Reiternomaden - © Foto: Klaus Pichler

Reiternomaden: Schneller als der Wind

19451960198020002020

„Reiternomaden in Europa“ brachen in Spätantike und Frühmittelalter aus der eurasischen Steppe Richtung Westen auf und hinterließen hier dauerhafte Spuren. Die Schallaburg widmet ihnen die diesjährige Ausstellung.

19451960198020002020

„Reiternomaden in Europa“ brachen in Spätantike und Frühmittelalter aus der eurasischen Steppe Richtung Westen auf und hinterließen hier dauerhafte Spuren. Die Schallaburg widmet ihnen die diesjährige Ausstellung.

Werbung
Werbung
Werbung

Es war ein Sensationsfund, der bis heute Stoff zum Nachdenken gibt. Im Juli 2000 hob ein Bagger vor dem Schulhaus von Gnadendorf, im nördlichen Weinviertel, eine Künette aus – da lagen plötzlich Teile eines menschlichen Schädels und eines stark verrosteten Säbels in der Baggerschaufel. Die eilends hinzugezogenen Archäologen bargen das Skelett eines jungen Mannes, kaum älter als 14 Jahre, der Verletzungen an Ellbogen und Schädel erlitten hatte. Nicht nur die kräftige Beinmuskulatur, deren Ansätze noch an den Knochen zu erkennen waren, wies den Toten als geübten Reiter aus. Ihm zu Füßen ruhten, sorgsam übereinandergelegt, Schädel und Fußknochen eines etwa sieben Jahre alten Hengstes nebst Trense und Steigbügel.

Aus der Art der Bestattung, dem Säbel sowie weiteren Grabbeigaben – eine Handvoll Silbermünzen und Gürtelbeschläge – folgerten die Archäologen, dass in Gnadendorf ein ungarischer Reiterkrieger seine letzte Ruhestätte gefunden hatte. Die außerordentliche Qualität der Beigaben, vor allem des Säbels, deutet auf eine hohe Abkunft hin. Gut tausend Jahre dürfte der Tote dort gelegen haben, nur einen Meter unter der Erdoberfläche, bis der Bagger seine Überreste wieder ans Licht holte. Seither rätselt die Wissenschaft, was den jungen Krieger ins heutige Weinviertel verschlug, woran er starb und warum er so prunkvoll bestattet wurde.

Aus den Weiten der Steppe

Der Säbel und die übrigen Metallfunde aus dem „Reitergrab von Gnadendorf“ lassen sich derzeit auf der niederösterreichischen Schallaburg besichtigen. Die dortige Jahresausstellung widmet sich heuer den „Reiternomaden in Europa“, das heißt jenen Menschengruppen, die in Spätantike und Frühmittelalter aus den Weiten der eurasischen Steppe in unsere Landen kamen und hier Spuren hinterließen, mitunter so glänzende wie den Goldschatz von Nagyszentmiklós, der sonst das Kunsthistorische Museum schmückt und nun auf der Schallaburg zu bestaunen ist. Über mehr als 7000 Kilometer erstreckt sich der eurasische Steppengürtel von Ostchina bis ins Karpatenbecken oder, wenn man will, bis an den Fuß des Wienerwalds. Weitgehend eben, trocken und mit Gras bewachsen, bot er seit vorchristlicher Zeit menschlichen Gesellschaften einen Lebensraum, die ihre Grundbedürfnisse aus der Jagd und Viehwirtschaft befriedigten und mit großen Herden, vor allem Rindern und Schafen, umherzogen. Sie lebten in Zelten und auf den Rücken ihrer Pferde.

Ihre Lebensweise ließ die Reiternomaden im Lauf der Zeit Fähigkeiten entwickeln, wie sie in den angrenzenden Reichen Asiens und Europas niemand besaß. Sie ritten schneller als der Wind und handhabten ihre kurzen, extrem durchschlagskräftigen Reflexbögen selbst im Galopp so geschickt, dass ihre Feinde im Gewitter tödlicher Pfeile zugrunde gingen. So wurden Reiterkrieger zu einem militärischen und politischen Faktor, der den Gang der Geschichte beeinflusste.

Aus der verwirrenden Vielzahl nomadischer Reitervölker, über die mangels eigener Schriftkultur zumeist nur bruchstückhafte Zeugnisse vorliegen, greift die Ausstellung auf der Schallaburg vier heraus: Hunnen, Awaren, Bulgaren und Ungarn. Jedes dieser vier „Völker“ schrieb auf seine je eigene Weise zwischen dem fünften und elften Jahrhundert in Europa Geschichte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung