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Roma locuta

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Rom schreibt das Jahr 449.

An einem Spätsommertag trifft wie ein gehetztes Wild im Palast Leos des Großen der päpstliche Legat Hilarus ein und berichtet von den unerhörten Vorgängen am sogenannten Konzil von Ephesus: die Eunuchenwirtschaft am byzantinischen Kaiserhof hat es zuwege gebracht, daß der Kaiser dem Papst zum Trotz eine Synode einberief — „Räubersynode“ nannte sie Leo der Große —, um den rechtgläubigen Patriarchen Flavian von Konstantinopel zu Fall zu bringen. Vergeblich hatte der päpstliche Legat zu Ephesus ein entrüstetes „Ich widerspreche“ in die maßlos erregte Versammlung gerufen: ein kaiserliches Dekret setzt den Bischof Flavian ab, und von der Meute der Soldaten, die in den Saal gerufen werden, wird er halbtot geprügelt. Das war die östliche Kirchenfreiheit! Die Augen der gesamten christlichen Welt wenden sich nach Rom als den Hort der Freiheit und des Rechts. Da tritt in Rom die päpstliche Synode zusammen und richtet an den Kaiser Theodosius ein diplomatisch feingescHiffenes, aber unnachsichtiges Schreiben, darin die Worte stehen: „Das von ihm (dem Kaiser) ausgesprochene Endurteil aber war so, daß es zwar gegen einen einzelnen Menschen gerichtet schien, in Wahrheit aber einen Schlag gegen die ganze Kirdie bedeutete. Unsere vom Apostolischen Stuhl gesandten Legaten erblickten darin ein solches Sakrileg und einen solchen Hohn auf den katholischen Glauben, daß sie sich von keiner Gewalt die Zustimmung abpressen ließen. Und sie erklärten vor der ganzen Synode beharrlich, wie es ihre Pflicht war, daß der Apostolische Stuhl dieses Urteil nie und nimmer anerkennen werde. Ich und alle meine Mitbischöfe wollen dereinst vor dem Richterstuhl unseres Herrn Christus nicht schuldig dastehen, weil wir den Mund nicht aufgetan haben. Darum beschwören wir euch: gebt den Befehl, daß alles wieder in den Stand der Dinge zurückversetzt werde, den es vor jenem Urteil innehatte. Gebt uns die Freiheit, den Glauben zu verteidigen — den Glauben, von dem wir in aller geziemenden Ehrfurcht vor Eurer Majestät sagen, daß ihn keine Gewalt und kein staatlicher Terror je wird brechen können. Denn wenn wir für die Kirche sorgen, dann ist das zugleich auch immer eine Guttat an eurem Kaiserreich und an eurem Wohl.“

Eineinhalb Jahrtausende später.

Am späten Vormittag des 20. Februar. Leuchtend und klar steht die südliche Vorfrühlingssonne über Rom, wie eingedenk der jubelnden Verse aus dem „Hymnus von Rom“: „Sonne, die du aufsteigst leuchtend und frei, über unserem Hügel bändige deine Pferde, denn nichts Größeres wirst du schauen über der Erde als Rom.“ Kühl fallen die Schatten Hunderter in Travertin gemeißelter Päpste und Blutzeugen und Bekenner von den Kolonnaden auf den Petersplatz und hoch über der Fassade der Basilika ragen die urgewalltigen Statuen der Apostel hinein ins gleißende Sonnenlicht. Unermüdlich treiben die hoch aufschießenden Strahlen der Fontänen ihr königliches Spiel mit den unbeirrbaren Strahlen der Sonne, sprühend und rauschend in trunkenem Lied. Aber mitten auf dem Platz in granitener Härte ragt der 4000 Jahre alte Obelisk, er, der Kronzeuge von St. Peter. Denn schaute er nicht vor fast 1900 Jahren das Martyrium des ersten Papstes, den man mit dem Kopf nach unten kreuzigte, und die Hunderte brennender Fackeln, zu denen man Pech und Holz und Leiber lebendiger Ghristen zusammenband? Und steht er nicht noch heute auf dem Boden des alten neronianischen Zirkus, der Stätte jener ersten Greuel: immerwährendes Mahnmal dafür, daß die Kirche in der Welt sich über einem ungeheuren neronianischen Zirkus erhebt, immer und immer bedroht von unerhörten Greueln der Verfolgung, der Tücke und Grausamkeit? Da strömen Zehntausende und aber Zehntausende Menschen auf den Platz, und sie stauen sich von den äußersten Kolonnaden bis nahe an das große Bronzetor der Petrusbasilitfa, das allen Völkern offen steht. Tausende gruppieren sich um den ägyptischen Obelisken und der Blick ihrer Augen fällt auf seine Inschriften: „Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat!“ und „Gesiegt hat der Löwe vom Stamme Juda!“ Sind diese Worte nicht die wundervolle Gewißheit für diese Stunde, die sie zu einer gewaltigen Kundgebung vereinigt hat? Es ist zwölf Uhr. Mit glühender Spannung richten sich die Augen auf die Loggia des Petersdoms. Minuten vergehen — einen Augenblick steht die Zeit still — endlich bricht es jubelnd los: „Viva il Papa!“

Dann spricht die weiße Gestalt des Papstes.

„Römer! Geliebte Söhne und Töchter! Noch einmal in banger und schmerzlicher Stunde ist das treue Volk der Ewigen Stadt zu seinem Bischof und Vater geeilt, um hier an der Schwelle der Vatikanbasilika, dem Mittelpunkt der gesamten katholischen Welt, der Sühnmesse beizuwohnen und den Gefühlen Ausdruck zu geben, von denen seine Seele überfließt. Das Urteil, das unter der einstimmigen Mißbilligung der Kulturwelt an den Ufern der Donau über einen Kardinal der heiligen römischen Kirche verhängt wurde —“ „Mindszenty, Mindszenty!“ hallt über den Platz ein einziger Schrei — „hat an den Ufern des Tiber einen Schrei der Entrüstung ausgelöst.“ Nichts Neues ist dies für die Kirche, denn: „Es ist ein Glied der langen Kette von Verfolgungen, welche einige diktatorische Staaten gegen die christliche Lehre und das christliche Leben entfesseln. Eine gemeinsame charakteristische Eigenschaft der Verfolgungen aller Zeiten ist die, daß sie sich nicht damit zufrieden geben, ihre Opfer physisch niederzuschlagen, sondern diese auch verachtungswürdig und ihrem Vaterland und der Gesellschaft verhaßt machen wollen. Wer erinnert sich nicht der römischen Märtyrer, von denen Tacitus erzählt, die unter Nero als Brandstifter, nichtswürdige Übeltäter und Feinde des Menschengeschlechts hingeschlachtet wurden. Die heutigen Verfolger erweisen sich als gelehrige Schüler dieser urrömischen Schule.“ Aber die Kirche hat nichts zu fürchten. Wohl will sie den Frieden. „Sie gibt Cäsar, was des Cäsars ist, aber sie kann nicht verraten noch preisgeben, was Gottes ist. Nun ist aber wohlbekannt, was totalitäre und antireligiöse Staaten von ihr an Toleranz erwarten oder verlangen: nämlich eine Kirche, die schweigt, wenn site sprechen sollte. Eine Kirche, die das Gesetz Gottes abschwächt, indem sie es dem Geschmack des menschlichen Wollens anpaßt, wenn sie es mit lauter Stimme verkünden und verteidigen müßte. Eine Kirche, die sich von dem unerschütterlichen Fundament loslöst, auf das sie Christus gebaut hat, um sich dem beweglichen Stand der Tagesmeinung oder den vorübergehenden Strömungen anzupassen. Eine Kirche, die der Unterdrückung des Gewissens keinen Widerstand leistet und dia legitimen Rechte und die gerechten Freiheiten des Volkes für nichts achtet. Eine Kirche, die mit unrühmlichen Untergebenen in den vier Mauern des Tempels eingeschlossen bleibt, auf die göttliche Sendung vergessend, die sie von Christus empfing: .Geht an d.e Straßenkreuzungen' und ,Lehrt alle Völker!' “

Dann stellt Pius XII. an die Hundert tausende auf dem Platz und am Rundfunk der ganzen Welt Frage tim Frage:

„Ist das die Kirche, die ihr verehrt und liebt? Würdet ihr in einer solchen Kirche die Gesichtszüge eurer Mutter wiedererkennen? Könntet ihr euch einen Nachfolger des ersten Petrus vorstellen, der sich unter solche Forderungen beugt?“

Dreimal dröhnt der Ruf zu ihm hinauf: „Nein!“

Roma locuta est: Rom, der Papst hat gesprochen. Noch einmal wurde feierlich erklärt, was Pius XII. schon am 14. Februar im Konsistorium vor den versammelten Kardinalen über den Prozeß gegen Kardinal Mindszenty erklärt hatte: „Es ist vollständig der Wahrheit entgegen, was im Verlauf dieses Prozesses behauptet wurde: daß nämlich die ganze Sache, um die es sich handelte, darauf zurückgehe, daß dieser Apostolisch Stuhl aus politischem Machtwillen und Machtstreben Befehle und Weisungen gegen die ungarische Republik und ihre Leiter gegeben hätte, und deshalb falle die ganze Sache und Verantwortung auf den gleichen Apostolischen Stuhl zurück. Jedermann weiß ja, daß sich die katholische Kirche nicht von irdischen Beweggründen leiten läßt, sondern jede Re- gieriungsform zuläßt, sofern sie nicht den göttlichen und menschlichen Rechten widerspricht. Stöht sie aber in Widerspruch mit ihnen, so müssen die Bischöfe und alle Gläubigen aus eigener Gewissenspflicht den ungerechten Gesetzen entgegentreten!“

Roma locuta est: Mindszenty ist gerecht fertigt. Und noch mehr. Er ist zum Wahrzeichen geworden in einer Zeit, da noch allzu viele an unerlaubte Kompromisse glauben und an schwächlichen Rückzug „in die vier Mauern de9 Tempels“ denken. Er steht mitten im Raum der Kirche wie der uralte Obelisk auf dem Petersplatz, in dem unauslöschlich eingemeißelt die Worte stehen: „Christus vincit!"

Roma locuta — causa finita! Eine „causa“ ist zu Ende: die Frage, ob der ungarische Primas im Recht war und noch ist.. Aber eine andere „causa" ist nicht zu Ende, sondern beginnt erst recht: sein Beispiel! Die Worte Pius’ XII. lassen keinen Zweifel: die Ära, in der die Kirche heute lebt, ist die Ära der Mindszenty und Stepinac’ — eine Ära der mutigen Bekenner! Wenn sich' an diesem denkwürdigen 20. Februar auf dem Petersplatz die katholische Aktion versammelt hat, um für Mindszenty zu protestieren, dann wußte sie in dieser Stund um eines: jedes Bekenntnis zur Aktion ist immer auch ein Bekenntnis zur Passion und katholische Passion ist höchste Aktion! „Unser Herrgott, geliebte Söhn und Töchter" — chloß Pius XII. seine Rede —, „möge eure Treue belohnen. Er gebe euch in den gegenwärtigen und zukünftigen Kämpfen Stärk . Er mache euch wachsam gegen die Schläge seiner und eurer Feinde. Er erleuchte mit seinem Licht die Geister jener, deren Augen noch verschlossen sind. Er gewähre den vielen Herzen, die heute noch weit von ihm entfernt sind, die Gnade der aufrichtigen Rückkehr zu jenem Glauben und zu jenen brüderlichen Gefühlen, deren Verleugnung die Gefühle der Menschheit bedroht.“

Irgendwo in einer ungarischen Gefängniszelle verbringt der zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilte Kardinal einsam seine Tage. Ahnt er, daß sein geschmähter und erniedrigter Name für die ganze Welt der gepriesene Name ihres mutigsten Bekenners ist? Spürt er, daß sein scheinbar so sinnlose Opfer nicht umsonst ist, sondern unüberhörbarer Aufruf zur rückhaltlosen Entscheidung für Christus? Weiß er, daß er entgegen allem

Anschein und aller Propaganda seine Prüfung bestanden hat? Wird man ihm sagen, daß Rom gesprochen hat, daß Millionen von Christen und Nichtchristen sich zu ihm bekannt haben, und sieht er, daß sein Kardinalspurpur unbefleckt ist? Denkt der scheinbar gebrochene Primas daran, daß über seiner schwer bewachten Gefängniszelle die unendliche Kuppel der freien Kirche sich wölbt? Hört der Bekennerbischof, wie von Millionen von Christen und Nichtchristen das Viva Mindszenty!“ zum Himmel tönt?

Vielleicht wird es der einsame Gefangene niemals erfahren. In seine dumpfe Kerkerzelle dringt kein Strahl der freien römischen Sonne, das silberne Plätschern der Fontänen des Petersplatzes gelangt nicht an sein Ohr. Mühsam und monoton versickern die Minuten seines Daseins. Und doch wurde dieses anscheinend zerbrochene Leben durch die höchste Autorität der Christenheit Rom und der Welt, urbi et orbi als ein Wahrzeichen hingestellt, an dem sich die Geister scheiden.

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