Amundsen - © Foto: picturedesk.com / Mary Evans / llustrated London News Ltd

Roald Amundsen: Bezwinger des ewigen Eises

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Vor 150 Jahren wurde Roald Amundsen geboren, der in pelzbesetzter Rüstung den Ruhm der noch jungen norwegischen Nation mehrte. Seine Erfolge als Entdecker machten ihn zum Weltstar, doch als Mensch blieb Amundsen lange eine Terra incognita.

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Vor 150 Jahren wurde Roald Amundsen geboren, der in pelzbesetzter Rüstung den Ruhm der noch jungen norwegischen Nation mehrte. Seine Erfolge als Entdecker machten ihn zum Weltstar, doch als Mensch blieb Amundsen lange eine Terra incognita.

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E r hat als erster Mensch den Südpol erreicht, die Nordwestpassage durchfahren, den Nordpol überflogen, war Teilnehmer der ersten Überwinterung in der Antarktis: Roald Amundsen gilt als erfolgreichster Polarforscher aller Zeiten. Sein Ruhm stellt selbst den Scotts und Shackletons in den Schatten, und das weit über die Grenzen Norwegens hinaus. Dort feiert man den 150. Geburtstag des Entdeckers heuer mit der Herausgabe zweier Briefmarken. Doch in seinem Heimatland ist Amundsen nicht nur eine gefeierte, sondern auch eine umstrittene Figur, spätestens seit Tor Bomann-Larsen 1995 seine große Amundsen-Biografie veröffentlicht hat.

Auch Bomann-Larsen war ein Pionier, nur dass er nicht weiße Flecken auf dem Globus kartierte, sondern den inneren Kontinent des Menschen Roald Amundsen: bis dato eine Terra incognita so weit und teilweise so eisig und einsam wie die polaren Landschaften, die der Held in seinem Entdeckerleben durchmaß. Obwohl Bomann-Larsens Biografie 2007 ins Deutsche übersetzt wurde, scheint ihr Inhalt hierzulande kaum bekannt zu sein. In einschlägigen Lexika erfährt man zwar viel über die Taten, aber fast nichts über den Menschen Roald Amundsen. Und noch weniger über seinen Bruder Leon, der 20 Jahre lang die verwickelten Geschäfte des „Bezwingers beider Pole“ besorgte – bis dieser ihn verstieß.

Gutes Management

Von den vier Söhnen des Kapitäns und Schiffseigners Jens Ingebrigt Amundsen war Leon der dritte und einzige mit kaufmännischem Talent. Den anderen mangelte es zwar nicht an grandiosen Geschäftsideen, mit denen erlitten sie aber regelmäßig kommerziellen Schiffbruch. Dass Roald dieses Schicksal über die längste Zeit seiner Karriere erspart blieb, verdankte er dem zwei Jahre älteren Leon. Der erfolgreiche Weinhändler bewies auch auf dem globalen Markt für Sensationen eine glückliche Hand. Ohne Leons kluges Management wäre Roalds größter Coup, die „Eroberung“ des Südpols, nie gelungen. Es war wiederum Leon, der die Gewinne daraus gewinnbringend reinvestierte: in Schiffsbeteiligungen, die ab 1914 florierten. Schon der alte Amundsen hatte im Krim-Krieg ein Vermögen gemacht, indem er seine Schiffe für die Briten segeln ließ. Im Ersten Weltkrieg wurden auch seine Söhne zu Kriegsgewinnlern.

Doch Roald verdankte seinem Bruder nicht nur den kommerziellen Erfolg. In seiner 1927 veröffentlichten Autobiografie „Mein Leben als Entdecker“ erzählt er von einer Schi-Durchquerung der Hardangervidda, der menschenleeren Hochebene zwischen Oslo und Bergen, die er als Fünfzehnjähriger gemeinsam mit einem namenlosen Gefährten wagte. In einer stürmischen Nacht fror der erschöpfte Roald in einer Schneehöhle ein, die er sich gegraben hatte. Er wachte auf und konnte sich nicht mehr bewegen. Beinahe wäre seine Entdeckerkarriere beendet gewesen. Zum Glück jedoch sei sein Gefährte so erschöpft gewesen, dass er sich keine Höhle grub. Darum fror er nicht ein und konnte Roald befreien. Dreißig Jahre früher, in einem Artikel, den Roald für eine Lokalzeitung verfasst hatte, las sich die Geschichte noch anders: Während der Autor in seiner Schneehöhle eingeschlafen war, hatte sein Gefährte den Schnee immer wieder von sich geschüttelt. Die Wachsamkeit des Anderen rettete beiden das Leben. Damals verschwieg Roald auch nicht den Namen seines Begleiters: Leon Amundsen.

In Nansens Fußstapfen

Leons Beitrag zu den Unternehmungen des Roald Amundsen hervorzuheben, ist auch deshalb angebracht, weil der kommerzielle Aspekt dabei keine Nebenrolle spielte. Natürlich ging es vordergründig auch um Wissenschaft. Und um Politik: Der junge Staat Norwegen, der sich erst 1905 von Schweden emanzipierte, brauchte eine nationale Ideologie und Helden, die sie verkörperten. Fridtjof Nansen erfand die Figur des modernen Wikingers im Dienst der Wissenschaft, mit der „Fram“ das Flaggschiff dazu, und prägte als Diplomat Norwegens Identität als „Polarnasjon“. Nachdem ihm 1905 die Nordwestpassage geglückt war, trat Roald Amundsen in Nansens Fußstapfen. Er schlüpfte in die pelzbesetzte Rüstung des Nationalhelden, der im ewigen Eis die Ehre von König und Vaterland mehrt – und im Gegenzug vom Staat materielle Förderung erwarten darf. Aber warum hätte sich Amundsen mit der Rolle eines braven Dieners der Wissenschaft und einer kleinen Nation begnügen sollen, wenn ihm die halbe Welt offen stand?

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