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Reichsheiligtum Österreichs

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Heuer sind es 800 Jahre, seitdem der Mönchspriester Magnus vom Stifte St. Lambrecht in der Steiermark auszog, um in der Gegend des heutigen Mariazell die Seelsorge zu übernehmen. Damals errichtete er für sich und die Muttergottesstatue, die er mitbrachte, dortselbst je eine Zelle. Alsbald begann die Wallfahrt zum Bilde Unserer Lieben Frau, das der fromme Mönch im kleinen Heiligtum an einem Baumstrunk angebracht hatte.

Die Zahl der Pilger wuchs im Laufe der Jahrhunderte immer mehr. Arme und Reiche, Könige und Herzoge, Bürger und Arbeiter kamen aus der Umgebung und bald aus den benachbarten Ländern, vor allem aus Ungarn und den anderen Teilen der ehemaligen Donaumonarchie, so daß man mit Fug und Recht von einem Reichsheiligtum Oesterreichs sprechen kann.

Wenn man sich die Hunderttausende von Menschen, die seit dem Bestand der Wallfahrt nach Mariazell gepilgert sind, in diesem Jubeljahre gegenwärtig denkt, ist dies ein überwältigender Chor und mächtiger Lobpreis zu Ehren Mariens und des dreieinigen Gottes.

Wer die Geschichte der Wallfahrt von Mariazell verfolgt und sich darüber seine Gedanken macht, wie aus einer kleinen Holzkapelle eine große, mächtige Basilika wurde, aus einer bescheidenen Siedlung von Holzarbeitern und Jägern ein ansehnlicher Ort, wie die Wallfahrt gewaltig anwuchs, aber auch ihre Rückschläge hatte, der findet, daß in der Geschichte dieser Wallfahrt die Geschichte Oesterreichs sich widerspiegelt.

Die Gründung des vielbesuchten Marienheiligtums fällt noch in die Zeit des Mittelalters mit seiner christlichen Kultur. Gekennzeichnet ist diese geschichtliche Periode durch das Verhältnis des Kaiser- und Papsttums als der beiden obersten Gewalten. Eine Macht stützte die andere, so daß der Staat christlich war.

Neben der ausgeprägten christlichen Kultur und Lebensform hatte dieses patriarchalische Verhältnis auch seine Schattenseiten, wie sie sich im Kampf um die Vorherrschaft und schließlich in der Trennung der obersten Gewalten und in deren Schwächung und Niedergang offenbarten. .

Wie stand es um diese-Zeit in Mariazell? Schon die Baugeschichte läßt einen Aufschwung der Wallfahrt erkennen. Aus der schlichten Holzkapelle wurde bald eine Kirche, die Markgraf Heinrich von Mähren erbauen ließ. Diese erwies sich in kurzer Zeit als zu klein und erhielt 1340 einen gotischen Chor. Volk und Fürsten eiferten um die Vergrößerung und Verschönerung des Gotteshauses. So stammt der jetzige Mittelturm mit einem größeren Teil der Kirche von König Ludwig l. von Ungarn, während die österreichischen Herzoge, wie Albrecht II. und andere, mit Zuwendungen nicht sparten. Aber auch das gewöhnliche Volk trug reichlich Anteil an der Ausstattung der Kirche.

Durch Geleitbriefe sollten die Pilger geschützt und deren Zustrom gemehrt werden. Aus dem 15. Jahrhundert wird berichtet, daß 14 Priester die Seelsorge in Mariazell ausübten und hauptsächlich mit Beichthören beschäftigt waren. Was Wunder, denn am Ende des Mittelalters kamen Pilger aus Frankreich, Italien, der Schweiz, Bayern und vielen anderen Ländern, besonders aber aus Oesterreich selbst, nach Mariazell.

Diese Periode fällt zusammen mit einer Glanzzeit des religiösen Lebens in Oesterreich, wie sie sich äußerte in Diözesen- und Klöstergründungen, in der Kreuzzugsbegeisterung, in der Armenpflege, im „Gottesfrieden“, in der Vermehrung von Pfarreien, im Zustrom zu den Predigten und in vielen Kirchenbauten dieser Zeit.

