Tätigkeit besonders in entscheidendsten Momenten wichtigste Dienste geleistet. Seine Dispositionen ... verraten den überlegenen Geist, mit dem er den Erfolg erzielte, womit er sich neue Ansprüche auf den Dank des Vaterlandes erworben hat.“

Doch sollte auch der Ruhmgekrönte die ganze drückende Statik der kommenden

Jahre empfinden; seine Reformvorschläge, seine Hinweise auf größere Durchgliederung der Armee, auf regere Manövertätigkeit, paßten so gar nicht in die beschauliche Zeit des Biedermeiers. Um so mehr müht er sich um die geistige Belebung der Truppe, richtet seinen Offizieren „Lesekabinette“ ein, macht sie auf die Bedeutung der Presse und Fachliteratur auf merksam usw. Zwanzig Jahre bleibt Radetzky Feldmarschalleutnant und als er endlich (1829) zum General der Kavallerie ernannt wird, macht ihn Kaiser Franz zum Gouverneur von Olmütz, „zum Nachfolger eines Invaliden“, wie Radetzky in seinen Aufzeichnungen resigniert bemerkt. — Doch die Julirevolution ruft Radetzky auf ein Wirkungsfeld, auf dem er noch länger als ein Vierteljahrhundert gebieten und zu höchster Vollendung gelangen soll: es ist der heiße Boden Norditaliens. Mit selten klarem Blick erkennt der kaum alternde General die ernsten Spannungen, unter denen Italien aus einem „geographischen Begriff“ sich zu einer Nation gestalten wird, wie er auch — oft im Gegensatz zu Metternichs Allianztheorien — Preußens „deutschen Beruf" erkannt und davor gewarnt hat. Auch hier will er nicht nur für den kommenden Angriff gerüstet sein, er möchte mit allen Mitteln einen Ausgleich treffen zwischen den starken Kräften der bodenständigen Kultur und den gerechten Leitlinien der kaiserlichen Politik, doch lehnt das „Risorgimento“ all diese Versuche als Maßnahmen der „Fremdherrschaft“ rundweg ab. Als dann der Funke der Februarrevolution (1848) auf Italien überspringt, zeigt sich der nunmehr schon 82jährige Feldmarschall auf der Höhe seiner Kraft: durch seine genialen Siege bei Santa Lucia, Custozza und Novara erobert er das alte Herzogtum Mailand noch einmal für Österreich zurück, am 30. August 1849 hält er seinen Einzug in Venedig, um am Hochaltar von San Marco dankbar seinen Degen niederzulegen. Nun legt sich ein Kranz von höchsten Auszeichnungen um sein greises Haupt: der junge Kaiser Franz Joseph hat ihm bereits für Custozza das Großkreuz des Maria-Theresien-Ordens verliehen, die Stadt Wien die (erste) Ehrenbürgerschaft, den Text der Urkunde hatte Grillparzer entworfen. Am 13. September 1849 erscheint der 83jährige Marschail neben dem 19jährigen Kaiser in der Wiener Hofoper, und als stärkster Ausdruck des . all-

gemeinen Jubels rauscht zu dem greisen Sieger — vom Komponisten dirigiert — zum erstenmal der „Radetzky-Marsch“ des Vaters Strauß auf.

Noch einmal, fünf Jahre später, weilt Radetzky in Wien, um, immer noch ungebeugt, an der Hochzeit des jungen Kaiserpaares teilzunehmen; als dieses dann 1857 in Italien weilt, erbittet der 91jährige nach 72jähriger Dienstzeit seinen Abschied, der ihm „in der schmeichelhaftesten Weise" gewährt wird. — Sein Leben ist erfüllt: am 5. Jänner 1858 geht es nach kurzer, durch einen Unfall veranlaßter Krankheit zu Ende; der junge Kaiser selbst kommandiert in Wien den Kondukt, nach dessen düsterem Gepränge das Sterbliche Radetzkys in die Stille der niederösterreichischen Landschaft eingeht. — Radetzky ist zeitlebens ein Glücklicher gewesen, erfolgreicher als Erzherzog Karl, ausdauernder selbst als'Metternich, glücklich auch im Tode: Neun Tage nach seinem Heimgang, reißt das Orsinische Attentat Napoleon III., den einstigen „Car- bonaro“, zur Förderung des italienischen Risorgimento auf, ein Jahr später erfüllt sich das Schicksal der Lombardei auf den Schlachtfeldern von Magenta und Solferino. Dem Sieger von Custozza und Novara hatte ein gütiges Schicksal das Erleben dieser Wende erspart, die er vielleicht voraus- grahnt, wenn er 1849 seinem Freunde Har degg schreibt: „Den Verlust Italiens würde ich nicht überleben. Ich stehe am Ziele. Kann mir das Schicksal ein beneidenswerteres Los bereiten, als auf dem Boden zu siegen, um den wir solange blutig gerungen? Wir beide sind durch eine große Vergangenheit gewandert. Gott verhüte, daß sich unser Name am Ende unserer Tage an neue Unfälle der Monarchie knüpfen sollte.“

Der Ruhm dieser großen Persönlichkeit blieb von der historischen Entwicklung unberührt,' schon zu ihren Lebzeiten wurde sie von Zedlitz und Anastasius Grün, Vogl und Deinhardstein, Castelli und vor allem Grillparzer besungen, demselben Grillparzer, der seine „Medea" mit dem tiefen Wort geendet hatte:

„Was ist des Lebens Sinn — ein Schatten, was ist des Lebens Ruhm — ein Traum!“ — Und es greift uns doch immer noch ans Herz, wenn hie und da einmal wieder das Lied vom Prinzen Eugen oder der Radetzky- Marsch aufklingt, weil in den österreichischen Militärmärschen (man denke nur etwa an Schuberts Reitermarsch) nicht so sehr der Drill des Exerzierplatzes, sondern etwas von der Musikalität der österreichischen Seele nachzittert, voi jenem österreicher- tum, dessen Lager Radetzky durch fast ein Jahrhundert angehört, das er in sieben Jahrzehnten eines langen, überreich gesegneten Leben verteidigt hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung