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Rettet das Kind!

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Bedauerliche Vorfälle in einem österreichischen Bundesland, bei denen durch eine Reihe von schwerwiegenden Mißständen bei verschiedenen Instanzen drei Kinder ums Leben kamen und andere gesundheitlich geschädigt wurden, sind zur Zeit Gegenstand einer,gerichtlichen Untersuchung, deren Ergebnis d.e Öffentlichkeit mit berechtigtem Interesse erwartet. Den nachstehenden Ausführungen des bekannten österreichischen Fachmannes auf dem Gebiet der Kinderheilkunde und Kinderfürsorge kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu. e Furche“

Dem Kinderarzt, der den Menschen beim Eintritt ins Leben unter seine Obhut nimmt, muß auf dem Gebiet der Prophylaxe, der Krankheitsverhütung, eine führende Rolle zugebilligt werden. Den Kinderärzten ist es zu verdanken, daß heute von 100 Säuglingen, von denen noch an der letzten Jahrhundertwende ein Fünftel bis ein Viertel vor Ablauf des ersten Lebensjahres starben, in manchen Ländern nur mehr zwei bis drei sterben. Es ist eine tröstliche Erscheinung, daß neben dem widerwärtigen Menschenmord während zweier Weltkriege in aller Stille ein wunderbares Werk der Menschenliebe geschaffen werden konnte: die Säuglingsfürsorge, durch deren unentwegte Arbeit unzähligen Menschen das Leben erhalten werden konnte. In allen Kulturstaaten der Welt ist in der ersten Jahrhunderthälfte ein stetiges Sinken der Säuglingssterblichkeit zu beobachten gewesen, selbstverständlich auch in Österreich; es ist aber eine bedauerliche Tatsache, daß das im Kampf gegen die Säuglingssterblichkeit einst führende Österreich — Theodor Escherich, der im Jahre 1902 die Wiener Lehrkanzel für Kinderheilkunde übernahm, war hier der Pionier — gegenüber anderen Staaten arg ins Hintertreffen geraten ist: es sterben bei uns noch immer zwei- bis dreimal soviel Säuglinge als in anderen Ländern, und zwar auch in solchen, die nicht minder unter dem Kriegs- und Nachkriegsjammer zu leiden hatten als unser Land.

Von der Wiener Universitätskinderklinik wird immer wieder darauf hingewiesen, daß in Österreich jährlich mehrere tausend Kinder am Leben erhalten werden könnten, wenn wir dieselbe niedrige Säuglingssterblichkeit erzielt hätten wie zum Beispiel Schweden und die Schweiz, aber auch Holland und Finnland; auch Frankreich hat uns bereits überflügelt.

Der Aufruhr, der sich jetzt im Zusammenhang mit der „Fortedol-Affäre“ erhoben hat, ist verständlich: der Vorfall hat drei Säuglingen das Leben gekostet. Es muß aber wundernehmen, daß man es daneben anscheinend ruhig hinnimmt, wenn Tausende von Kindern bloß deshalb sterben, weil es an den notwendigen prophylaktischen Einrichtungen mangelt. Denn daß an diesem Kindersterben nicht eine physische Minderwertigkeit der österreichischen Kinder Schuld trägt, sondern unsere unzureichende Gesundheitsfürsorge, darüber besteht wohl kein Zweifel.

Ausdrücklich muß betont werden, daß wir nicht nur das Leben unserer Kinder zu erhalten haben, sondern auch ihre Gesundheit, mit anderen Worten,

daß wir nicht nur die tödlichen Krankheiten zu verhüten haben, sondern auch die — glücklicherweise — wesentlich zahlreicheren, welche schließlich in Heilung übergehen. Bei sehr vielen, wenn nicht der Mehrzahl der in unsere Kinder-spitäier gebrachten Patienten, insbesondere der Säuglinge, handelt es sich um Krankheiten, die durch richtige Leitung der Ernährung und Pflege hätten vermieden werden können. Wer weniger Wert auf das Ethische als auf das Praktische legt, möge sich vor Augen halten, was sich an Verpflegsgebühren einsparen

ließe, wenn sich der bei kranken Säuglingen oft viele Wochen währende Spitalsaufenthalt erübrigte. Alle unsere Reformvorschläge scheitern ja letzten Endes immer wieder an, dem chronischen Leiden Österreichs, am Geldmangel. Hier wäre ein sehr wirksames Mittel, um Geld einzusparen. Ohne auf die leidige Geldfrage näher einzugehen, möchte ich doch zu bedenken geben, ob es zu verantworten ist, daß' gerade auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge so grimmig gespart wird und Menschen geopfert werden.

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