Die Periode der religiösen Begeisterung wurde abgelöst durch die der Glaubensspaltung oder Reformation. Neben den vielen Lichtseiten, die das Mittelalter aufwies, ergaben sich nämlich auch manche Uebel- stände, auf die von den einsichtigen Freunden der Kirche immer wieder hingewiesen wurde. Doch oftmals vergeblich. Die religiöse Begeisterung begann abzuflauen, das Glaubenswissen schwand und die Menschen wurden für Neuerungen anfällig. Da durch die neuen Lehren, die selbst bis in die kleinsten Gebirgstäler drangen, die Verehrungen der Gottesmutter abgelehnt und die Verdienstlichkeit der guten Werke geleugnet wurde, müßte das eine schwere Schädigung der mittelalterlichen Wallfahrtsbewegung bilden. Naturgemäß blieb davon Mariazell nicht verschont. Wohl haben die Türkeneinfälle viermal den Gnadenort gebrandschatzt und schwere Verwüstungen angerichtet, aber die Schäden, die durch die Glaubensspaltung hervorgerufen wurden, gingen viel tiefer, so daß der Gnadenort erst nach Jahrzehnten wieder aufzublühen begann. Dies dankte er der G e g e n r e f o r m a t i o n. Die Herrscher aus dem Hause Habsburg haben den Ernst der Lage erkannt und die kirchlichen Behörden setzten alle Mittel ein, um dem Volke den Glauben der Väter zu erhalten. Das Volk selbst aber war der Neuerungen vielfach müde geworden und sehnte sich nach der echten Gläubigkeit der Ahnen. Hervorragende Männer, wie Bischof Melchior Kiesel und ein heiliger Petrus Kanisius, stellten ihre ganze Kraft in den Dienst der Erhaltung und der Wiedererstarkung des katholischen Glaubens. Berichte aus dieser Zeit erzählen von einem geradezu unglaublichen Aufschwung der Wallfahrtsbewegung nach Mariazell. Zu vielen Tausenden kamen die Pilger, geführt von Bischöfen und Adeligen, Dominikanern und Jesuiten. Die Statistik über die Zahl der Kommunionen legt dafür ein beredtes Zeugnis ab. Während man im Jahre 1689 61.000 Kommunionen zählte, waren es im Jahre 1725 bereits 18 8.000.

Kaiser Ferdinand II. selbst gab das beste Beispiel durch seine Wallfahrt im Jahre 1621, wo er gelobte, sogar sein Leben für die Erhaltung des katholischen Glaubens einzusetzen. Unvergeßlich bleibt sein Wort: „Nie werde ich meiner großen Mutter vergessen.“ Immer mehr bildete sich Mariazell zum geistigen und religiösen Zentrum der österreichischen Lande heraus. Dem Beispiel Ferdinand II. folgte Leopold II. und schließlich Karl VI., dessen Tochter Maria Theresia im Jahre 1728 am Gnadenaltar in Mariazell die erste heilige Kommunion empfing.

Die allgemeine religiöse Aufwärtsbewegung und die wiedergewonnene Glaubensfreude zeigt sich auch in dem neuen Kunststil des Barock, der sich in Oesterreich besonders prachtvoll entfaltete. Das ging auch an Mariazell nicht spurlos vorüber. Der Habsburger Kaiser Ferdinand III. beantragte 1642 die Vergrößerung der Gnadenstätte und spendete zu ihrer Verwirklichung eine beträchtliche Summe. In 40jähriger Bauzeit wurde die Gnadenkirche von Mariazell fast vollständig barockisiert und ist damit ein Beispiel der Glaubensfreudigkeit dieser Zeit.

Doch wieder sollte ein schwerer Rückschlag das Marienheiligtum treffen. Wie in ganz Europa, so wandte man sich auch in den österreichischen Ländern der Aufklärung zu. Die Kirche ließ man nur als staatserhaltende Macht und als Magd des Staates gelten. Der Staat griff immer mehr in die inneren und äußeren Angelegenheiten der Kirche ein, eine Handlungsweise, die unter Josef II. ihren Höhepunkt erreichte. Dazu kam noch die kirchenfeindliche Geistesrichtung des sogenannten Febronianismus, die sich besonders gegen den Papst als das gemeinsame Oberhaupt der Kirche richtete. Dieser sollte nur noch einen Ehrenvorrang vor den anderen Bischöfen haben. Von diesen Ideen wurde auch der Wallfahrtsort Mariazell betroffen. Man bezeichnete die Wallfahrten als Mißbräuche und es folgten nun verschiedene Dekrete, durch die die Wallfahrten eingeschränkt, mit Strafen bedroht oder ganz verboten wurden. Wenn es auch diesen Maßnahmen nicht gelang, den Pilgerstrom nach Mariazell ganz zu unterbinden, so wurde doch nicht bloß dieser Wallfahrtsort aufs schwerste geschädigt, sondern das religiöse Leben und die religiöse Betätigung selbst erlitten große Einbußen. Zu diesen geistigen Schäden kamen noch die Einfälle der Franzosen und die Aufhebung des Stiftes St. Lambrecht.

ln langsamer, mühevoller Abwehr dieser glaubensfeindlichen und antireligiösen Maßnahmen gelang es der katholischen Kirche, die drückenden staatlichen Bestimmungen allmählich wieder abzubauen und die geistige Haltung des österreichischen Volkes wandte sich der neuen Bewegung der Romantik zu, die wieder Ehrfurcht empfand vor dem Geheimnisvollen und Gnadenhaften. Hier war es besonders der heilige Klemens Maria Hofbauer, der in Wien eine kraftvolle Tätigkeit entfaltete und den der Weg immer wieder nach Mariazell führte. Dort schöpfte er mit seinen Getreuen Kraft und Gnade für die große Erneucrungs- bewegung.

Kaiser Franz L, unter dessen Regierung die kirchenfeindlichen Erlässe zum Teil zurückgenommen wurden, fand sich mit seiner Familie, der alten Tradition gemäß, wieder öfter in Mariazell ein. Aber erst 1833 wurde die allgemeine Erlaubnis für die Mariazeller Wallfahrten wieder gegeben. Der Gnadenort blüht neuerdings auf, so daß die 700-Jahr-Feier im Sinne der Ueberwindung des Josefinismus einen überaus glänzenden Verlauf nahm.

Nur noch eine gefährliche Geistesrichtung sei besonders erwähnt, die seit der letzten Jubiläumsfeier die Kirche bedrohte, der L i b e- r a 1 i s m u s. Dieser brandmarkte in Deutschland alles Katholische mit dem Namen ultramontan oder deutschfeindlich und es entbrannte der sogenannte „Kulturkampf“, in dem die Katholiken als unzuverlässige Staatsbürger hingestellt wurden, weil sie einer fremden Macht unterstünden. Daher sollten sich die deutschen Katholiken von Rom lossagen und dem Staate allein unterstellt werden. In Oesterreich äußerte sich der zur Macht gelangte Liberalismus im Kampf gegen das Konkordat von 1855 und in kirchenfeindlichen Gesetzen. So erklärten bei spielsweise die Maigesetze von 1868 die Ehe als einen bürgerlichen Vertrag. Das Vatikanische Konzil von 1870, mit der Verkündigung des Glaubenssatzes vom unfehlbaren Lehramt, gab einen Vorwand für die Kündigung des Konkordates und die Maigesetze von 1874 brachten eine Neuregelung der äußeren Rechtsverhältnisse der Kirche.

Diese Neuregelung war nicht ohne Gefahren, aber das maßvolle Vorgehen der Regierung ließ einen Kulturkampf nach preußischem Muster nicht aufkommen. Die Herrschaft des Liberalis mus mit der Zurückdrängung der Kirche und ihrer Autorität, ein Vorgehen, gegen das sich unter anderem Bischof Josef Rudigier von Linz heldenhaft wehrte, führte unwillkürlich zu einem Erkalten des religiösen Lebens. Dies machte sich auch in Mariazell bemerkbar. Das Reichsheiligtum war nicht mehr so besucht wie zu anderen Zeiten und die Zahl der Kommunionen gesunken. Aber gleichzeitig zeigte sich eine religiöse Neubelebung, die gerade von Mariazell her mächtige Impulse erfuhr. Es war der unvergeßliche P. H. Abel SJ., der die Männerwallfahrten organisierte und mit seinem Ruf „Zurück zum praktischen Christentum“ zunächst ein Mindestprogramm des christlichen Lebens verwirklichen konnte. Dem Beispiel der Wiener Männerwallfahrten folgten auch Graz, Linz und Prag.

So wurden offene Herzen für die Gnade bereitet, deren Vermittlung ein Herzensanliegen Unserer Lieben Frau bleibt, und das Jubiläumsjahr 1907 ließ einen neuen religiösen Aufbruch erkennen. Die Errichtung der elektrischen Bahn von St. Pölten nach Wien war ein Symbol der wiederauf genommenen lebensvollen Verbindung der Donauländer und seiner Nachbarn mit dem Gnadenorte, dem man damals zum ersten Male die Bezeichnung „Oesterreichisches Reichsheiligtum" gab. Der Sakramentsempfang in Mariazell nahm wieder beträchtlich zu und die zur Basilika erhobene Kirche sah manche große religiöse Feier, wie etwa die Krönung des Gnadenbildes und die Nachfeier des Eucharisti- schen Kongresses.

Nun aber ist Oesterreich klein geworden und die 800-Jahr-Feier spielt sich in einem wesentlich engeren Rahmen ab als Jahrhundertfeiern früherer Zeiten. Nicht mehr Könige und Fürsten, denen der Gnadenort gewiß ungemein viel verdankt, verleihen dem Jubelfest äußeren Glanz. Geblieben ist jedoch die Liebe des Volkes zu seinem Heiligtum und die fühlbare Verpflichtung. daß wir, die wir dem kleinen Oesterreich angehören, unter dem Schutze Gottes und Unserer Lieben Frau in Freud und Leid, ohne Unterschied von Stand und Rang, als Glaubensbrüder zusammenstehen müssen.

Wenn uns das Vaterland nach einer Zeit harter Prüfung wiedergeschenkt wurde und wir darin in Freiheit leben dürfen, verdanken wir das nicht zuletzt der Magna mater A u s t r i a e, deren Liebe und Huld wir uns auch für die Zukunft empfehlen.

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